Game-Designer am Drücker

Danny Hillis über die Zukunft des Entertainment, die Macht der Spiele-Entwickler und die Verschmelzung von Mensch und Maschine

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Nach den Herausforderungen, die Bill Gates mit seiner "Zukunftsmaschine" in Form der bisher nur als Vaporware existierenden X-Box den Spiele-Entwicklern an den Horizont malte (Bill Gates enthüllte die X-Box), und nach heftigen Diskussionen über Gewalt in Computerspielen tröpfelte "das Genie" unter den Digerati, Danny Hillis, den Game Developern zum Ausklang ihres Branchenmeetings in San Jose am Samstag Abend Balsam auf die aufgewühlten Seelen: "Ihr seid eine Kraft, die die Welt formt", gab der Pionier des Parallel Computing und langjährige Disney-Berater der flippigen Community mit auf dem Weg in die Zukunft des Entertainment.

Das Phänomen des Spiels ist für Hillis eine "kulturelle Universalie". Kinder, Erwachsene und sogar Tiere seien im gleichen Maße davon begeistert. Spielen sei auch kein reiner Selbstzweck, sondern habe immer "mit Lernen zu tun". Der ausgebildete Mathematiker, der bereits während seiner Studienzeit am Massachusetts Institute of Technology (MIT) zunächst Computerspielzeug für Kinder und am MIT Artificial Intelligence Laboratory unter Marvin Minsky berührungsempfindliche Roboter entwickelte, ärgert sich heute darüber, dass die Debatte übers Lernen immer nur an Schulen festgemacht werde. Dabei handle es sich beim Absitzen des Unterrichts doch um die "am wenigsten wichtige und interessante Form des Lernens", bei der die Aufnahmerate bei Kindern auf wenige "Bits" gedrosselt werde. Bei Videospielen wie Nintendos Pokemon entwickelten die Kids dagegen schier unendliche neue Fähigkeiten.

Den Spieleprogrammierern schreibt das Allround-Talent Hillis eine große, die Wirklichkeit der Computergeneration formende Macht zu: "Ihr baut die sich im Unterbewusstsein ansiedelnden Blöcke, aus denen Kinder ihre Welt konstruieren." Es sei heute ganz klar, dass die Kids ihre Realität aus interaktiven Spielen ziehen würden, in denen sie die letztlich seit der Antike bekannten Heldengeschichten mit all ihren Herausforderungen wirklich durchlebten.

Film und Fernsehen verlieren für Hillis dagegen an wirklichkeitsprägender Kraft, da sie nicht vergleichbare Möglichkeiten zur Interaktion bieten. Computergames würden für Hollywood, das "alles Interaktive" als nebensächlich und "geeky" betrachte, daher zur großen Gefahr. Zumal, da Hillis davon ausgeht, dass dank des noch gar nicht in seiner Reichweite richtig verstandenen Siegeszugs des Internet bald jedes Gerät über die Möglichkeit zur Interaktion verfügt: "Jede Zapfsäule wird mit dir spielen", glaubt Hillis, der seit längerem das "Internet in jedem Türgriff" prognostiziert.

Mit Spaß und Spiel auf dem Weg zum Cyborg

Der Visionär, der vor dem Millennium begonnen hat, in langen Zeitdimensionen zu denken, eine 10.000-jährige mechanische Uhr gebaut hat und im Vorstand der Long Now Foundation sitzt (Die digitale Kultur entdeckt die Dauer, ist zudem fest davon überzeugt, dass die Wahrnehmung der Welt immer mehr mit einem spielerischen Lebensgefühl verschmilzt. Tragbare und vernetzte Spielekonsolen seien nur ein Anfang, die Zukunft würde Implantaten gehören, auch wenn sie heute noch umstritten seien. "Gibt es erst einmal neuronale Hardware, die dreidimensionale Visualisierungen erlaubt und unser Gedächtnis erweitert, dann werden die Menschen das einfach machen", ist sich Hillis sicher, der mit gutem Beispiel in die virtuelle Matrix (Die Matrix) voraus gehen würde: "Wenn ich selbst tausend Jahre leben könnte, indem ich mein Selbst in einen Computer herunter lade, wäre ich sofort dabei."

Auch mit der Verbreitung virtueller Schauspieler rechnet Hillis fest. Nicht nur, weil Hollywood Kosten sparen wolle, sondern weil sie uns nach einer Gewöhnungsphase einfach natürlich erscheinen würden.

