Klimapolitik: Vor der Verantwortung gedrückt

Die Energie- und Klimawochenschau: Ergebnislose Klimaverhandlungen, überflüssige AKW und Windparks in den Roaring Fourties

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In Bonn ist am Freitag eine zweiwöchige Vorverhandlungsrunde für den UN-Klimagipfel im Dezember zu Ende gegangen. Knapp sechs Monate sind nur noch Zeit, um einen neuen Klimaschutzvertrag auszuarbeiten, aber greifbare Ergebnisse sind nach elf Verhandlungstagen nicht vorzuweisen (siehe auch Klimapolitik: Reiche und arme Länder im Clinch und Wenig Anlass für Optimismus).

Meena Raman, die Ehrenvorsitzende der Freunde der Erde Malaysia (Sahabat Alam Malaysia) und Mitarbeiterin des Third World Network zeigte sich im Gespräch mit Telepolis sehr verärgert über den mangelnden Verhandlungsfortschritt. Die Industriestaaten würden sich viel zu wenig bewegen und sich lieber hinter den USA verstecken. Doch die biete allenfalls an, ihre Emissionen um vier Prozent gegenüber dem 1990er Niveau zu reduzieren. Nötig sei hingegen viel mehr.

Es gibt zum Beispiel den Vorschlag eine Gruppe von 37 Entwicklungsländern, die von den Industriestaaten mindestens 40 Prozent Reduktion bis 2020 fordern. Die Gruppe der kleinen Inselstaaten fordert sogar 45 Prozent bis 2020.

Meena Raman

Außerdem müssten die Industriestaaten die Verantwortung für ihre historischen Emissionen übernehmen, die sich in den letzten 150 Jahren in der Atmosphäre akkumuliert haben.

Angesprochen auf das Argument, auch die großen Entwicklungsländer wie China und Indien müssten zum Klimaschutz beitragen, verweist die energische Malaysierin auf die Formel der Klimarahmenkonvention, wonach es eine "gemeinsame aber unterschiedliche Verantwortung" gebe:

Wenn man sich die Ankündigungen Chinas und Indiens anschaut, dann wird dort in Sachen erneuerbarer Energieträger sehr viel getan, mehr als in Ländern wie zum Beispiel Großbritannien. Der Ausbau der Windenergie und der Photovoltaik, der Stromgewinnung mit Hilfe der Sonne, schreitet sehr schnell voran.

Meena Raman

Sie meint, Indien und China könnten mit einigem Recht sagen, dass sie ihren Teil der Verantwortung übernehmen, während sich der reiche Norden vor seiner drückt und gleichzeitig diesen beiden Ländern die Schuld in die Schuhe schieben wolle.

Unterdessen gibt es aus den USA weiter starken Druck auf China, dessen Emissionen in absoluten Zahlen seit zwei Jahren etwas über denen der USA liegen, die aber umgerechnet auf die Einwohnerzahl immer noch erst ein Viertel des US-amerikanischen Wertes erreicht haben. Im Interview mit dem chinesischen Wirtschaftsblatt Business Weekly meint der US-Chef-Unterhändler Todd Stern zwar, dass man von China zum jetzigen Zeitpunkt keine verbindliche Emissionsobergrenze verlange, sondern nur wolle, dass die freiwilligen Anstrengungen zur Steigerung der Energieeffizienz und ähnliches auch in den nächsten Fünf-Jahresplänen fortgesetzt werden.

Gleichzeitig verweist Daniel Dudek, der Chef-Ökonom des New Yorker Environmental Defense Fund jedoch darauf, dass es sehr schwer würde, Klimaschutzgesetze durch den US-Kongress zu bringen. Der ehemalige Präsidentschafts-Kandidat, Obama-Unterstützer und Senator John Kerry, der eine wichtige Rolle bei den Demokraten spiele, habe gesagt, dass der Senat kein Klimaschutzabkommen ratifizieren werde, wenn China nicht seine Emissionen reduziere. Wie Stern sieht Dudek durchaus, dass China bereits erhebliche Anstrengungen unternimmt, aber die Schwierigkeit sei, die Abgeordneten davon zu überzeugen. Zwei Jahrzehnte Wühlarbeit der Erdöl- und Kohlelobby haben offensichtlich tiefe Spuren hinterlassen.

AKW Krümmel. Bild: Screenshot Google Maps

Krümmel wieder ans Netz?

Das AKW Krümmel an der Elbe in Schleswig-Holstein steht nun schon fast zwei Jahre still. Ende Juni 2007 war dort ein Transformator in Flammen aufgegangen (Pannenserie in Vattenfall-AKWs). Der Unfall offenbarte seinerzeit interessante Lücken im Sicherheitskonzept des Kraftwerks. So hatten die Mitarbeiter im Kontrollraum erhebliche Atemnot, weil die Klimaanlage den Rauch des Transformatorbrandes ungehindert in das Gebäude blies. Kürzlich hat der Betreiber Vattenfall nun bei der Landesregierung in Kiel die Wiederinbetriebnahme seines Strahlenmeilers beantragt.

