Kyoto Good bye, George W. Hello?

Salto rückwärts verheißt Angela Merkels Energiepolitik

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In einer energiepolitischen Grundsatzrede beim Verband der Elektrizitätswirtschaft (VDEW) in Berlin Mitte letzter Woche kündigte Kanzlerkandidatin Merkel eine umfassende Wende in fast allen Punkten der Energiepolitik an, sollte es nach Neuwahlen im Herbst zum Regierungswechsel kommen. Als Eckpunkte nannte sie verlängerte AKW-Laufzeiten, gebremsten Ausbau Erneuerbarer Energien und „Kyoto Plus“ unter Einbindung der USA. Darüber hinaus traf sie allerdings wenig konkrete Aussagen. Der Wahlkampf hat schließlich bereits begonnen. Wofür stünde eine schwarz-gelbe Energiepolitik also tatsächlich?

Angela Merkel. Bild: CDU

„Verdammt lang her – verdammt lang…“

Manch Politiker möchte nur ungern an einmal getroffene Aussagen erinnert werden. Hätte Gerhard Schröder beispielsweise geahnt, wie der Satz aus seiner Regierungserklärung 1998 „wir wollen uns an der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit messen lassen“ zum Bumerang gerät, hätte er sich seinerzeit wohl lieber die Zunge abgebissen. Auch Angela Merkel bis zu dem besagten Jahr als Bundesumweltministerin in Amt und Würden, würde damals getroffene Aussagen wie „Windenergie hat ein große Zukunft“ heute, 7 Jahre später und im Herbst möglicherweise im Zenit ihrer Macht, vielleicht lieber aus dem „öffentlichen Gedächtnis“ tilgen.

Zugegeben, die große Liebe war die Beziehung zwischen Angela Merkel und dem Ökostrom möglicherweise schon damals nicht, aber die besagte Grundsatzrede von letzter Woche ließ Umweltverbände und Alternative Stromanbieter nichts Gutes ahnen. Gingen doch bereits die Aktienkurse von Ökoenergie-Unternehmen, kurz nachdem Gerhard Schröder Neuwahlen für den Herbst angekündigt hatte, in die Knie. Im Gegensatz zu denen von Atomstromanbietern, die zulegen konnten.

Grafik: Bundsesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

Neues aus Schilda

So betitelte Hermann Scheer, SPD-Bundestagsabgeordneter und Träger des alternativen Nobelpreises 1999, denn auch so manchen Aspekt der Energiepläne der Union. Laut diesen ist eine Drosselung des Ausbaus erneuerbarer Energien angedacht; zudem sollen die bisherigen Fördermaßnahmen für Ökostrom auf den Prüfstand.

Es sei unrealistisch anzunehmen, dass die erneuerbaren Energien die Lücke schließen könnten, die der langfristige Ausstieg aus der Kernenergie verursache, betonte Kanzlerkandidatin Merkel.

„Eine Steigerung des Ökostroms von vier auf zwanzig Prozent bis zum Jahr 2020 ist bei den vorhandenen finanziellen Mitteln wenig realistisch“, sagte Angela Merkel weiterhin mit Blick auf das von der jetzigen Regierung angepeilte Ausbau-Ziel. Die Lücke, die durch den langfristigen Ausstieg aus der Kernenergie entstehe, könne durch Strom aus erneuerbaren Energien nicht geschlossen werden so die CDU-Chefin.

Weiterhin bekräftigte sie ihren Standpunkt, dass erneuerbare Energien nicht ewig vom Markt abgekoppelt werden könnten. Ein Standpunkt, den sie im Übrigen mit Bundeswirtschaftsminister und „Kohlefreund“ Wolfgang Clement teilt.

Dieses Gesamt-Szenario entspricht ähnlichen, von der deutschen Energiewirtschaft vorgelegten Forderungen, die die bisher garantierte Abnahme von Strom aus erneuerbaren Energien zu Festpreisen lieber heute als morgen abschaffen würde. Als Alternativmodelle wurden vom VEDW ein Bonussystem oder ein Zertifikatshandel auf Basis von zu erfüllenden Zielquoten für erneuerbare Energien vorgeschlagen, die europäische Stromlieferanten zu erfüllen hätten. Alternativstromanbieter würden dann neben dem Marktpreis pro Kilowattstunde ein Zertifikat erhalten, welches sie gegen Entgeld an Unternehmen abtreten können, die Strom aus nicht erneuerbaren Energien produzieren. Zertifikate müssten von diesen in gewissem Umfang erworben werden, um die festgesetzte Quote zu erfüllen.

Grafik: Bundsesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

Hermann Scheer, seines Zeichens „grimmiger Prophet“ alternativer Energien, erkennt in den Plänen des VDEW einen weiteren Versuch, das Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) mittel- bis langfristig zu Fall zu bringen. Gründe sind schnell gefunden; allein die Windkraft kostet die Energiewirtschaft bereits jetzt 1% Marktanteil pro Jahr. „Das ist den Stromkonzernen nicht nur ein Dorn, sondern ein Balken im Auge“, so Scheer in einem Interview. Durch das EEG sei den Stromkonzernen die Kontrolle über Kraftwerksinvestitionen abhanden gekommen, die sie durch Abschaffen desselben zurück erhalten würden.

