Krieg gegen den Terror

Seite 4: Eindringliche Befragung

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Die FLN formierte sich nicht zufällig im Jahr 1954. Am 7. Mai verlor die französische Armee die Schlacht von Điện Biên Phủ und musste vor dem Việt Minh kapitulieren, der vietnamesischen Unabhängigkeitsbewegung. Das war das Ende der französischen Kolonialherrschaft in Indochina (und das Vorspiel zum nächsten Vietnamkrieg, in dem sich die Amerikaner eine blutige Nase holten). Für die FLN war das die Gelegenheit, nun auch die Fremdherrschaft abzuschütteln, weil sie sich nicht vorstellen konnte, dass sich die Franzosen so bald nach Điện Biên Phủ in ein weiteres koloniales Abenteuer stürzen würden. Doch Algerien war ein Sonderfall, weil das Land aus französischer Sicht - in einer Mischung aus Wunschdenken, verwaltungstechnischer Realität und harten Fakten (eine Million Siedler) - keine Kolonie war.

Der "Schlacht um Algier" genannte Teil des Krieges begann am 7. Januar 1957. An diesem Tag erteilte die Regierung dem Haudegen Jacques Massu, der nach dem Ersten Weltkrieg in jedem größeren Konflikt für Frankreich gekämpft hatte, die volle "Polizeigewalt" und den Auftrag, der FLN den Garaus zu machen. Anders wusste sich Generalgouverneur Lacoste nicht mehr zu helfen, weil alle Versuche, den Aufstand zu unterdrücken, das Gegenteil bewirkt hatten (die Zahl der Anschläge stieg von 50 im Juli 1956 auf 120 im Dezember). Bei Militärexperten gilt die General Massu unterstellte 10. Luftlandedivision als die härteste Truppe, die es damals gab. Viele von den Fallschirmjägern hatten Điện Biên Phủ miterlebt und kamen nicht mit dem Gefühl "Nie wieder Krieg" nach Nordafrika, sondern mit dem festen Vorsatz, nie wieder einen Krieg zu verlieren. Die Schlacht um Algier musste unbedingt gewonnen werden. Dafür war Massu auch bereit, Foltermethoden anzuwenden (euphemistisch verbrämt als "eindringliche Befragung"). Botschaft des Generals an seine Männer: "Das sine qua non unseres Einsatzes in Algerien ist es, dass wir diese Methoden in unseren Herzen und unserem Verstand als notwendig und moralisch begründet akzeptieren."

Moralisch begründet? Das ist die alte Rechtfertigung der Folterer und läuft auf die akademische Frage hinaus, die auch die Befürworter von Guantanamo gerne stellen: Gesetzt den Fall, man hätte durch die Folterung von Mohammed Atta den Angriff auf die Twin Towers verhindern können - wäre es dann nicht unmoralisch gewesen, es nicht zu tun? Colonel Roger Trinquier, Mitglied im Stab von Massu sowie Experte für "moderne" Kriegsführung und den Kampf gegen Aufständische, singt in einem in den 1970ern aufgezeichneten TV-Interview das Hohelied des Relativismus. Angenommen, sagt er, man habe herausgefunden, dass in der Kasbah vier oder fünf Bombenanschläge vorbereitet werden. Man wisse, dass jede dieser Bomben zehn bis zwölf Menschen töten und vierzig weitere verletzen werde. Ein gefangener Terrorist könne sagen, wo die Bomben versteckt sind. Solle man nun diesen einen Terroristen "verhören" oder mitschuldig daran werden, dass es 40 Tote und 200 Verwundete gibt? Er persönlich ziehe es vor, den Terroristen so lange zu "verhören", bis dieser ihm sagt, was er wissen will.

