Rumsfeld und die supergeheime Pentagon-Abteilung

Seymour Hersh glaubt belegen zu können, dass eine vom US-Verteidigungsminister mit Wissen von Bush eingerichtete Abteilung Tür und Tor für die Misshandlungen an irakischen Gefangenen geöffnet hat

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Seymour Hersh, der bereits das My Lai Massaker an die amerikanische Öffentlichkeit gebracht hat, erweist sich auch jetzt wieder als eine treibende Kraft und demonstriert, was ein Journalist in der besten amerikanischen Tradition bewirken kann, wenn er den entsprechenden Mut und das richtige Medium hat, in diesem Fall die Zeitschrift The New Yorker. Hersh verteidigt die demokratischen Grundwerte der USA, bei den rechten Amerikanern und bei den Anhängern der Bush-Regierung gilt er hingegen als linker Staatsfeind oder gar als journalistischer Terrorist. Nach seinen Informationen, und die sind normalerweise richtig, ist US-Verteidigungsminister Rumsfeld derjenige, der an erster Stelle für die Exzesse im Irak verantwortlich ist - und dementsprechend seinen Hut nehmen müsste.

In der Bush-Regierung geht es derzeit drunter und drüber. Sprechen die einen davon, aus dem Irak abzuziehen, wenn dies die neue Regierung wünscht, widerspricht der Präsident und sagt, die Truppen bleiben. Gerade hatte noch Rumsfeld die Verhörmethoden im Irak verteidigt und die Misshandlungen auf Übergriffe Einzelner beschränken wollen (Das Zweiklassensystem des Pentagon), räumte sein Vize Wolfowitz ein, dass selbst die vom Pentagon genehmigten Befragungsmethoden gegen die Genfer Konventionen verstoßen könnten. Schnell werden auf einmal ein paar hundert Iraker, die offenbar doch nicht so gefährlich sind, aus dem Abu Ghraib-Gefängnis entlassen und offiziell nun humane Verhörverfahren eingeführt, während man gleichzeitig noch meint, gegen die Milizen von al Sadr militärisch hart vorgehen zu müssen und damit das nächste Fiasko zu riskieren.

Nach Hersh wartet weiteres Ungemach auf die Bush-Regierung. Gerade erst hatte er nachgewiesen, dass das Pentagon schon länger über den geheim gehaltenen Taguba-Bericht von den Misständen im Abu Ghraib-Gefängnis wusste, aber dies aus guten, wenn auch nicht rechtsstaatlichen Gründen möglichst als "verdeckte Operation" handhaben wollte (Sadistische KZ-Spiele). Jetzt konnte Hersh durch seine Kontakte erfahren, dass Rumsfeld letztes Jahr, als nach dem schnellen Sturz von Hussein der Widerstand aufflammte, angeordnet hatte, die geheime Operation für die Jagd nach al-Qaida-Mitgliedern auch auf den Irak auszudehnen. Offenbar unter anderem "Copper Green" genannt, sollte das zu besseren Informationen über die Aufständischen führen. Die rechtlich "graue Zone" zog so auch in den Irak ein.

"Macht, was ihr wollt": Ein supergeheimes "Special Access Program" für hohe al-Qaida-Führer

Begonnen hat nach Hersh die Entwicklung, die zu dem Abu Ghraib-Skandal führte, bereits mit dem Afghanistan-Krieg und dem Einsatz von unbemannten, aber bewaffneten Predator-Drohnen, um ferngesteuert Terroristen zu töten. Als die Drohne eine Auto-Kolonne entdeckt, in der auch Mullah Omar mitgefahren sein soll, gab ein Jurist im Central Command nicht die Erlaubnis zum Abschuss. Das scheint, wie Hersh von Informanten erfahren hat, Rumsfeld sehr erzürnt zu haben. Auch in anderen Fällen dauerte die Abstimmung zu lange, so dass die vermeintlichen Ziele untergetaucht waren, bevor die Erlaubnis zum Abschuss gegeben wurde.

Rumsfeld soll dann in einem geheimen Befehl angeordnet haben, dass "hohe" Zielpersonen im Krieg gegen den Terrorismus von einer geheimen Einheit mit einer eigenständigen Zentrale im Pentagon (special-access program - SAP) ohne Einholung von Genehmigung vom Zentralkommando oder anderen Stellen getötet oder gefangen genommen werden dürfen. Weil die CIA als zu vorsichtig galt, wurde eben eine neue, forschere Abteilung gegründet - freilich ohne dass der Kongress davon in Kenntnis gesetzt wurde. Auch die dafür verwendeten Gelder flossen für die Gesetzgeber unerkenntlich.

Kenntnis von diesem Programm hatten auch Sicherheitsberaterin Rice und Präsident Bush. Insgesamt sollen davon nur an die 200 Personen gewusst haben, darunter auch der für Geheimdienste zuständige Staatssekretär Stephen Cambone und natürlich Stabschef Myers. Die Devise war, jeden Verdächtigen festzunehmen und mit ihm zu machen, was man wollte:

We're not going to read more people than necessary into our heart of darkness. The rules are 'Grab whom you must. Do what you want.'

