Mit der Wissenschaft per Du

Wie die Forscher einmal auf dem Berliner "Wissenschaftssommer" den Dialog mit dem Bürger suchten

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Wissenschaftler machen Werbung für ihre Sache. Sie verlassen ihre Labore und Institute und schwärmen aus, in die Stadt. Sie sprechen zu den Menschen, sie erklären ihnen, "woran sie forschen und welchen Nutzen jeder Einzelne davon hat. .Das hat Herr Catenhusen vom BMBF auf der Auftakt-Pressekonferenz zum Wissenschaftssommer 2001 in Berlin angekündigt. Und er hat nicht zuviel versprochen. Tatsächlich sind die Wissenschaftler in der vergangenen Woche zu Hunderten hinausgezogen, in die Museen und den Einkaufspassagen der Stadt.

Die große Eröffnungs-Show am Mittwoch, zu der Gerhard Schröder und Frank Elstner nebst den bekannten Stars aus Wissenschaft und Wirtschaft erscheinen sollten - Detlev Ganten, Ernst-Ludwig Winnacker, Hubert Markl und Hans-Olaf Henkel -, diese Show wurde, aus den naheliegenden Gründen, zwar abgesagt. Auch die angekündigten Proteste gegen den Wissenschaftssommer blieben aus. Alles andere aber verlief nach Plan.

Medizinische Fakultät Charité

Und was gab es nicht alles zu sehen: Geklonte Weihnachtstannen, eine mehrere Meter hohe Blaualgen-Produktionsanlage, Bewuchsschutz-Farben nach Delphinhaut-Art, pinguinförmige Schwimmkörper und Flugzeugflügel nach dem Vorbild von Vögeln wurden im "Schaufenster der Wissenschaft" in der Shopping-Mall des Potsdamer Platzes präsentiert.

Gegenüber, in der Gemäldegalerie auf der anderen Seite der Leipziger Straße, hatten Kulturwissenschafter - denn auch die Geistes- und Sozialwissenschaftler sollten mit einbezogen werden in den Wissenschaftssommer - ihr Projekt Kulturaktiv installiert: eine Internetumfrage darüber, warum man Kultur zum Überleben braucht. Eine virtuelle Zelle gab es im Technikmuseum zu bestaunen: Eine aufwändig konzipierte Ausstellung, in der man eine Reihe von Tunnelzelten durchwanderte, dabei Videospiele wie "Spermrace" oder die "Leichte Kurvendiskussion mit Verona" bewältige, einen Blick auf fünf Monitore mit Life-Bildern aus fünf Laboren aus aller Welt warf und zu guter Letzt noch ein kleines Fläschchen mit der eigenen DNA mit nach Hause nehmen konnte, die im eigens dafür hergerichteten "gläsernen Labor" unter den Augen der Besucher isoliert wurde.

Und es gab noch viel, viel mehr. Allabendlich debattierte man über letzte Fragen: "Woher kommt der Mensch?", "Sind Leihmütter steuerpflichtig?" oder "Worüber werden sich Adam und Eva in 100 Jahren freuen?". Es gab Symposien über "Wissenschaft als Kunst" und über die "Soziologische Aufklärung zu den Lebenswissenschaften."

Der Höhepunkt des Wissenschaftssommers war aber wohl die "Lange Nacht der Wissenschaften" am vergangenen Samstag. Mehr als 80 Forschungsinstitute, Kliniken, Bibliotheken und Museen beteiligten sich an dieser Nacht der offenen Tür; 60.000 kamen, die Wunder der Wissenschaft zu bestaunen. Busse fuhren im Zehnminutentakt zwischen den großen naturwissenschaftlichen Einrichtungen der Stadt, zwischen Dahlem, Adlershof und Charlottenburg, hin und her. Gedränge gab es unter den Körperwelten-trainierten Berlinern in der Humboldt-Universität um einen Wasserkopf im Einmachglas, um ein präpariertes Gesicht ohne Haut und ein Stück konservierter Haut aus dem Jahre 1901, dessen Träger sich einst eine vollbusige Maid tätowieren ließ; weniger Andrang gab es bei dem Vortrag "Schmerzarmes Bohren beim Zahnarzt - Wunsch und Wirklichkeit".

