Gipfeldämmerung

Der G8-Gipfel in Italien könnte der letzte gewesen sein. Doch die Gipfelkritiker sind nicht in Feierlaune

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Eigentlich hätte der italienische Ministerpräsident für sein Statement zum Abschluss des G8-Gipfels sogar von seinen Gegnern Applaus bekommen müssen. Erklärte er doch, dass die G8-Gipfel als Treffen der reichen Staaten nicht in der Lage sind und auch nicht die Kompetenz besitzen, die Probleme der Welt zu lösen. Schließlich lebt der Großteil der Menschen in Ländern, die nicht auf dem Gipfel vertreten sind. Solche Sätze hörte man gewöhnlich auf den Treffen und Kongressen der Gipfelkritiker, sie treffen aber mittlerweile auch bei fast allen Regierungschefs, die auf dem Gipfel tagten, auf Zustimmung.

Abschlusstreffen des G8-Gipfels. Bild: G8Website/ANSA/Alessandro Di Meo

Schon vor einigen Tagen hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärt, dass in Zukunft wohl G-20-Treffen stattfinden werden. Diese Entwicklung hatte sich schon seit Längerem abgezeichnet. Auch der italienische Gipfel war strenggenommen kein reiner G8-Gipfel mehr, da vielfältige Verhandlungen mit Vertretern von Ländern stattfanden, die nicht zum erlesenen Club der G8 gehören.

Dass die Treffen jetzt offiziell erweitert werden sollen, dürfte auch durch die neue Weltaußenpolitik der US-Außenpolitik begünstigt worden sein. Schließlich macht Obama in seinen außenpolitischen Reden immer wieder deutlich, dass die USA die Führungsrolle in einer multipolaren Welt neu definieren wollen. Damit dürfte zumindest für die nächsten Jahre die Politik des einsamen Sheriffs, der ohne Rücksicht auf Verluste durch die Welt reitet, die Bösen bestraft und die Guten belohnt, der Vergangenheit angehören. Dazu hat sicherlich die zunehmende außenpolitische Isolation in den Jahren der Bush-Administration beigetragen.

Die USA waren damit auch wirtschaftspolitisch an ihre Grenzen gestoßen. Die zunehmende Diskussion über die Ablösung des Dollars als zentrale Leitwährung, trägt den Tatsachen Rechnung, dass die Rede vom Ende des US-amerikanischen Zeitalters keine Floskel ist. Die USA machen damit eine Erfahrung, die 1945 Großbritannien und Jahrhunderte vorher Spanien und die Niederlande machten. Eine solche Machtverschiebung ist mit innerkapitalistischen Auseinandersetzungen verbunden, bis sich eine neue Machtbalance herausbildet.

In der aktuellen Weltlage werden die Auseinandersetzungen zwischen der EU, Indien, China und den USA ausgetragen. Aber auch die ölproduzierenden Ländern wollen so viele Vorteile wie möglich aus ihrem begehrten Rohstoff schlagen. In dieser Phase versuchen alle größeren Staaten kleinere Länder als Verbündete auf ihre Seite zu ziehen. Deshalb äußert sich auch niemand gegen eine Erweiterung der G8 zu G20. Schließlich will man mögliche Bündnispartner nicht vor den Kopf stoßen. Je mehr Teilnehmer bei einem Treffen vertreten sind, desto wichtiger sind eine geschickte Bündnisstrategie und die Vorgespräche, bei denen die G8-Staaten auch weiter eine wichtige Rolle spielen wollen. Mit Obama an der Spitze haben die USA auf jeden Fall größere Chancen, auch in einer multinationalen Welt eine wichtige Rolle zu spielen, als unter Bush.

Nächster Stopp Kopenhagen

Das dürfte sich bald konkretisieren. Für den Herbst wird in Washington eine Konferenz vorbereitet, die sich mit der Überwindung der Wirtschaftskrise befassen wird. In Italien betonte man noch einmal, dass die Märkte offen bleiben, die internationalen Finanzmärkte besser kontrolliert und auch die soziale Dimension der Krise berücksichtigt werden sollen. Näheres regeln die Ländergesetze, müsste man bei solch allgemeinen Bekundungen, die ja auch vorher feststanden, hinzufügen.

Etwas konkreter wurde es bei Umgang mit der Ernährungskrise. Die G8-Staaten einigten sich auf einen Fonds in Höhe von 20 Milliarden Dollar. Das Geld soll direkt an die Bauern der ärmsten Staaten gehen und die nachhaltige Landwirte gehen. Außerdem soll die Vergabe der Entwicklungshilfe besser kontrolliert werden.

Den ersten wirklichen Test für das Funktionieren des Managements der multinationalen Welt aber dürfte es beim UN-Klimagipfel im Dezember 2009 in Kopenhagen geben. Dann muss sich zeigen, ob konkrete Vereinbarungen zum Klimaschutz möglich sind. Führende Politiker loben die guten Vorarbeiten beim Gipfel in Italien. Alle Beteiligten haben sich darauf verständigt, dass das Weltklima nicht mehr als 2 Grad steigen soll. Konkrete mittelfristige Schritte dahin aber wurden nicht formuliert. Sie müssen in den nächsten Monaten ausgehandelt werden, damit sie in Kopenhagen unterschriftsreif vorliegen.