Bis dahin müssten die Maschinen und ihre Entwickler allerdings noch viel lernen. Nicht zufrieden ist der Computerdesigner momentan etwa mit Bankautomaten, die nach dem Ausspucken des Gelds ein mechanisches "Dankeschön" aus ihren Soundmembranen heraus pressen - wo doch jeder wüsste, dass sie nicht dankbar seien. Die Dinge würden aber "noch zu unserer Lebenszeit" immer intelligenter und dabei auch "emotional" werden. Und zwar in der Auseinandersetzung der Gerätehardware mit durch Software simulierten Spielewelten - und keineswegs durch den Nachbau von gedächtnisähnlichen Strukturen in Maschinen, wie die Begründer der Künstlichen Intelligenz zunächst glaubten. Da sich die Menschenähnlichkeit in den Robotern allerdings spielerisch heraus bilde, "werden wir letztendlich nicht wissen, wie sie funktionieren."

Nur allzu verständlich sei es angesichts dieser die Zukunft gestaltenden Macht der Spiele-Entwickler, die Hillis als die "Spielbergs" und "Beethovens" der Zukunft ansieht, dass viele Außenstehende vor den "Wizards" und den Erschaffern der virtuellen Welten, mit denen sie oder zumindest ihre Kinder leben, Angst haben. "Viel ist von den Have und Have-nots die Rede", ereifert sich Hillis. Die größere Kluft verlaufe aber zwischen den Wissenden, den Eingeweihten, und den Unwissenden.

"Die Leute fürchten sich vor dem, was in ihrem Computer abläuft." Deswegen verachteten sie auch die Spieleprogrammierer und hofften, "dass das alles nur eine vorüber gehende Bedrohung ist."

Wie steht's mit der Moral?

Ganz herum kam der ganz in seinen Visionen schwebende Denker angesichts der von ihm gezeichneten schönen neuen Spielewelt allerdings nicht um die Sache mit der Gewalt in den Games. Denn obwohl oder gerade weil Hillis das heikle Thema in seinem Vortrag nicht einmal streifte, zielte die erste Frage aus dem Publikum auf die Vermischung von spielerisch ausgelebter und in die Alltagsrealität getragener Gewalt.

"Meine Frau wollte durchsetzen", konterte Hillis mit einem Schwank aus dem Familienleben, "dass unsere Kids keine Spielzeuggewehre bekommen." Der Effekt: "Die Kanonen wurden nur um so interessanter für sie, so dass sie schließlich mit Pistolen aus Ästen spielten." Die Moral von der Geschicht': "Kinder müssen gewisse Sachen einfach durchspielen." Und da sei es doch besser, bei Doom auf Aliens zu schießen als Indianer zu spielen. Ein Kind, dass im "Shooter-Stadium" stehen bleibe, habe er noch nicht erlebt. Das sei nur eine vorüber gehende Phase.

Und wie verhalte es sich mit dem großen Einfluss, den die Spiele-Entwickler auf die Gesellschaft ausüben, formulierte ein mit der Antwort nicht zufriedener Programmierer die Frage um. Könne man da von verantwortungsvollem Verhalten sprechen? "Da halte ich es mit dem Ernährungsmodell", philosophierte Hillis, bevor er die Freaks in den extra für sie dank der Sponsorengelder von Microsoft und Sega für eine Nacht aus seinem Winterschlaf erweckten, für seine Rollercoaster berühmten Playground "Great America" am Rande der Bay schickte: "Ihr seid für die Bereitstellung von ausreichend nährhaltigen Bausteinen verantwortlich. Und wenn ich mir das Spektrum der erhältlichen Spiele anschaue, so leistet ihr einen besseren Job als je zuvor."

Unter dem Beifall der Entwickler fügte er hinzu: "Angst ist einfacher zu programmieren als Hingabe und Inspiration." Die Designer müssten daher noch stärker die Herausforderung an nehmen, sich auch den "harten Sachen" zu stellen.

Fast gleichzeitig mit dem technischen Optimismus von Hillis über eine verspielte Zukunft warnte einer seiner Computergurukollegen, Bill Joy von Sun, vor den Gefahren der neuen Technologien, die sich zu verselbständigen beginnen: Angst vor der Zukunft.