Über Zeitraum und Ausmaß eines Ausbaus Erneuerbarer Energien wollen die Stromkonzerne selbst entscheiden. Die Quote soll klein gehalten und erst dann geöffnet werden, wenn es nicht mehr mit den eigenen Kraftwerksplanungen kollidiert.

Rechnung ohne die EU gemacht

Andris Piebalgs, EU-Kommissar für Energie, hält hingegen wenig von den Plänen der deutschen Energiewirtschaft. Der Forderung des VEDW, das EEG abzuschaffen und an dessen Stelle eine Quotenregelung für erneuerbare Energien einzuführen, erteilte er bereits eine Absage:

Es ist unverkennbar, dass direkte Fördermaßnahmen auch in Zukunft weiter von grundlegender Bedeutung für eine ausreichende Marktdurchdringung mit Strom aus erneuerbaren Energien sein werden [..] Erneuerbare Energien werden bereits im Jahr 2010 ein maßgeblicher Bestandteil des europaweiten Energiemixes sein [..] Nach dem derzeitigen Kurs will die EU bis 2010 bereits 18 Prozent Strom aus erneuerbaren Energien verbrauchen.

Soweit zur Position der EU, die einen Anteil von 18% bereits für 2010 anpeilt. Wenig mutig erscheint vor diesem Hintergrund die Aussage Merkels für Deutschland sei ein Anteil von 20% bis 2020 unrealistisch.

Windpark. Bild: H.-G. Oed/BMU

Erschwert würden Änderungen im, oder die Abschaffung des EEG des weiteren durch rund 130.000 Arbeitsplätze, die im Bereich der hauptsächlich mittelständig organisierten Ökostrom-Branche entstanden sind, sowie durch den Zuspruch den Erneuerbare Energien – im Gegensatz zum schlechten Image des Atomstroms - in der Gesellschaft genießen.

Planquadrat A wie Atomkraft

Weiterhin sprach sich Angela Merkel erneut für längere Laufzeiten von Kernkraftwerken aus. Die Union werde es den Energieerzeugern überlassen, die Kraftwerke so lange zu betreiben, wie dies technisch möglich sei erklärte die Kanzlerkandidatin bereits im Mai in der ARD; ruderte allerdings in ihrer Rede vor dem VEDW mit den Worten: „Die Laufzeit von Kernkraftwerken ist nicht unendlich. Wir brauchen eine Begrenzung“ wieder ein stückweit in die Gegenrichtung.

Diese beiden Aussagen spiegeln vermutlich auch die Diskussion wieder, die derzeit innerhalb der Union im Zusammenhang mit der Erarbeitung eines Wahlprogramms geführt wird.

Peter Paziorek, umweltpolitischer Sprecher der CDU im Bundestag vertritt bezüglich dieser Thematik eindeutige Standpunkte. Er möchte das Atomausstiegsgesetz ändern und die Laufzeit der verbliebenen 17 aktiven Atommeiler um 8 auf 40 Jahre verlängern. Ohne Option auf weitere Verlängerungen.

„Unbegrenzte Laufzeiten sind nicht nur problematisch beim Wahlkampf, sondern auch energiepolitisch unklug, da die Politik das Druckpotential auf die Energiewirtschaft verliert, technische Innovationen im traditionellen Kraftwerkbau zu vollziehen“, so der CDU-Politiker.

Ebenfalls ein strittiger Punkt zwischen den Schwesterparteien ist offenbar ein möglicher Neubau von Kernkraftwerken. Die Frage von Atomkraftwerksneubauten in Deutschland stelle sich im Augenblick nicht, äußerte sich Merkel kurz angebunden zu diesem Thema. Stellt sich die spannende Frage: Wie lange dauert der besagte Augenblick? Darüber ist vermutlich noch geraume Zeit rätseln angesagt, denn dieses Fass ist Angela Merkel im Wahlkampf vermutlich nicht gewillt zu öffnen. Daher wird dieses Thema wohl erst erörtert, wenn weitere der noch 17 aktiven Atomkraftwerke vom Netz genommen wurden und absehbar wird, ob die dadurch entstehende Kapazitätslücke durch andere Energieformen wie „clean coal“-Kraftwerke und/oder Regenerative Energien abgedeckt werden kann.

Auch in der CSU äußert man sich derzeit ähnlich unkonkret. So antwortet der bayerische Umweltminister Werner Schnappauf auf „Neubaufragen“ leicht paraphrasiert:

Auf absehbare Zeit stellt sich die Frage eines Neubaus von Atomkraftwerken nicht. Wenn wir in Zukunft mit regenerativer Energie unseren Bedarf decken, dann ist das phantastisch. Wenn nicht, dann werden wir die Frage tabufrei diskutieren.

