"Ihre Papiere, bitte"

Die USA diskutieren die Einführung eines Personalausweises; Oracle und Microsoft bieten dafür die Technologie an

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

In den USA ist nach dem 11. September sofort eine Debatte um die Einführung eines Personalausweises entbrannt. Experten glauben, dass die von mächtigen Datenbanken gestützten Ausweise Terroristen daran hindern würden, unter Decknamen aufzutreten. Oracle-Chef Larry Ellison (You have zero privacy anyway) bot sogar an, kostenlose Software für das künftige Identifikationssystem zur Verfügung zu stellen. Bürgerrechtsorganisationen wie ACLU und EPIC, aber auch Lobbygruppen von links bis rechts hingegen befürchten, dass Bürgerrechte in "ernsthafter" Gefahr sind.

Aus deutscher Perspektive mögen die mit dem Personalausweis verbundenen Sorgen übertrieben sein. Wenn jedoch die Amerikaner ihren Personalausweis über einen Führerschein mit biometrischen Merkmalen wie dem Fingerabdruck einführen, wird dies auch die heimische Debatte um den biometrischen Personalausweis beeinflussen. Denn die Debatte in den USA und Großbritannien weist in die Richtung einer Dienstleistungskarte mit digitaler Signatur.

Autofahrer, Fluggäste, Computernutzer

Derzeit werden in den USA mehrere Möglichkeiten für die Umsetzung einer persönlichen ID-Nummer diskutiert. So schlug der Amerikanische Verband der Kraftfahrzeugsverwaltung AAMVA vor, in die Führerscheine biometrische Daten wie den Fingerabdruck aufzunehmen. Dafür verlangt AAMVA vom Kongress nur schlappe 100 Millionen US-Dollar - die Sozialbehörde Social Security Administration befürchtet jedoch Einführungskosten in der Höhe von 4 Milliarden US-Dollar.

Auch gibt es Pläne, Fluggäste mit Identifikationssnummern zu versehen. Ein Bericht des Nationalen Forschungsrats, der Anfang April vorgestellt wurde, sieht sowohl in dem AAMVA-Vorschlag sowie der Fluggast-Nummerierung die Einführung eines nationalen Identifikationsstandards, was in den USA quer durch alle Parteien immer noch verpönt ist. Befürchtet werden "Gestapo-ähnliche" Situationen, in denen Sicherheitsbeamte ohne konkreten Anlass "Ihre Papiere, bitte" fordern können.

Nun wirft aber auch offenbar Softwareriese Microsoft mit einer "E-Government"-Strategie sein Gewicht in die Waagschale: Mark Forman, IT-Direktor im Weißen Haus, teilte jüngst mit, dass man im Rahmen der "E-Identifikation"-Initiative den Einsatz von Microsofts datenschutzrechtlich umstrittener Passport-Technologie (Vgl. Sicherer Hafen Microsoft?) erwäge, um jedem Bürger und Unternehmen eine ID-Nummer zu verpassen, der Online-Dienstleistungen der Regierung in Anspruch nehmen will. Immerhin vergibt die US-Verwaltung in diesem und nächstem Jahr Aufträge in der Höhe von 100 Milliarden US-Dollar über das Netz. Angeblich nutzen schon heute 200 Millionen Nutzer Microsofts Passport.

Dieser Weg scheint in die wohl erfolgsversprechendste Richtung zu weisen: Die Bürger sollen von ihren neuen Ausweiskarten direkt profitieren. Entsprechend ist auch die Initiative des den Demokraten nahestehenden Progressive Policy Institute zu sehen, das die Karten nicht nur mit biometrischen Daten, sondern auch mit weiteren Funktionen aufladen will. Sie sollen dann auch als Lebensmittelkarte für Sozialhilfeempfänger, für Wählerregistierung, als Bibliotheksausweis oder als Jagdlizenz dienen..

Visa

Biometrische Ausweissysteme in den USA werden jedoch erst einmal flächendeckend an den Außengrenzen eingeführt. Erst am 18. April hatte der US-Senat den Enhanced Border Security and Visa Entry Reform Act of 2001 verabschiedet. Mit dem neuen Visa-Regime dürfen spätestens ab dem 26. Oktober 2003 Reisende in die USA nur noch mit biometrischen Visa einreisen. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum die USA im internationalen Standardisierungsgremium ISO auf die Einrichtung eines eigenen Sub-Committees für Biometrie drängten. Derzeit erarbeitet die US-amerikanische Standardisierungsorganisation ANSI das Arbeitsprogramm für das neue Kommittee.

Die EU-Kommission, die bereits im Oktober ein entsprechendes Arbeitspapier vorgestellt hatte, beschloss gerade einen Tag zuvor, am 17. April, Visa für die EU künftig nur noch mit Lichtbildern auszustellen. Diese können dann ebenfalls nach biometrischen Merkmalen analysiert werden - entsprechende Bildqualität vorausgesetzt. Die Gesichtserkennung als biometrisches Verfahren wird auch von der zivilen Luftfahrtbehörde der Vereinten Nationen ICAO (International Civil Aviation Organization) bevorzugt. Der ICAO, die für die internationale Harmonisierung des Ausweis- und Passwesens zuständig ist, arbeitet wiederum ISO zu. Damit greifen auf internationaler Ebene verschiedene Arbeitsprozesse ineinander, die letztlich auch zu der Einführung des biometrischen Ausweises in Deutschland führen werden.

Bürgerkarten in Europa

In Großbritannien ( Vgl. Globale Ausweispflicht) hatte Innenminister David Blunkett die Einführung eines Personalausweises gefordert. Nachdem sich jedoch der schottische Justizminister Jim Wallace gegen die Einführung ausgesprochen hatte, aber auch die liberalen Demokraten Zweifel an dem auf 1 Milliarde Pfund teuren Projekt angemeldet hatten, wurde es um die Pläne wieder recht still. Dennoch richtete das Innenministerium kürzlich eine Arbeitsgruppe zum Thema ID cards ein - wohl um die Einführung von Bürgerservice-Karten (Vgl. Vom Öffnen der Daten-Schleusen) zu beraten. Eine auch in Deutschland seit langem geplante Asyl-Karte samt Fingerabdruck gibt es in Großbritannien schon längst.

In Deutschland können Ausländerausweise mit biometrischen Verfahren auf der Basis einer Rechtsverordnung zugelassen werden. "Dies läuft darauf hinaus, dass der Probelauf mit elektronischen Ausweisen in Deutschland bei Ausländern durchgeführt werden kann", kritisiert der schleswig-holsteinische Datenschützer Helmut Bäumler in seinem jüngst vorgestellten Tätigkeitsbericht.

Im Bundesinnenministerium befasst sich derzeit eine Projektgruppe Biometrie mit der Bestandaufnahme verfügbarer biometrischer Systeme und Verfahren. Bei Ministergesprächen im EU-Rahmen wurden biometrische Ausweissysteme bereits diskutiert. Ein erstes Fachgespräch fand mit den Niederlanden Anfang Februar statt. Mit Italien wird ebenfalls bald ein erstes Gespräch stattfinden. Für Juni 2002 ist eine Konferenz aller EU-Mitgliedstaaten zu dem Thema geplant.

Als Vorreiter in Europa gilt der finnische Personalausweis. In Finnland können Bürger freiwillig die mit einer digitalen Signatur ausgestattete Finn-Card beziehen. Doch sie scheint jedenfalls nicht die hoch gesteckten Erwartungen zu erfüllen. Bis Mitte 2001 wurden gerade einmal 9.864 Karten ausgegeben. Die Hälfte davon im Stadtbereich von Helsinki.