Zu solchen Berechnungen kommt das Zeitelement hinzu. In Trinquiers Beispiel ist es 13 Uhr, um 18.30 Uhr gehen die Bomben hoch. Das könnte aus einem Hitchcock-Film sein. In der Realität hatten alle FLN-Aktivisten die Anweisung, nach einer eventuellen Festnahme mindestens 24 Stunden lang zu schweigen, damit die Kämpfer, die sie verraten konnten, Zeit hatten, sich ein neues Versteck zu suchen und ihre Pläne zu ändern. Massus Logik, die er und einige seiner Untergebenen wie Trinquier in den 1970ern erstmals auch in Fernsehinterviews zum Besten gaben: Innerhalb von 24 Stunden konnte man keinen Aktivisten durch ein herkömmliches Verhör zu einer Aussage bewegen. Durch eine solche Aussage ließ sich aber möglicherweise ein Bombenattentat verhindern, bei dem Menschen sterben oder jedenfalls viel mehr leiden müssten als ein Verdächtiger unter der "eindringlichen Befragung", die eigentlich gar keine Folter war. Daraus ergebe sich eine moralische Verpflichtung und so weiter.

Die Kasbah war eine für die Franzosen völlig fremde Welt. In Ermangelung konkreter Informationen wurden Massenverhaftungen vorgenommen. Schwer zu verifizierenden Angaben nach wurden während der Schlacht um Algier, von Januar bis Ende September 1957, 24.000 Menschen festgenommen. Nach den eigenen Schätzungen des Militärs waren drei bis zehn von hundert verhafteten Verdächtigen Aktivisten oder Sympathisanten der FLN. Die Zahlen, die ich gefunden habe, variieren stark und reichen von 3000 Gefolterten bis zu 3000 Menschen, die unter der systematisch betriebenen Folter starben. Viele Opfer verschwanden spurlos, andere wurden in Lager geschafft, wieder andere kehrten zurück in die Kasbah. Die Verhafteten hatten Angehörige, Freunde, Nachbarn. Es darf als eher unwahrscheinlich gelten, dass all diese Menschen durch die Maßnahmen der Fallschirmjäger zu glühenden Verehrern der Kolonialherren wurden. So macht man einen Gegner stark.

Ein Problem von Massu und seiner Truppe war, dass sie tatsächlich Erfolge erzielten, was es den Hardlinern erleichterte, solche Überlegungen als Bedenkenträgerei abzutun. Im Februar 1957 gelang die Ergreifung von Larbi Ben M’Hibi, Gründungsmitglied und führender Kopf der FLN. In Pontecorvos Film wird er eher zufällig festgenommen. In der Wirklichkeit führte ein Informant (ob bezahlt oder gefoltert ist ungeklärt) die Fallschirmjäger zu seinem Versteck. Zur Entstehungszeit von Die Schlacht um Algier war das ein wunder Punkt, weil die siegreiche, den Einparteienstaat propagierende FLN ein Bild der Einigkeit (ohne Verräter) abgeben wollte - dies umso mehr, da die internen Machtkämpfe keineswegs beendet waren. Während Pontecorvo den Film drehte, wurde Ahmed Ben Bella, der Staatspräsident, durch einen Militärputsch gestürzt und durch Oberst Boumedienne ersetzt.

Obwohl nach Filmminuten gerechnet nur eine Randfigur, hat Pontecorvo Ben M’Hidi eine zentrale Rolle zugewiesen. Ziemlich genau in der Mitte und am Vorabend des von der FLN ausgerufenen Generalstreiks unterhält sich Ben M’Hidi mit Ali La Pointe. "Es ist schwer genug", sagt er, "eine Revolution anzufangen. Es ist sogar noch schwerer, sie durchzuhalten, und am schwierigsten ist es, sie zu gewinnen. Aber erst hinterher, wenn wir gewonnen haben, beginnen die wahren Probleme." Pontecorvo hatte Befürchtungen, dass die ehemaligen Revolutionäre für diese Probleme keine oder eine falsche Lösung finden würden. Darum ließ er Ben M’Hidi, einen Helden und Märtyrer des Unabhängigkeitskampfes, an zentraler Stelle des Films und über den Dächern von Algier diesen Dialog sprechen.