Peter Paziorek vertritt jedoch auch in diesem Punkt eine andere Ansicht als seine Unionskollegen aus München. Ein Neubau sei kein Thema, ließ er verlauten, das sei politisch nicht durchsetzbar. Ohne wenn und aber.

Das Kernkraftwerk Obrigheim ist Anfang vom Netz gegangen

In der Tat ist die Kernenergie in der Bevölkerung alles andere als beliebt. Eine Umfrage des Forsa-Instituts zur Zukunft der Atomkraft im Auftrag des Bundesumweltministeriums ergab, dass acht Prozent der Bevölkerung die Atomkraft für eine "sehr große Gefahr" und 26 Prozent für eine "große Gefahr" halten. Des Weiteren glaubt jeder zweite Unionswähler, dass das Tempo des Atomausstiegs beibehalten oder sogar beschleunigt werden sollte.

Neben dem Thema Reaktorsicherheit – der atomare Unfall im Atomkraftwerk Tschernobyl jährt sich im Übrigen im kommenden Jahr zum 20. Mal - ist da noch die nicht geklärte Endlagerung atomaren Abfalls, die den Bürgern Bauchschmerzen bereitet.

Bundesumweltminister Trittin hatte im Atomkonsens vom Jahr 2000 erreicht, dass die jahrelange Erkundung zur Eignung von Gorleben als atomarem Endlager für drei bis zehn Jahre eingestellt wird. Eine neu gegründete Arbeitsgruppe (AKEnd) hatte Mitte 2003 vorgeschlagen, bundesweit nach neuen möglichen Standorten zu suchen, da die Standorte Gorleben und Schacht Konrad einstmals willkürlich und weniger nach Eignung ausgesucht worden waren. Unionsparteien und Energiekonzernen wurde damals vorgeworfen das Verfahren zu blockieren.

"Es ist geradezu ein Skandal, dass CDU und FDP weiterhin einfach auf die willkürlich gewählten Standorte Gorleben und Schacht Konrad setzen und damit eine fundierte Standortentscheidung blockieren", schimpfte Nabu-Präsident Olaf Tschimpke seinerzeit.

Und in der Tat ist der Salzstock Gorleben nun bereits wieder als Endlager im Gespräch. Wie Peter Paziorek mitteilte werde das Erkundungsmoratorium aufgehoben.

Kyoto Good bye, George W. Hello?

"Wir brauchen ein Kyoto-Plus", so Merkel im Bezug auf das im Februar diesen Jahres in Kraft getretene weltweite Klimaprotokoll. Dabei müssten die USA mit ins Boot geholt werden, die 2001 aus den Kyoto-Vereinbarungen ausstiegen und seitdem ihre eigenen Ziele verfolgen. (Die politisch korrekte Waschmaschine). Die von der Regierung vorgesehenen Maßnahmen zur Reduktion von Treibhausgasen über den Emissionshandel müssten zudem verändert werden, sagte Angela Merkel, immer vorausgesetzt. die Union geht aus den Neuwahlen im Herbst als Siegerin hervor. "Politik im nationalen Schrebergarten ist nicht die richtige Antwort auf die Globalisierung und die weltweiten Herausforderungen", bekräftigte die CDU-Chefin weiterhin im Hinblick auf den CO2-Ausstoß in Schwellenländern. Die Bekämpfung der Treibhausgase, müsse vor allem dort erfolgen, wo sie entstünden. Wie sie das allerdings anstellen will und wie „eine stärkere Orientierung von Klimaschutzmassnahmen an internationalen Maßstäben“ aussehen soll, verriet sie nicht.

Angela Merkel geizt mit Konkretem. Quelle: dpa.

Dem Geldbeutel ist es egal

Bei all den angekündigten möglichen oder tatsächlichen Veränderungen gehen Bürger und Stromkunden allerdings leer aus. Die ungeliebte Ökosteuer schlägt bei der Stromrechung mit gut einem Viertel mehr zu Buche, als beispielsweise der Aufpreis für „grünen Strom“ ausmacht. Dieser beträgt laut VEDW für einen Dreipersonenhaushalt etwa 1,60 € pro Monat. „Wir werden die Ökosteuer vorläufig nicht abschaffen, aber die Steuer wird auch nicht mehr erhöht“, so Merkel in ihrer Rede. Auch CDU-Parteivize Christian Wulff teilte mit: "Das Land ist dermaßen ruiniert, dass diese Möglichkeit (die Ökosteuer abzuschaffen) so nicht besteht.“ Übersetzt bedeutet das wohl, dass auch die Union die Ökosteuer heranziehen muss, um die Sozialkassen „zu stützen“. Darüber hinaus wurden von der Energiewirtschaft weitere Strompreiserhöhungen für das laufende Jahr angekündigt Und so dürfen sich Ökoenergieanbieter, Umweltverbände und Stromkunden ab Herbst vielleicht auf ein gemeinsames Terzett frei nach dem Stones-Song –Angie- „freuen“: All the dreams we held so close, seemed to all go up in smoke….