Die Initiative ausgestrahlt fordert jedoch die zuständige Sozialministerin Gitta Trauernicht (SPD) auf, die Genehmigung nicht zu erteilen. Der Reaktor ist seit vielen Jahren wegen einer bisher nicht befriedigend erklärten Häufung von Leukämienfällen in seiner Nachbarschaft im Gerede. Initiativensprecher Jochen Stay beruft sich bei seinem Appell an Trauernicht auf den Leiter des Deutschen Kinderkrebsregisters Peter Kaatsch.

In der Juni-Ausgabe des Deutsches Ärzteblatts schreibt dieser:

Es mag richtig sein, dass Kinder eine andere Strahlensensibilität aufweisen als Erwachsene. Deshalb macht es durchaus Sinn, die vorhandenen anerkannten Berechnungsmodelle zu Dosisabschätzungen zu hinterfragen und möglicherweise durch bessere Modelle zu ersetzen.

Peter Kaatsch

Kaatsch ist einer der Autoren der Kinderkrebsstudie (KiKK-Studie), die ein deutlich erhöhtes Krebsrisiko für Kinder in der Umgebung der deutschen Atomkraftwerke nachgewiesen hat. Ärzteorganisationen fordern seit langem, die Strahlenschutzgrenzwerte nach unten zu korrigieren.

Stay verweist außerdem auf die in den letzten zwei Jahrzehnten durchgeführten rund 200 technischen Änderungen am AKW Krümmel. Das AKW arbeite daher nicht mehr mit dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik, den das Bundesverfassungsgericht für Atomanlagen gefordert habe:

Der Reaktor ist weiterhin nicht gegen den Absturz eines größeren Flugzeuges geschützt. Immer noch erkranken weitere Kinder im Umkreis des Reaktors an Leukämie. Ministerin Trauernicht hat daher nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht, die Wiederinbetriebnahme des Reaktors zu verhindern. Die vergangenen zwei Jahre haben gezeigt, dass niemand den Strom aus dem AKW Krümmel braucht.

Jochen Stay

AKWs überflüssig

Letzteres gilt auch für andere AKWs. Eine Reihe der ältesten deutschen Atommeiler könnten sofort abgeschaltet werden, ohne dass es Versorgungsprobleme gäbe. Das ergibt sich aus einer Rechnung, die am Wochenende die Umweltorganisation Greenpeace vorgelegt hat. Die vier ältesten und als nächstes zur Stilllegung anstehenden AKW Biblis A und B sowie Brunsbüttel und Neckarwestheim 1 haben nach Greenpeace-Angaben im Jahr 2008 rund 22 Milliarden Kilowattstunden erzeugt, wobei Brunsbüttel seit einem Zwischenfall nun schon fast zwei Jahre gänzlich stillsteht. Diese Strommenge entspricht ziemlich genau dem deutschen Nettostromexport. 2008 war dieser mit 22,5 Milliarden kWh noch um 3,5 Milliarden kWh größer war als im Vorjahr, obwohl nicht nur Brunsbüttel sondern auch Krümmel ganzjährig stillstanden (siehe Jahresbericht der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen).

"Viele alte Meiler stehen wegen technischer Probleme sowieso die meiste Zeit still und zeigen so, wie unzuverlässig und überflüssig die Hochrisikotechnologie Atomkraft ist", meint Greenpeace-Atomexperte Heinz Smital. Der Anteil der sieben ältesten Anlagen - Biblis A und B, Brunsbüttel, Neckarwestheim 1, Isar 1, Philippsburg 1 und Unterweser - an der Stromversorgung habe in den vergangenen vier Jahren durchschnittlich nur noch 6,9 Prozent betragen. 2001 seien es hingegen noch 8,9 Prozent gewesen, 2007 erreichte ihr Beitrag mit 4,8 Prozent den bisher niedrigsten Wert.

Wenn die sieben alten Reaktoren sofort vom Netz gehen, ist das ein großer Gewinn für die Sicherheit. Versorgungsengpässe oder gar eine 'Stromlücke', mit der die Atomlobby droht, gibt es nicht.

Heinz Smital

Vielleicht 2011

Der schnelle Ausstieg aus der Atomwirtschaft wäre sicherlich auch ein klares Signal an Länder wie den Iran, der gerade erst ein Atomprogramm aufbaut - wie einst Deutschland sicherlich nicht ohne militärische Hintergedanken - oder zum Beispiel Argentinien, wo angesichts der teils prekären Energieversorgung und der schwindenden Ölvorräte immer wieder mal über den Neubau von Atomkraftwerken diskutiert wird. Am morgigen Mittwoch will sich Argentiniens Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner in Patagonien, im Süden des Landes, auf der fast schon legendären Reaktorbaustelle Atucha II über den Fortgang der dortigen Arbeiten informieren.