Asymmetrischer Krieg

Der acht Tage dauernde Generalstreik war ein Teil des Kampfes um die öffentliche Meinung und begleitete eine UN-Debatte über die Lage in Algerien (damals war es wie heute: eine Resolution scheiterte an den unterschiedlichen Interessen der Mitglieder). Mit dem Streik wollte sich die FLN der Welt gegenüber als ernstzunehmender Verhandlungspartner legitimieren und zeigen, dass sie die große Mehrheit der Bevölkerung vertrat. Die Franzosen nahmen das ebenfalls für sich in Anspruch und setzten alles daran, den Streik so schnell wie möglich zu beenden. FLN-Vordenker wie Ramdane Abane und Larbi Ben M’Hidi hielten den Generalstreik - als Zeichen der Stärke und der Verwurzelung im algerischen Volk - für so wichtig, dass sie bereit waren, einen hohen Preis dafür zu zahlen.

Um den Streik zu unterdrücken, erweiterte Generalgouverneur Lacoste die ohnehin schon sehr umfangreichen Vollmachten von General Massu, der nun endgültig verfahren konnte wie er es für richtig hielt. Die Kasbah wurde in vier Bezirke eingeteilt, jeweils kontrolliert von einem Regiment der 10. Division. Arbeitsfähige Männer wurden unter Militärbewachung zu wichtigen Betrieben gekarrt, Ladenbesitzer in der Kasbah mit Gewalt zum Öffnen ihrer Läden gezwungen. Pontecorvo zeigt das genauso wie die Soldaten, die nachts in die Häuser verschreckter Menschen eindringen. Tagsüber sagt ein Polizist per Lautsprecher (und auf Französisch) durch, dass Frankreich das Mutterland der Kasbah-Bewohner sei, dass die FLN sie aushungern wolle, und dazu sieht man einen kleinen Jungen hinter dem von Soldaten gezogenen Stacheldraht. Man ahnt, dass die Franzosen den Kampf um die Herzen der Menschen nicht gewinnen werden. Verdächtige werden geprügelt und abgeführt. Dann marschiert eine Militärkapelle durch die Kasbah, ihr folgende Soldaten verteilen Süßigkeiten und Baguettes. Die Bewohner schauen ihnen fassungslos hinterher. Das ist Realsatire und soll so oder so ähnlich wirklich stattgefunden haben.

Die Fallschirmjäger werden durch den fiktiven Colonel Mathieu repräsentiert. Ihn spielt Jean Martin, ein Mann mit viel Bühnen- und etwas Filmerfahrung. Pontecorvo besetzte einen Profi, weil Mathieu umfangreiche Textpassagen zu sprechen hat und Autorität ausstrahlen muss. Letztere ist meistens überzeugender, wenn sie professionell gespielt wird. Privat war Martin ein Anti-Militarist. Das scheint in der Art, wie er die Rolle anlegt, durch und war ganz im Sinne Pontecorvos, der keinen stereotypen Kommisskopf wollte. Nur beim martialischen Einmarsch in Algier blieb Martin hinter den Erwartungen des Regisseurs zurück. Pontecorvo musste ihm unter der Uniformjacke die Schultern mit Taschentüchern auspolstern, um ihm die gewünschte Statur zu geben.

Mathieu hat die für solche Offiziere typische Biographie: Kampf gegen die Deutschen, Mitglied der Résistance, Veteran des Indochinakrieges. Er ist aus mehreren real existierenden Figuren zusammengesetzt. Die wichtigsten sind Colonel Marcel Bigeard (Kommandant des 3. Regiments), Colonel Yves Godard (Massus Stabschef und ein Spezialist für das Infiltrieren aufständischer Gruppierungen), der bereits genannte Colonel Roger Trinquier und Capitaine Jacques Allaire (Nachrichtenoffizier in Bigeards Regiment). Allaire leitete die Festnahme von Ben M’Hidi. Weil er Hochachtung vor diesem Gegner hatte, brachte er ihn mit militärischen Ehren zum Hauptquartier, wo er ihn seinen Vorgesetzten übergab.

