Französische Truppen im Ukraine-Krieg: Können sie das Blatt noch wenden?

Seite 2: Frankreich: Spekulation über Truppenentsendung in die Ukraine

Diese Einschätzung scheint auch die französische Führung zu teilen. Dort spielt man weiter mit dem Gedanken, Truppen in die Ukraine zu schicken und so direkt und unmittelbar am Krieg teilzunehmen.

In einem Interview im präsidialen Business-Jet sagte Emmanuel Macron der Publikation Le Parisien:

Vielleicht müssen wir zu einem bestimmten Zeitpunkt - ich wünsche es nicht, ich werde nicht die Initiative ergreifen - Operationen vor Ort durchführen, um den russischen Kräften entgegenzuwirken, wie auch immer diese aussehen mögen. Die Stärke Frankreichs ist, dass wir das tun können.

Emmanuel Macron, Le Parisien

Am Ende des genannten Artikels folgt eine bemerkenswerte Passage:

Putin betreibt einen Diskurs der Angst. Wir dürfen uns nicht einschüchtern lassen, denn wir haben es nicht mit einer Großmacht zu tun. Russland ist eine Mittelmacht, die über Atomwaffen verfügt, deren BIP aber weit unter dem der Europäer liegt, unter dem von Deutschland, von Frankreich.

Emmanuel Macron, Le Parisien

Das erinnert stark an die Aussage vom ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama von 2014:

Russland ist eine Regionalmacht, die einige ihrer unmittelbaren Nachbarn bedroht, nicht aus Stärke, sondern aus Schwäche.

Barack Obama, Reuters

Die Einschätzung, dass Russland eine Regionalmacht sei, war schon 2014 falsch, genauso, wie die aktuelle Verlautbarung von Macron, Russland sei eine "militärische Mittelmacht".

Es ist schwer zu glauben, dass der frühere Investmentbanker und ehemalige Wirtschaftsminister Macron elementare wirtschaftliche Kennziffern nicht versteht oder, falls ihm selbst kein militärischer Sachverstand beschieden ist, er nicht zumindest auf einen gut ausgebildeten Beraterstab zurückgreifen kann.

"Operation im Informationsraum": Russland als militärische Mittelmacht?

Russland eine militärische Mittelmacht zu nennen, dürfte deshalb wiederum eine "Operation im Informationsraum" darstellen, die kaschieren soll, wie schwer es für Frankreich oder selbst für eine neuerliche, von den USA sicher gerne gesehene "Koalition der Willigen" wäre, sich gegen die kriegserfahrene russische Armee zu behaupten?

Wenn man kurz die Kampfkraft der französischen Streitkräfte betrachtet, so kann man als Erstes feststellen, dass Frankreich das nach China viertgrößte nukleare Arsenal der Welt zu seiner Verfügung hat.

Risiko einer Eskalation im Ukraine-Krieg

Deshalb ist es nicht möglich, Frankreich in der Gesamtheit seiner Streitkräfte nach beurteilt, als militärische Mittelmacht zu bezeichnen: Wer Mitglied im Neuner-Club der Nuklearmächte ist, ist der Wirkmächtigkeit seiner militärischen Fähigkeiten nach eine militärische Großmacht – zu potent ist die Macht Dutzender Atombomben, um den Sachverhalt anders zu bewerten.

Dabei befindet sich das US-dominierte Europa tatsächlich auf dem Weg einer gefährlichen Eskalationsspirale, die den Einsatz von alles vernichtenden Atomwaffen denkbarer macht, als es je in der Geschichte der Fall war.

Deshalb muss man die Atomstreitkräfte mehr denn je in die Betrachtung der militärischen Stärke eines Landes einfließen lassen.

Wenn man sich trotzdem nur auf die konventionellen Streitkräfte der französischen Armee konzentrieren möchte und die nuklearen Kapazitäten des Landes außer Acht lässt, so ist Frankreich in allen Bereichen eine militärische Macht, die sicher ernst genommen werden muss. Der bereits oben erwähnte Global Firepower Index sieht Frankreich auf Platz 11 der mächtigsten Armeen der Welt.