Verschiedene Blutzellen, Max-Delbrück-Centrum

Es war, um es kurz zu fassen, recht ordentlich was los. Manches war gut gelungen, vieles mäßig, denn natürlich ist die Wissenschaft, trotz allem didaktischem Eifers, nicht wirklich immer so spannend und faszinierend, so direkt und hautnah zu erleben, wie dies einem die Programm-Macher des Wissenschaftssommers weismachen wollten. Auch zum Dialog war reichlich Gelegenheit: Aller Orten standen junge Wissenschaftler herum, und man kann schlecht sagen, dass man sich mit ihnen nicht hätte sehr gut unterhalten können.

So gesehen, ist die Rechnung aufgegangen. So nämlich war alles es in dem Memorandum "Dialog Wissenschaft und Gesellschaft" vorgesehen, das deutsche Wissenschaftsfunktionäre im Mai 1999 gemeinsam unterzeichneten und aus der letztes Jahr die Initiative Wissenschaft im Dialog hervorgegangen war. Wissenschaftliche Leitbilder sollten aufgebaut werden, Begeisterung geweckt, "mit Hilfe einer intensiven, gezielten und professionell koordinierten Kommunikation". PR-Erfolge von Wissenschaftlern sollten mit Bonuspunkten belohnt werden und um die Wissenschaft herum, so schrieb Detlev Ganten, der das Memorandum letzen November in der FAZ noch einmal resümierte, sollte "eine vielfältige Erlebniskultur" entstehen.

Just zu jener Zeit, als man derlei in der FAZ lesen konnte, ging letzten Herbst auch eine internationale Email-Konferenz zuende, die der British Council zusammen mit einer Reihe von Symposien, zum Thema "Science and Society: Towards a Democratic Science" veranstaltet hatte. Die "Science und Socity"-Reihe des British Councils ist eines jener Programme, die in England und in den Vereinigten Staaten unter dem Label "PUSH" zusammengefasst werden: Public Understanding of the Sciences and Humanities". "PUSH" ist das Vorbild für die "Wissenschaft im Dialog".

In den PUSH-Debatten bei "Science and Society" geht es heute um Mitbestimmung, ums Mit- und Hineinreden; um Fragen der demokratischen Kontrolle der Wissenschaft, des Ermessens und des Managements von Wissenschaftsrisiken, der Einbeziehung der Öffentlichkeit in wissenschaftspolitische Entscheidungen. Das war freilich nicht von Anfang an so: Zuerst gab es, als PUSH vor fünfzehn Jahren startete, auch in England, "den 'die Wissenschaftler wissen es am besten und müssen die Öffentlichkeit auf ihre Seite bringen'-Ansatz", so resümierte Frank Burnet von University of the West of England letztes Jahr auf dem British-Council Symposium im Potsdamer Einsteinforum die Entwicklung.

"Bei diesem Ansatz, der manchmal auch das Defizit-Modell genannt wurde, klingt eine gewisse Überempfindlichkeit der Öffentlichkeit hinsichtlich der Wissenschaft mit an: als ob die Öffentlichkeit einfach nicht verstehen wollte, was für eine feine Sache die Wissenschaft doch schlussendlich ist. Das Heilmittel, so lautete damals die Schlussfolgerung, liegt darin, die Leute zu erziehen. Deshalb wurden die Resourcen darauf verwendet, eine landesweite Wissenschafts-Nachhilfe-Klasse einzurichten. (...)Ein jüngst vom House of Lords vorgelegter Bericht markiert nun wahrscheinlich das Ende dieser Ära und dieses Ansatzes. Nun soll sich die ganze Sache darum drehen, die Öffentlichkeit in einen Dialog darüber zu verwickeln, wie Wissenschaft innerhalb der Gesellschaft am besten zur Anwendung kommt. Die Vermutung ist, dass dieser demokratische Prozess am bestem dadurch unterstützt wird, dass die Öffentlichkeit eine direkte Rolle in der Entscheidung spielt, welche Stränge der Wissenschaft weiter verfolgt und welche ignoriert werden sollten."

Um solche Fragen ging es, bei aller Dialogbereitschaft, beim Berliner Wissenschaftssommer allerdings nicht, der unter dem Motto der "Lebenswissenschaften" stand - was dem tüchtigen Staunen aber keinen Abbruch bereitete.