Colonel Mathieu hat verstanden, wie wichtig die Journalisten sind. Durch ihre Berichterstattung beeinflussen sie die öffentliche Meinung und auf diese Weise auch die Meinung der Politiker. Und der politische Wille wiederum hat Einfluss auf den Krieg. Also führt Mathieu den Gefangenen der internationalen Presse vor, weil er glaubt, dass das eine gute Reklame für die Fallschirmtruppe ist. Ob es nicht feige sei, will ein Reporter wissen, mit in Fraueneinkaufstaschen versteckten Bomben gegen die Franzosen zu kämpfen? Als Zuschauer hat man sich so etwas auch schon gedacht, weil Pontecorvo keinerlei Versuche unternimmt, die Terroranschläge zu beschönigen oder zu heroisieren. Ben M’Hidi verweist auf das, was man heute einen "asymmetrischen Krieg" nennt. Leider sei die FLN auf solche Aktionen angewiesen, gibt er zurück, weil sie nicht über die Waffen des Gegners verfüge.

Falls man der FLN auch Bomber und Napalm zur Verfügung stelle, sagt Ben M’Hidi, werde sie auf die Bombe in der Handtasche gern verzichten. Weil die Pressekonferenz nicht so verläuft, wie von Mathieu erwartet, bricht er sie ab. Auch das Napalm ist keine Erfindung der Filmemacher. 1956 begann die französische Luftwaffe mit dem Ankauf der bewaffneten Version des Trainingsflugzeugs North-American T-6 Texan, das die Amerikaner im Zweiten Weltkrieg bei der Pilotenausbildung verwendet hatten. Dieser Flugzeugtyp, von dem in Algerien etwa 300 zum Einsatz kamen, hatte einen 100-Liter-Tank für Napalm. Ende der 1950er tauchten in Zeitungen wie dem Observer und dem France Observateur die ersten Berichte über Napalmangriffe der französischen Luftwaffe in Algerien auf. Auch in dieser Hinsicht war der Algerienkrieg ein Vorläufer des Krieges, den dann die Amerikaner in Vietnam führten.

Die Erklärung, dass Pontecorvo keine FLN-Massaker in ländlichen Gebieten zeigt, weil sein Film von der Schlacht um Algier handelt, kann man natürlich unbefriedigend finden. Aber im anderen Fall müsste er auch den Napalmeinsatz zeigen, die Internierungslager, die großflächigen Vertreibungen und dergleichen. Durch gegenseitiges Aufrechnen, das macht Pontecorvo mehrmals deutlich, wird nichts besser. Stattdessen konzentriert er sich darauf, einen halbwegs überschaubaren Ausschnitt des Konflikts stellvertretend für das Ganze zu analysieren, damit man daraus lernen kann. Das war eine kluge Entscheidung. Für die Ignoranz von Großmächten und deren Militärstrategen kann Pontecorvo nichts.

Mann für schmutzige Angelegenheiten

Bald nach der Festnahme von Larbi Ben M’Hidi, einem der Gründer und Vordenker der FLN, teilten die Franzosen mit, dass er sich am 4. März 1956 in seiner Zelle erhängt habe. Schon damals glaubte das kein Mensch. Der Tod von Ben M’Hidi wurde zum Fanal. Die FLN-Aktivisten kämpften nun noch entschlossener gegen die Kolonialherren und waren noch weniger als zuvor zur Aufgabe bereit, weil sie damit rechnen mussten, in der Haft ermordet zu werden. Der durch einen von den Behörden inszenierten Selbstmord aus dem Weg geräumte Terrorist wurde in der Folge ein fester Bestandteil solcher Geschichten (mit wechselnden Antworten auf die Frage, wer was inszeniert hat und warum). Die Gerüchte im Fall Ben M’Hidi bestätigten sich, als es der Zeitung Le Monde im Jahr 2000 gelang, einen bis dahin kaum bekannten General im Ruhestand namens Paul Aussaresses zu einem Interview zu bewegen. Aussaresses ließ 2001 zwei Bücher über seine Vergangenheit folgen (Pour la France : Services spéciaux 1942-1954; Services spéciaux, Algérie 1955-1957: Mon témoignage sur la torture) und 2008 ein drittes (Je n'ai pas tout dit. Ultimes révélations au service de la France).

