Google-Grenzerfahrung

Die andere Seite der Transparenz

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Dass ihn seine Internetaktivitäten eines Tages in größere Schwierigkeiten bringen könnten, war vorauszusehen. Nicht jedoch, dass ihn die Pein an der Grenze zwischen zwei großen freien Ländern des Westens erwartete.

Hossein Derakhshan ("Hoder") ist eine Internet-Berühmtheit, ein www-VIP. Von ihm gingen entscheidende Impulse aus, die zur Gründung der famosen iranischen Blogosphäre (vgl. "Ich möchte kotzen, zerspringen, explodieren") geführt haben. Der gebürtige Iraner Derakhshan betreibt seinen Blog – Editor:myself (englisch, persisch hier - von Toronto/Kanada aus, wohin er vor einigen Jahren ausgewandert ist, da ihm seine Arbeit als Journalist, der sich offen für die Reformbewegung in Iran aussprach, dort zu riskant wurde.

Seine Blog-Einträge werfen sporadische, kurze und erhellende Schlaglichter auf bemerkenswerte Entwicklungen in der iranischen Politik; besonders aufmerksam ist Hoder natürlich für Tendenzen, die sich im Umgang mit den publizistischen Möglichkeiten des Internet zeigen. Sein "Fachgebiet" sind die Blogs: für ihn wichtige "Fenster" und "Brücken" zwischen den verschiedenen Welten. Es gibt wohl kaum eine wichtige Veranstaltung, die sich mit Blogs beschäftigt, zu der Hossein Derakshan nicht eingeladen ist (vgl. Bestes Blog der Welt).

A sad but real story

Entsprechend viel ist Hoder unterwegs. Im November war er in Paris, Barcelona, Tunis mit einem Zwischenaufenthalt in Deutschland. Nachzulesen sind diese Stationen in seinem Blog, eigentlich keine bemerkenswerte Info, ebenso wenig wie die Mitteilung, dass er sich für eine Weile in New York aufhalte. Über so etwas gibt man halt seinen treuen Lesern Bescheid. Jetzt gewann Hoder zwei neue Leser hinzu, die alles, was er in den letzten Monaten zu berichten hatte, mit großer Neugier, stundenlang intensiv verfolgten und er ist alles andere als glücklich darüber: "a sad but real story".

Hoder war im Bus von Toronto nach New York City unterwegs, der Bus wurde an der Grenze zwischen Kanada und den USA aufgehalten. Als zwei Beamte der US Customs and Border Security von Hoder erfuhren, dass er zu einer Blogger-Konferenz (ConvergeSouth) in den Staaten unterwegs sei, wurden sie neugierig.

Vor seinen Augen googelten sie seinen Namen und fanden seinen Blog. Einer der beiden, so Hoder, las jeden seiner Einträge sorgfältig, es dauert nicht lange, bis er etwas fand, dass ihn mehr als alles andere interessierte:

You live in New York, right? That's what you've written in your on blog.

Überrascht, dass sich jetzt auch Grenzbeamten die Informationen über Besucher von Google holten, und etwas verwirrt darüber, mit welcher ernsthafter Gewichtung seine Blogeinträge jetzt auf ihn zurückkamen, gab Hoder zu, dass er sich einige Zeit in New York aufgehalten habe, weil dort Konferenzen stattfanden, und dies in seinem Blog schrieb, nicht zuletzt deswegen, weil es Spaß machte, so etwas hinzuschreiben: In New York zu leben sei doch sexier als in Toronto, don't you think? Der Grenzbeamte wurde "ekstatisch", suchte weiter und fand im Archiv des Blogs eine Stelle, wo sich Hoder über die Gefahren lustig machte, die ihm bei seinem diesjährigen Besuch in Iran tatsächlich bevorstanden (vgl. Zweierlei Iran). In dem Posting hatte er seine Leser (scherzhaft) davor gewarnt, dass die iranischen Grenzer bei Verhören herausfinden könnten, dass er mit Drogen handle und Geld von der CIA bekäme. Für den amerikanischen Grenzbeamten war dies - "So you are getting money from the Bush administration" - das Stichwort, um, berauscht von dieser Fahndungsquelle, online nach weiteren Spuren zu suchen, die bestätigten, dass Derakhshan illegal Geld in den USA verdienen würde und dass er sich dort einen unerlaubten ständigen Wohnsitz halte.

Zwar gelang es dem Exil-Iraner den Grenzpolizisten davon zu überzeugen, dass der CIA-Eintrag witzig gemeint war, doch der nahm aber andere Einträge, wie eben die über Konferenzen in den USA, bei denen man doch Geld verdiene, ernst und schließlich gab eine Newsweek-Ausgabe, die sich in Hoders Gepäck befand und eine New Yorker Adresse für Hossein Derakhshan hatte ("Ich wollte keine Nummer versäumen") den Ausschlag. In den nächsten sechs Monaten darf Hoder nicht mehr in die USA einreisen. So kam die Pein am Ende von der Seite, von welcher er es am wenigsten befürchtet hatte. Sein Besuch in Iran nämlich hatte keine unangenehmen Konsequenzen gehabt.