Dass eine solch allgemeine Forderung, wie eine Begrenzung der Erwärmung auf 2 Grad, als Erfolg gefeiert wird, zeigt, wie wenig selbst die führenden Politiker von solchen Gipfeln erwarten. Es zeigt aber auch, wie schwer es gerade bei der Klimafrage ist, jenseits real existierender Interessengegensätze zu Vereinbarungen zu kommen. Die führenden Industriestaaten sind an der Erzeugung der Faktoren, die für die Erwärmung verantwortlich sind, wesentlich beteiligt gewesen. Wenn sie jetzt den aufstrebenden Industrieländern sagen wollen, dass industrielles Wachstum wegen des Klimawandels verlangsamt werden müsse, ist der Widerstand vorprogrammiert. Die Staaten, die noch nicht einmal auf den Status von Schwellenländern sind, könnten sich noch mehr als Verlierer im Klimapoker fühlen. Sie haben nicht nur am wenigsten zum Klimawandel beigetragen, sondern werden auch durch die Folgen des Klimawandels wie Dürre oder Überschwemmung besonders stark davon betroffen. Ihnen wird jetzt signalisiert, dass ein Wachstum nach bisherigen Kriterien für sie nicht Frage kommt. Hier müsste eine generelle Kritik am Wachstums- und Wirtschaftsmodell, wie sie seit Jahrzehnten von Umwelt-, Nord-Süd-Gruppen etc. vertreten wurden, ansetzen.

Dilemma der Globalisierungskritiker

Doch gerade beim Gipfel in Italien war diese Kritik nur schwach vertreten. Selbst ein Gegengipfel, auf dem über alternative Politikmodelle debattiert wird, gab es in L’Aquila nicht. Nur wenige Menschen, vor allem Bewohner aus der Erdbebenregion, die sich durch Berlusconis einsame Entscheidung, den Gipfel dorthin zu verlagern, vorgeführt fühlten und internationale Globalisierungskritiker protestierten. Mit der Parole "Yes, we Camp“ machten sie darauf aufmerksam, dass sie noch immer in provisorischen Unterkünften und Zelten leben müssen. Allerdings gab es auch Einwohner, die durch den Gipfel Unterstützung erwarteten.

Die Schwäche der Gipfelproteste in L'Aquila hat inneritalienische Gründe. Sowohl die parlamentarische als auch die außerparlamentarische Linke befindet sich in der Krise. Zudem ist das Trauma vom G8-Gipfel in Genua im Jahr 2001 vielen noch sehr präsent. Damals beantwortete die erste Berlusconi-Regierung große internationale Proteste mit massiver Repression in Form von Polizeigewalt und zahlreichen Gerichtsverfahren. Auch im Vorfeld des Gipfels von L’Aquila gab es Festnahmen von Oppositionellen, die die damaligen Ereignisse wieder bewusst machten.

Neben diesen hausgemachten Gründen ist die globalisierungskritische Bewegung auch international in der Krise. In Zeiten, in denen Politiker scheinbar Argumente übernehmen, fehlen ihnen weiterreichende Ziele. Zudem ist gerade der linke Teil der Globalisierungskritiker in einem Dilemma. Sie wollten mit den Protesten die Legitimität von Regierungen insgesamt infrage stellen. Doch gerade in Zeiten von Klima- und Wirtschaftskrise findet eher eine Relegitimierung von Staaten und Staatenbündnissen statt. Diese Entwicklung war spätestens beim G8-Gipfel in Schottland im Jahr 2005 zu erkennen (Armut wird nicht der Geschichte angehören), als ein Bündnis aus Künstlern und NGOs die Gipfelteilnehmer zu konsequenten Maßnahmen gegen den Hunger in der Welt drängte (Stimmen gegen die Armut), während ein Großteil der Gipfelgegner die Veranstaltung insgesamt infrage stellte.

Die Kontroverse stellt sich in der Bewegung jetzt noch dringlicher im Vorfeld des Klimagipfels von Kopenhagen. Denn dorthin mobilisiert vor allem der Teil der Globalisierungskritiker, der in Netzwerken und Nichtregierungsorganisationen arbeiten. Eine Gipfelblockade, wie sie anfangs auch für Kopenhagen vorgeschlagen wurde, wäre aber schwer mit den drängenden Forderungen der Mehrheit der NGOs in Einklang zu bringen, doch nun endlich aktiv zu werden und als Klimaretter aufzutreten. Gerade das Klimathema könnte so die Relegitimierung von Staaten und Staatenbündnissen als Problemlöser noch weiter vorantreiben.

Eine Erweiterung der Gipfel von 8 auf 20 würde eine solche Legitimierung vorantreiben, weil damit die Regierungen der Schwellenländer besser in ein globales Politikmanagement einbezogen würden. Moderate Teile der Globalisierungskritiker sehen hierin erste Erfolge ihrer Proteste. Der radikalere Flügel warnt davor. Wie die globalisierungskritische Bewegung diesen Dissens bewältigt, muss sich zeigen. Dass zumindest ihr aktivistischer Teil das G8-Treffen in Italien weitgehend ignorierte, ist allerdings nicht nur ein Ausdruck der Schwäche. Auch hier ist man sich bewusst, dass L’Aquila allenfalls ein Zwischenstopp auf dem Weg nach Kopenhagen war.