Fahndungsplakat Ben M’Hidi

Paul Aussaresses ist eine der gruseligsten Figuren in dieser Angelegenheit. Er besuchte 1941 als Offiziersanwärter eine Kadettenschule in Algerien, sprang im August 1944 als Mitglied einer Spezialeinheit mit dem Fallschirm über dem besetzten Frankreich ab, um die Résistance zu unterstützen und deren Aktionen mit denen der Alliierten zu koordinieren, diente in Indochina und nahm nur deshalb nicht am Suezkrieg teil, weil er sich bei einem Trainingssprung mit dem Fallschirm die Wirbelsäule verletzt hatte. 1961 wurde er Militärattaché der französischen Botschaft in Washington. In Fort Bragg, wo die US-Armee den Anti-Guerilla-Kampf trainierte, gab er seine Erfahrungen aus dem Algerienkrieg weiter. Roger Trinquier, Aussaresses’ früherer Vorgesetzter, veröffentlichte 1961 das Buch La Guerre moderne. Einer der von Aussaresses ausgebildeten US-Soldaten soll das Buch an den CIA-Agenten Robert Komer geschickt haben, der es bei der Ausgestaltung des von ihm geleiteten "Phoenix-Programms" konsultierte (Bekämpfung des Vietcong mit Foltermethoden und Liquidierungen). Aussaresses ging 1973 nach Brasilien, wo er Trainingsprogramme für die Killer und Folterknechte südamerikanischer Militärdiktaturen geleitet haben soll.

General Massu wurde durch die Brutalität auf den damals im Rang eines Commandant dienenden Aussaresses aufmerksam, mit der dieser 1955 den FLN-Aufstand in Philippeville niederschlug und holte ihn im Januar 1957 nach Algier, wo er dasselbe tun sollte. Aussaressses war Massus Mann für schmutzige Aufträge und der Chef der Todesschwadron, die unliebsame Personen eliminierte (der Begriff "Todesschwadron" geht auf Aussaresses zurück, der ihn zum Beispiel in Escadrons de la mort, l'école française verwendet, einer 2003 vom Sender Canal+ ausgestrahlten Dokumentation von Marie-Monique Robin). Seinen Angaben nach tötete er in Algerien eigenhändig 24 Menschen und befehligte die Ermordung von zahlreichen anderen - darunter auch die von Larbi Ben M’Hidi.

Patrick Rotman führte für Ennemi intime, eine 2002 von France 3 gezeigte Fernsehdokumentation über den Algerienkrieg, ein Interview mit Aussaresses, in dem der General versichert, man habe sehr wenig gemordet und nur, wenn es unbedingt erforderlich gewesen sei. Tausende von Algeriern verschwanden spurlos. Anfangs wurden die Getöteten im Hafen von Algier ins Wasser geworfen. Weil die Flut die Leichen zurück ans Festland trieb, überlegte man sich etwas anderes. Die Opfer wurden nun - schon tot oder noch lebendig - über dem Meer aus einem Hubschrauber geworfen, mit in Wannen einbetonierten Füßen. Im Sprachgebrauch der Fallschirmjäger waren das die Crevettes Bigeard, die "Bigeard-Garnelen" (nach Colonel Marcel Bigeard, dem Kommandanten des 3. Regiments).

Der Preis für den von der FLN ausgerufenen Generalstreik war auch deshalb so hoch, weil Massus Leute nun einen Angriffspunkt hatten. Wer sich am Streik beteiligte, war ein FLN-Sympathisant. Damit stieg die Trefferquote bei den Verhaftungen. Das Foltern wurde im großen Stil praktiziert. Aussaresses erzählt Rotman, dass er jeden Morgen genau aufgeschrieben habe, was in der vergangenen Nacht geschehen war, inklusive der Namen der Gefolterten und/oder Liquidierten und in vierfacher Ausfertigung. Das Original sei an Colonel Trinquier gegangen, Durchschläge an Generalgouverneur Robert Lacoste, General Raoul Salan und das Archiv. Aussarresses hat auch mehrfach behauptet, dass François Mitterand einen Richter als Verbindungsmann bei Massu hatte, der den damaligen Justizminister auf dem Laufenden gehalten habe. Seither gibt es in Frankreich in regelmäßigen Abständen erregte Debatten über die Rolle von Mitterand, dem erklärten Vorbild von François Hollande, im Algerienkrieg.

Teil 2: Nicht versöhnt: Der Algerienkrieg, die Folter und die Folgen

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