Geiselnahme in Sydney endet mit Toten

Die australische Polizei sah sich gezwungen, das Gebäude zu stürmen

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Die Geiselnahme in Sydney (Sydney: Dschihadist hält Geiseln in einem Café fest) hatte für drei Personen, für zwei Geiseln und den Geiselnehmer, ein tödliches Ende. Fünf Personen, vier Geiseln und ein Polizist, wurden verletzt, laut Angaben mancher Medien zum Teil sogar schwer. Nach Informationen der Polizei kam es in der Folge von flüchtenden Geiseln zu Schüssen innerhalb des Gebäudes, in dem sich der Geiselnehmer und die restlichen Geiseln befanden. Die Polizei stürmte daraufhin das Gebäude.

Ein Teil der fatalen Geschehnisse ist in einem Video zu sehen. Man sieht sechs Personen mit teilweise erhobenen Händen in unterschiedlichen Richtungen aus einem Eingang laufen, einer weg vom Gebäude, fünf parellel zur Mauer des Gebäudes, Polizisten in Einsatzuniform machen leicht irritierte Bewegungen. Nach einer Weile dringen sie in das Gebäude ein. Anschließend sind länger anhaltende Schussgeräusche und laute Knaller zu hören.

17 Geiseln und ein Geiselnehmer

Einem Bericht des Channel 7-Reporters Chris Reason zufolge, dessen Sender sich gegenüber dem Café befindet und der nach eigenen Angaben das Geschehen aus der Nähe beobachtet hat - und augenscheinlich an zusätzliche Informationen gelangt ist -, soll der Flucht ein Versuch des Geiselnehmers vorangegangen sein, die Geiseln "wie eine Herde" an einen anderen Ort im Café zu manövrieren. (Einfügung: Am Dienstagmorgen wurde demgegenüber berichtet, der Täter sei erschöpft gewesen und habe kurze Einschlafphasen gezeigt). Den Moment nutzten sechs Geiseln zur Flucht.

Allerdings schreibt Reason von einer Geisel, die als erstes mit einigem zeitlichen Abstand, nämlich nach sechs Minuten, geflüchtet sein soll und von Polizisten genau untersucht wurde. Erst danach seien fünf weitere Geiseln aus dem Gebäudeinneren aufgetaucht. Im Video sieht es währenddessen ganz danach aus, dass sechs Flüchtende kurz hintereinander aus der Tür ins Freie gestürmt sind... Möglicherweise eine Wahrnehmungstäuschung?

Laut Polizeiangaben hatte der Geiselnehmer, der sich als Scheich bezeichnete, insgesamt 17 Geiseln in seiner Gewalt. Fünf von ihnen war bereits tagsüber die Flucht gelungen. Es blieben nach der geglückten Flucht von sechs weiteren Geiseln noch sechs Geiseln in der Gewalt des Mannes, der als radikal bekannt war. Danach waren Schüsse aus dem Inneren und Polizeikommunikation mit dem Ausdruck "hostage down" zu hören.

Plan "Emergency Action"

Plan EA ("Emergency Action") trat in Kraft, Polizisten mit Nachtsichtgeräten stürmten das Innere von zwei Eingängen. Draußen waren Schüsse zu hören und Explosionsgeräusche von "Percussion-Granaten", deren Knall den Gegner verwirren soll. Was im Inneren konkret geschah, was die Polizisten genau erkennen, wie präzise und überlegt sie handeln konnten, wie nervös sie waren, wie der Geiselnehmer mit der Situation umging, ist unbekannt.

Fest steht nur, dass außer dem Geiselnehmer auch zwei Geiseln ums Leben kamen. Möglicherweise durch die Schüsse, die zu hören waren, bevor die Polizei das Café stürmte. Bis dato nicht ausgeschlossen ist aber auch, dass sie dem Schusswechsel zwischen Polizei und ihrem Gegner zum Opfer fielen.

Die Aussagen des Operationsleiters, Police Commissioner Andrew Scipione, blieben gestern Abend vage. Auf die Frage, ob die Geiseln durch Schüsse vom Geiselnehmer oder von der Polizei getötet wurden, antwortete er, dass man sich über den genauen Ablauf erst Klarheit verschaffen müsse:

Again, as a result of an exchange of gunfire inside those premises, police moved in. At this stage as I’ve indicated we have a number of people that are injured and certainly we’re working through that as part of the critical incident.

Die Polizei habe nach den Schüssen aus dem Inneren des Gebäudes eingreifen müssen, weil man befürchten musste, dass "weitere Leben gefährdet sind".

Indessen berichteten australische Journalisten von früheren Auffälligkeiten des Geiselnehmers M., der 1996 in Australien als Flüchtling aus Iran aufgenommen wurde. Demnach präsentierte er sich vor Gerichtsverhandlungen (siehe Fanatiker mit Vorstrafen) außerhalb des Gerichtgebäudes in Ketten mit einem Plakat, auf dem die Behauptung zu lesen war, dass er während seiner U-Haft in Australien - ihm wurden mehrere Vergehen zur Last gelegt - gefoltert wurde.

Anweisungen von der "inneren Stimme"?

Vieles spricht dafür, dass der "selbsternannte spirituelle Heiler" ein Einzeltäter war, geistig auf obskuren Abwegen, der Anweisungen folgte. Die kamen aber höchstwahrscheinlich nicht von einer terroristischen Organisation, sondern vor allem aus seinem Inneren. Inwieweit dies mit Religion zu tun hat, ist eine interessante Frage, der jeder nachgehen kann, der im Religionsunterricht - unterschiedlichster Konfessionen - jemals die Botschaft vernahm, dass die innere Stimme jene ist, die von Gott kommt. Unterscheidungsvermögen und genaues Hinhören ist eine wesentliche Fähigkeit zivilisierten Zusammenlebens, wie sich immer wieder zeigt.

Die Nachricht von der brutalen Geiselnahme, die ihre Motive aus einem infantil zurechtgebastelten Weltbild eines Religionsfanatikers bezog, hat in einer Gegenwart, deren Medienwirklichkeit in vielen Ländern durch Debatten über Islam und den "Islamischen Staat" Stress und Aufwallungen erzeugt, natürlich Signalwirkung, die wegen der großen Aufmerksamkeit und dem Interpretationspielraum, die ihr zukommt, nicht zu unterschätzen ist.

Zumal das Wahnsinnige in Kreisen der Dschihadisten gefeiert und vom Medienpublikum beachtet wird. Dies hatte auch der von einer wahnhaften Religiösität beherrschte Geiselnehmer in Sydney auf der Rechnung, angeblich hatte er sich sehr darum bemüht, eine echte Fahne des "Islamischen Staats" in die Fenster des Cafés zu hängen (die Fahne, die dort hing, war die falsche).

So ist es verständlich, dass es in der Öffentlichkeit in Australien viele Stimmen gibt, die sich in der Furcht bestätigt sehen, die der hetzerische Gewaltaufruf des Sprechers des "Islamischen Staates" ("Tötet sie, bespuckt sie, verachtet sie") ausgelöst hat.