Folter als Heilmittel für das Irak-Fiasko

Mit der neuen supergeheimen Einheit, für die Angehörige von Spezialeinheiten angeworben wurden, konnten schnell Verhöre auch mit Gewalt an vielen Orten, vor allem an den vielen CIA-Stützpunkten auf der ganzen Welt, durchgeführt werden. Die Abteilung galt als erfolgreich. Nachdem einige Monate nach dem Sturz Husseins der Widerstand aber nicht schwächer wurde, sondern erstarkte, es aber kaum Informationen über die Aufständischen gab und das Kriegsziel immer gefährdeter erschien, da auch der Wiederaufbau nicht vorankam, beschlossen Rumsfeld und Cambone, dass man mit den Gefangenen im Irak, die man verdächtigte, am Widerstand beteiligt zu sein, härter verfahren müsse, um die Aufständischen besser bekämpfen zu können (Knowledge of Abusive Tactics May Go Higher). Hier kam dann eben auch Generalmajor Miller, der Leiter des Guantanamo-Lagers ins Spiel, der Abu Ghraib ähnlich Guantanamo ('They tied me up like a beast and began kicking me') als Verhörzentrum gestalten sollte und dabei auch die Foltertechniken aus Guantanamo einführte.

Auch die SAP-Kommandos wurden in den Irak geschickt, um dort wie zuvor in Afghanistan Gefangene zu machen und hart mit ihnen umzugehen, wozu offenbar auch die sexuelle Demütigung gehörte. Zusätzlich wurden im Irak auch noch Geheimdienstoffiziere der Armee mit einbezogen, die unter der Aufsicht des Geheimprogramms arbeiten mussten. Die Verhörspezialisten und Folterer arbeiteten in Zivilkleidung und hatten Privilegien, so dass sie von der normalen Gefängnisverwaltung, die nach dem Taguba-Bericht sowieso chaotisch organisiert war, kaum kontrolliert werden konnten.

Nach Hersh opponierte im Herbst des letzten Jahres dann die CIA gegen das SAP-Programm im Irak, bei dem es nicht mehr gegen "high value targets" ging, sondern alle möglichen Menschen, die oft genug überhaupt nichts mit den Aufständischen zu tun hatten, gefangen genommen und zur Geständniserzwingung misshandelt wurden. Der Einwand erfolgte aus rechtlichen Gründen, aber auch aus pragmatischen, weil das Ausborden des Geheimprogramms dieses verraten und stumpf machen könnte. Ein Informant erzählte Hersh:

Das war eine Dummheit. Man nimmt ein Programm, mit dem man im Chaos von Afghanistan gegen al-Qaida, eine staatenlose Terrorgruppe, arbeitete, und bringt es in ein strukturiertes, traditionelles Kriegsgebiet. Früher oder später würden die Kommandos in die rechtlichen und moralischen Vorgehensweisen eines konventionellen Kriegs mit einer Armee von 135.000 Soldaten stoßen.

Wenn man solche Geheimprogramme über die Mitwirkung von erfahrenen Menschen hinaus ausdehnt, so der Informant, könne man schnell die Kontrolle verlieren, wie dies in Abu Ghraib geschehen sei. Ein Pentagon-Berater meinte, Rumsfeld oder gar Bush seien für die Misshandlungen zwar nicht direkt verantwortlich, aber Bush habe das Pentagon und Rumsfeld Cambone beauftragt. Insgesamt aber hätte der 11.9. die Veränderung mit sich gebracht, dass im Kampf gegen den Terrorismus der Zweck die Mittel legitimiere.

Aber auch beim Militär regte sich Widerstand. So hätten sich hohe, für das Recht zuständige Offiziere an das New York City Bar Association's Committee on International Human Rights gewandt und gebeten, dass die Verhaftungs- und Verhörmethoden der Bush-Regierung laut kritisiert würden. Besonders beunruhigt sollen sie über den vermehrten Einsatz von Söldnern für die Durchführung von Verhören gewesen sein. Die rechtliche Zweideutigkeit der Bush-Regierung habe erstmals seit 50 Jahren die Beachtung der Genfer Konventionen in Frage gestellt.

Angriffsziel: die Haltung zur Sexualität der Araber

Die "rechtlich graue Zone" bzw. die eindeutig zweideutige Haltung zu Menschenrechtsverletzungen im Dienste der "guten" Sache könnte eben auch die Misshandlungen rechtfertigen. Nach Hersh wurde bei den Neokonservativen das Buch des Kulturanthropologen Raphael Patai "The Arab Mind" vor dem Irak-Krieg zu einer Art Bibel für den Umgang mit den Arabern. Patai erläutert, warum Sexualität für die Araber so ein wichtiges und gleichzeitig verzwicktes Thema ist, das streng privat gehandhabt wird. Daher wurde die sexuelle Demütigung mitsamt den Aufnahmen zu einer Strategie, um die Gefangenen gefügig zu machen und auch nach der Freilassung zum Spionieren erpressen zu können, wenn sie nicht wollten, dass die Fotos von ihnen in Umlauf kommen. So könnte man an die Informanten kommen, die die Amerikaner bislang nicht finden konnten.

Als dann durch den Militärpolizisten Joseph Darby die auf CD-ROM festgehaltenen Misshandlungen der Criminal Investigations Division der Armee gemeldet wurden, soll dies Rumsfeld auch schnell Bush mitgeteilt haben. