Kein Entkommen aus dem Treibsand

Aber man versinkt auch nicht vollständig

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Im Kinofilm wurde in legendären Szenen gezeigt, wie ein Mensch langsam im Treibsand versinkt. Keine Chance zu entkommen. Das Szenario ist nur bedingt realistisch: Wer einmal feststeckt, kann sich zunächst nicht aus eigener Kraft befreien. Wer sich allerdings ruhig verhält, bleibt zwar bis zur Körpermitte stecken, geht aber nicht völlig unter. "Reglos verharren und auf Hilfe warten", so lautet der aktuelle Tipp niederländischer Forscher. Und wer lange genug wartet, der taucht von selbst ganz langsam aus dem nassen Sandmatsch wieder auf.

Im Wissenschaftsjournal Nature berichten A. Khaldoun und G. H. Wegdam vom Van der Waals-Zeeman Institute und E. Eiser sowie Daniel Bonn von der Universiteit van Amsterdam über ihre Studie des Verhaltens dieser Art von nassem Sand.

Im Gegensatz zum gängigen Klischee ist es nicht trockener, sondern mit Wasser getränkter Sand, in den schwere Objekte einsinken und festgehalten werden – umgangsprachlich Treibsand genannt. Das Phänomen tritt dort auf, wo Flüsse oder Bäche ins Meer fließen, manchmal auch nach Erdbeben, wenn unterirdische Wasserquellen zu fließen beginnen.

Inzwischen wissen die Physiker, dass Luftwirbel auch komplett trockenen Sand tatsächlich so verwirbeln können, dass er als Falle funktioniert – allerdings ist das ein sehr seltenes Phänomen, das eine extrem luftige Mischung erfordert. Der Nachweis, dass die Berichte von Menschen oder Autos, die von Sanddünen in Wüsten „verschluckt“ wurden, realistisch sein könnten, wurde Ende letzten Jahres in einem niederländischen Labor erbracht (Dry Quicksand).

Filmszene aus Aoom (1970): der Detektiv versinkt im Treibsand

Treibsand besteht aus Sand, Salzwasser und einem Lehmanteil. Eine Mischung, wie sie sich an jedem Meeresstrand findet. Aber unter welchen Bedingungen verwandelt sich der Boden in diese Art von Matsch, in den man versinkt?

Wenn Sand, also körnige bzw. granulare Materialien, mit Wasser gemischt werden, werden sie zunächst fester. Ein klassischer Effekt, den viele Menschen jeden Sommer zum Sandburgenbau nutzen.

Was in der Praxis durch Rumprobieren problemlos funktioniert, ist für Physiker eine echte Herausforderung. Die granulare Dynamik ist ein kompliziertes Fachgebiet. Massen von Granulaten verhalten sich sowohl wie Festkörper als auch wie Flüssigkeiten. Wird ein Sack bis zum Rand mit Sand gefüllt und verschlossen, sind die Körner ihrer Bewegungsmöglichkeiten beraubt und dicht aneinander gepresst – wie mit einem Festkörper können mit ihnen sogar Dämme stabilisiert werden. Wird der Sack geöffnet und ausgeleert, rinnen die Körner heraus und erinnern in ihrem Verhalten an eine Flüssigkeit. Allerdings bilden sie dann auf dem Boden einen Haufen – ein Verhalten, das Flüssigkeiten nicht bieten können. Granulate reagieren sehr komplex auf die äußeren Umstände, bzw. auf einwirkenden Kräfte (Auf Sand gebaut).

Nicht bewegen und auf Hilfe warten

Die Forschergruppe um Khaldoun baute sich im Labor aus den klassischen Zutaten, also feinem Sand, Salzwasser und Lehm, ihren eigenen Treibsand, um das Verhalten dieses mysteriösen Stoffes zu untersuchen. Bei ihren Versuchen zeigte sich, dass die brisante Mischung besonders empfindlich auf Stress reagiert. Wird der Treibsand in Bewegung versetzt, dann reagiert er mit wachsender Instabilität. Zunächst verflüssigt sich der nasse Sand, dann hält er fest, was er eingefangen hat. Die Wissenschaftler stellten fest, dass die entstehende und fortschreitende Instabilität am besten mit Bewegungslosigkeit gestoppt werden kann.

Ein wenig Wasser verleimt den Sand und macht ihn stabiler, aber zu viel Wasser sorgt dafür, dass er als Matsch wegflutscht oder sogar als trübe Brühe davon fließt – das weiß jeder Sandburgenbauer. Dasselbe Prinzip liegt dem Entstehen von Treibsand zugrunde.

Einer Plastikfigur des Taz (Tasmanian Devil ) geht es auf dem Treibsand genauso wie einem Menschen: Sie sinkt ein, geht aber nicht völlig unter (Bild: Daniel Bonn)

Daniel Bonns Forschungsinteresse wurde auf einer Reise in den Iran geweckt, als ihn die Einheimischen vor Treibsand am Namak-See im Norden des Landes warnten. Bonn nahm Bodenproben vom Ufer des Salzsees. Die folgende Untersuchung in den Niederlanden ergab die entsprechenden Anteile der Zusammensetzung aus Sand, Wasser und Lehm. Die Forscher bauten die Masse nach und begannen ihre Versuche.

Auf trockenem oder nur etwas angefeuchteten Sand kann ein Mensch einen langen Strandspaziergang machen. Er geht wie auf festem Boden. Wird dem Sand aber genug Wasser zugeführt, dann trägt er nicht mehr, da die Sandkörner zu weit voneinander entfernt sind, um sich aneinander zu reiben (Haftreibung). In Bewegung versetzt, driften sie auseinander und was auch immer über ihnen ist, geht in der entstehenden Flüssigkeit unter.

Dabei genügt eine relative geringe Belastung – wie die Forscher herausfanden, genügt eine Erhöhung der Beanspruchung um ein Prozent – die Fließgeschwindigkeit im Zweifelsfall um das Millionenfache zu erhöhen. Dadurch entsteht der starke Sog nach unten. Die Sandpartikel fließen nach unten und ziehen dabei alles mit sich, was von oben den Druck erzeugt hat. Die Autoren schreiben:

Jedes unglückliche Opfer wird zur Hälfte in den Treibsand einsinken, aber als Trost kann festgestellt werden, dass es kein Risiko gibt, unter die Oberfläche gezogen zu werden.

Das gilt jedenfalls für den, der sich nicht bewegt. Wer heftig strampelt, versinkt letztlich komplett, weil er den Prozess der Bewegung der Sandkörner verstärkt. Die im Treibsand wirkenden Kräfte sind enorm. Um seinen Fuß aus dem Schlick herausziehen zu können, muss so viel Kraft eingesetzt werden, wie sie zum Anheben eines mittelgroßen Autos nötig sind.

Am besten also ausharren und auf Hilfe warten. Wenn sich nach einer Weile die Sandkörner von selbst auf dem Grund absetzen, entsteht ein Auftrieb, der einen langsam wieder nach oben drückt. Schlecht nur, wenn am Meeresufer gerade die Flut einsetzt...