An dem AKW wird seit den 1980er Jahren gebaut. Zwischendurch ruhten die Arbeiten für mehr als zehn Jahre vollständig. Derzeit gibt es einige Aufregung, weil angeblich Gelder aus öffentlichen Pensionsfonds verwendet werden sollen. In Argentinien ist das ein besonders sensibles Thema, da viele Rentner in der schweren Krise 2001/2002 einen großen Teil ihrer Ersparnisse verloren. Die Fertigstellung des Reaktors ist unterdessen mal wieder verschoben worden. Statt Mitte 2010 soll es nun 2011 werden, bis er ans Netz geht.

Auch mit dem Ausbau der erneuerbaren Energieträger geht es im Pampa-Staat bisher eher langsam voran, doch das könnte sich demnächst ändern. Nachdem argentinische Fachleute seit Jahren gedrängt haben und der nationale Windenergieverband 2007 eigens den Weltkongress der Windmüller ins Land holte, um mehr Druck zu machen, könnte es mit der Windenergie nun endlich vorangehen. Nach einem Bericht des spanischsprachigen Dienstes der Nachrichtenagentur AFP hat die spanische Grupo Guascor mit der argentinischen Regierung eine Absichtserklärung unterschrieben. Demnach soll in der südargentinischen Provinz Santa Cruz in der Nähe des Städchens Pico Truncado in den nächsten drei Jahren der weltgrößte Windenergiepark entstehen. 600 bis 900 Megawatt (MW) Leistung sind geplant.

2,4 Milliarden US-Dollar (1,742 Milliarden Euro) wollen die Spanier investieren. 30 Prozent davon will das Unternehmen selbst aufbringen, der Rest soll bei Anlegern eingeworben werden. Guascor verfügt über gute Verbindungen zum ebenfalls spanischen Windanlagenhersteller Gamesa, einer der weltweit größten in der Branche. Daher werden die Anlagen vermutlich aus dessen Werken stammen, obwohl Argentinien mit Impsa (Beim Lügen ertappt) selbst über einen expandierenden Hersteller verfügt, der seinerseits bereits in Brasilien und Vietnam tätig ist.

Meilenstein für die Windenergie

Möglich wird das Projekt unter anderem durch eine Zusage der argentinischen Präsidentin, die den Bau einer 500-Kilovolt-Hochspannungleitung versprach, wie das Wall Street Journal berichtet. Diese soll den Strom in die Provinzhauptstadt Rio Gallego führen, die ganz im Süden des Landes, fast an der Magellanstraße gelegen ist.

Das Projekt ist allerdings ein anderes Beispiel für die schleppende Umsetzung energiepolitischer Vorhaben in Argentinien. Zusammen mit einer ähnlichen Leitung, die Pico Truncado mit der Nachbarprovinz im Norden verbinden wird, soll sie helfen, die regionalen Netze des dünn besiedelten Landes zu verknüpfen und so die Stromversorgung zuverlässiger zu machen. Die Leitung in den Norden nach Puerto Madryn, die immerhin rund 1000 Kilometer zu überbrücken hat, sollte schon 2007 fertiggestellt sein, wie die argentinische Zeitung El Bolson schreibt. Gebaut seien bisher allerdings erst 65 Prozent.

Die Verzögerungen im Netzausbau sind auch einer der Gründe, weshalb die Windenergienutzung bis dato nicht recht in Gang kommt. Schon zu Zeiten Fernández Vorgängers und Ehegattens Nestor Kirchner hatte das Parlament ein Gesetz verabschiedet, nachdem das Land bis 2015 den Anteil der erneuerbaren Energieträger an der Energieversorgung auf 15 Prozent erhöhen will. Passiert ist seit dem allerdings so gut wie nichts. Trotz bester Bedingungen hat das Land erst einige Dutzend MW an Windenergieleistung installiert.

Bleibt also zu hoffen, dass der neue Windpark in Pico Truncado tatsächlich im vorgesehenen raschen Tempo gebaut wird und ans Netz geht. Die geografische Lage könnte jedenfalls nicht besser sein. Der Ort liegt in den so genannten Roaring Fourties, in den "Brüllenden Vierzigern", einer Zone sehr starker und stetiger Westwinde. Die südargentinische Region Patagonien gehört wegen dieser Winde zu den weltweit besten Standorten. Sollte das Projekt der Spanier tatsächlich umgesetzt werden, so wäre es ein Meilenstein für die Windenergienutzung in ganz Lateinamerika, die bisher noch den meisten anderen Weltregionen hinterher hinkt.