Hybriden und der Tod

Noch sind die Eisbären nicht endgültig zum Sterben verurteilt

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Die globale Klimaerwärmung lässt das Eis in der Arktis schmelzen, der Lebensraum der Eisbären wird zerstört, sie gelten als vom Aussterben gefährdete Art. Ohne Eisbarriere zu südlicheren Gebieten vermischen sie sich zunehmend mit anderen Bären. Aber es gibt noch Hoffnung für das größte an Land lebende Raubtier der Erde, wenn ab sofort der globale Ausstoß von Treibhausgasen stark verringert wird.

Es ist noch nicht zu spät, den Eisbären zu retten! Das ist der Appell der Wissenschaftler, die mit neuen Modellrechnungen die Auswirkungen des aktuellen Klimawandels auf den Polarbären (Ursus maritimus) untersuchten. Der Eisbär ist ein Publikumsliebling, auch wenn er nicht Knut heißt, im Zoo wohnt und eine Briefmarke unter dem Motto "Natur weltweit bewahren" zur Unterstützung von Klimaschutzprojekten ziert.

Das gigantische Raubtier (an Land ist nur der Kodiak-Bär ähnlich groß) des Hohen Nordens ist längst zum Sinnbild der Klimaerwärmung geworden, zum Totem-Tier der Klimaschützer.

Eine Eisbärin an der kanadischen Gestaden der Hudson Bay im Herbst 2010 wartet auf das sich bildende Eis. Foto: Steven C. Amstrup, Polar Bears International

Der Mensch heizt dem Klima ein. Die Emissionen von Landwirtschaft, Industrie, Verkehr und den Städten sorgen für eine schnelle Aufheizung der Temperaturen weltweit. Die Wetterorganisation der Vereinten Nationen hat kürzlich festgehalten, das das vergangene Jahrzehnt das wärmste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen war, und 2010 zu den heißesten Jahreskandidaten gehört (vgl. 2010 in the top three warmest years, 2001-2010 warmest 10-year period).

Und Ende November wurde ein neuer Rekord der weltweit in die Luft gestiegenen Treibhaus-Gase (vor allem Kohlendioxid und Methan) attestiert. Die Meteorologen der UNO fordern eine sofortige starke Reduzierung dieser Luftverschmutzung, um die weitere Aufheizung unseres blauen Planeten zu bremsen.

Die Erwärmung hat eine Vielzahl von Folgen auf die Lebensräume aller Kontinente. Besonders vehement trifft sie das vereiste, von Meer und Packeis geprägte Landschaft rund um den Nordpol: Die Arktis schmilzt. Seit Jahren mehren sich die alarmierenden Anzeichen. Und das Schwinden der Eisschilde und Gletscher beschleunigt sich, noch heftiger verläuft die Auflösung des Meereises (vgl. Eisschwund bestätigt und Schwindsucht). Die Nordwestpassage gibt den Weg für die Schifffahrt frei (vgl. Nordwestpassage so gut wie offen).

Zwei männliche Polarbären liefern sich nahe der Hudson Bay einen spielerischen Kampf. Foto: Steven C. Amstrup, Polar Bears International

Das Schwinden der Eisbarrieren hat zur Folge, dass die Tiere der südlicheren Regionen sich mit den Polarbewohnern paaren und gemeinsame Nachkommen zeugen. Kanadische Braunbären ziehen zum Beispiel immer öfter weit nach Norden in die arktische Gebiete hinauf.

In der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Nature berichten Brendan Kelly vom National Marine Mammal Laboratory in Alaska und US-Kollegen über die zunehmende Hybridisierung der Arten der Arktis.

Die Forscher kommen zu dem Schluss, dass 22 arktische Tierarten betroffen sind, von denen 14 potenziell gefährdet sind. Eine beträchtliche Gefahr für die Biodiversität des Hohen Nordens.

Das Team um Brendan Kelly weist daraufhin, dass Hybridisierung in der Natur ein völlig normaler Vorgang ist. Aber in diesen Fällen handelt es sich um eine vom Menschen verursachte Vermischung, die sehr schnell verläuft und dabei die genetische Vielfalt stark reduziert. Die Biologen fordern, angesichts des aktuellen Eisrückgangs rasch tätig zu werden:

Es ist noch weitgehend unbekannt, in welchem Umfang Hybridisierung auftritt, ganz zu schweigen davon, wie stark sie Populationen beeinflusst. Deshalb müssen dringend Maßnahmenkataloge erarbeitet werden, wie die Genpools arktischer Tiere überwacht und wie mit Hybriden umzugehen ist – bevor sich die bislang isolierten Populationen mischen und gefährdete Arten ganz aussterben. (…) Die Weltnaturschutzunion (IUCN) sollte deswegen eine umfassende Strategie entwickeln… Es sollte Empfehlungen geben, wann Hybridbildung einzuschränken oder ganz zu unterbinden ist.