Konkurrenzen: Frankreich gegen Russland?

Es ist allerdings sehr schwierig, die Kampfstärke einer Streitmacht zu bewerten. Es zählen nicht nur schiere Zahlen, sondern, um nur einige Faktoren zu nennen, auch Einsatzdoktrin, Führungsfähigkeiten, Aufklärungsdaten, die Qualität und Einsatzbereitschaft verfügbarer Waffen, Zugriff auf Produktionskapazitäten und Ressourcen – und Kampferfahrung.

Der bereits erwähnte, viel zitierte Global Firepower Index sieht Russland auf dem weltweit zweiten Platz, Kopf an Kopf mit den USA.

Schickt sich Frankreich, mit der elftstärksten Armee der Welt, an, Truppen in die Ukraine zu schicken, gegen die vielleicht stärkste Armee der Welt, die nach Macron militärisch eine Mittelmacht ist?

Das erscheint abwegig. Das behauptet aber der Direktor des russischen Auslandsgeheimdienstes (SVR) Sergej Naryschkin. Ihm würden Informationen vorliegen, wonach Frankreich die Entsendung eines Militärkontingents von 2.000 Mann in die Ukraine vorbereiten würde, berichtet die russische Nachrichtenagentur TASS. Strategische Kommunikation?

Spekulationen über eine Intervention Frankreichs in der Ukraine

In einem TV-Interview mit dem französischen Nachrichtensender LCI überlegt ein französischer Oberst, wie und wo eine französische Division von rund 20.000 Soldaten in der Ukraine zum Einsatz gebracht werden könnte. Diese Zahl, also 20.000 Mann, wurde wahrscheinlich von Pierre Schill ins Spiel gebracht, seines Zeichens Leiter des Generalstabs der französischen Armee.

Einem aktuellen Le Monde- Artikel (in Englisch) von Pierre Schill zufolge soll die französische Armee bereit sei: Frankreich habe die Kapazität, eine Division, also rund 20.000 Mann, in eine Koalition einzubringen. Auch könne man ein Korps von 60.000 Mann dieser nicht weiter definierten Koalition führen.

Ziel einer derart angedeuteten, potenziellen französischen Intervention könnte Odessa sein. So zitiert Le Monde den französischen Präsidenten, der sich bei dem Gespräch am 21. Februar sehr offen zeigte ("Emmanuel Macron stößt mit einem Glas Whisky in der Hand an") mit den Worten:

Auf jeden Fall werde ich im neuen Jahr Leute nach Odessa schicken müssen.

Emmanuel Macron, Le Monde

Das scheint Macron auch bei einem Empfang der Vorsitzenden von politischen Parteien am 7. März gesagt zu haben. Laut Fabien Roussel (Kommunistische Partei) sprach Emmanuel Macron über das Szenario, "das eine Intervention einleiten könnte": ein Vorrücken der Front "nach Odessa oder nach Kiew", mit einer Karte als Beleg.

Erfahrung der französischen Armee bei einer möglichen Besetzung Odessas

Eine gewisse Erfahrung hat die französische Armee bei einer möglichen Besetzung Odessas: Vor rund hundert Jahren, im Dezember 1918, bei der Intervention der Entente-Mächte im russischen Bürgerkrieg landete ein französisch-griechisches Truppen-Kontingent von 5.000 Mann in Odessa und besetzte von dort aus die Krim. Die Intervention ging damals für Frankreich nicht ganz so gut aus.

Bereits jetzt könnte es ein kleines Kontingent französischer Soldaten in der Ukraine geben. Aus dem russischen Verteidigungsministerium verlautete Mitte Januar, dass man über 60 französische Söldner bei einem Raketenangriff in Charkow getötet habe. Die französische Regierung dementierte die Behauptung.

Ein Artikel von El Pais vom gestrigen Montag widmet sich "Nato-Soldaten in der Ukraine" und berichtet von Beobachtern, Führungs- und vor allem von technischem Personal, das bei westlichen Waffensystemen die Bedienung oder Instandhaltung übernehmen würde. Erwähnt wird in diesem Zusammenhang auch der deutsche Leopard-Panzer.

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