An einer zugefrorenen Senke nahe der Hudson Bay Küste treffen sich zwei junge Eisbären-Männchen. Foto: Steven C. Amstrup, Polar Bears International

Es trifft viele verschiedene Spezies, seit vielen Jahren entdecken die Forscher immer wieder Wale, Seehunde oder eben auch Eisbären, die sich artenübergreifend fortgepflanzt haben. Ein Jäger erlegte 2006 ein Tier in der Arktis, das weißes Fell mit braunen Flecken hatte. Gentests ergaben, dass es sich um einen Mischling handelte, einen halben Grizzly). 2010 wurde erneut ein solcher Eis-Grizzly erschossen – in diesem Fall bereits ein Exemplar der zweiten Generation.

Die Experten waren erstaunt, denn obwohl bekannt war, dass die beiden Arten genetisch sehr eng verwandt sind, reagieren sie bei ihren seltenen Begegnungen in der freien Wildbahn sehr aggressiv aufeinander – bislang war das jedenfalls so. Es gibt nur noch 22.000 Eisbären und wenn sie beginnen, sich mit Grizzlys zu paaren, werden sie aussterben, denn ihre speziellen evolutionären Anpassungen werden im Erbgut der Braunbären aufgehen.

Die Forschergruppe weist auf das Beispiel eines Mischung von Polarbär und Grizzly hin, der in einem deutschen Zoo geboren wurde. Das Tier verhielt sich bei der Robbenjagd ähnlich wie ein Eisbär, aber er konnte bei weitem nicht so gut schwimmen.

Ein Bild, dass die zunehmende Bedrohung illustriert: Zwei Polarbären auf einer Eisscholle im arktischen Meer. Foto: Jessica K Robertson , U.S. Geological Survey

Ebenfalls in Nature veröffentlicht eine zweite Forschergruppe ihre Untersuchung über die akute Gefährdung der Eisbären. Das Team um Steven C. Amstrup vom US Geological Survey in Anchorage, Alaska, hat eine Modellrechnung erstellt, um zu sehen, wie die Chancen des Eisbären in naher Zukunft stehen. Und das Ergebnis ist durchaus positiv: Die weißen Riesen können überleben, wenn die Politik es schafft, rasch die Treibhaus-Emissionen stark zu reduzieren.

2007 hatte der US Geological Survey Alarm geschlagen und in mehreren Untersuchungen verdeutlicht, dass die Zukunft des Ursus maritimus durch die sich ständig verstärkende Eisschmelze finster aussehe. Was sie nun soweit bestätigen, als ihre Studie erneut zeigt, dass es bei gleich bleibenden Bedingungen um das Jahr 2050 nur noch ein Drittel der heutigen Eisbären geben wird – und bei einer Zahl von nur noch rund 7.000 Tieren stünde dann das konkrete Aussterben vor der Tür.

Der Eisbär steht also zurecht seit 2008 auf der Roten Liste der gefährdeten Arten.

Eisbären – hier ein Weibchen – brauchen das Eis, um sich darauf zu paaren. Aber auch um zu jagen, denn Robben sind ihre Leibspeise. Foto: Steven C. Amstrup, Polar Bears International

Aber es gibt die Möglichkeit der Rettung, wenn sich die Verhältnisse ändern. Steven Amstrup erklärt:

Was wir 2007 erforscht haben, beruhte aus einem Business-as-usual-Szenario der Treibhausemissionen. Das Resultat war eine sehr düstere Prognose, die aber die Möglichkeit der Verringerung der Treibhausgase nicht berücksichtigte.

Die neue Studie geht nun von verschiedenen Szenarien aus und verdeutlicht, dass der Eisschwund nicht automatisch ab einem bestimmten Punkt umunkehrbar ist. Immer wieder war in der Vergangenheit darüber diskutiert worden, ob es einen Umkipp-Punkt gebe, ab dem unabhängig von äußeren Einflüssen, sich das Eis auf jeden Fall weiter in Wasser auflösen würde – unter anderem wurde dabei der Spiegeleffekt von Eis angeführt, der zu einer Reflektion des Sonnenlichts führt und so eine Erwärmung ausbremst .

Einen derartigen Umkipp-Punkt gibt es nach den neuen Berechnungen mit einem speziell entwickelten vernetztes Kreislauf-Modell, unter Berücksichtigung des Eis-Wasser-Verhältnisses bei steigenden Temperaturen, zumindest theoretisch nicht. Die Eismassen können sich potenziell immer noch regenerieren. Das Todesurteil für den Polarbären ist also noch nicht unterzeichnet.

Allerdings ist es zur Rettung der Tiere nötig, in den kommenden zehn bis zwanzig Jahren die Treibhausgasemission gravierend zurückzufahren. Co-Autorin Cecilia Bitz meint:

Unsere Forschungsergebnisse beinhalten eine viel versprechende, hoffnungsvolle Botschaft, aber sie sind auch ein Motivationsschub, um die Treibhausgas-Emissionen zu reduzieren.

Dennoch betonen die Wissenschaftler, dass der aktuelle Schutz der Eisbären auf jeden Fall aufrecht erhalten werden muss. Denn wenn die arktische Tierwelt und ihr König, der Eisbär, überleben sollen, müssen die Politiker weltweit sehr schnell klare Entscheidungen treffen.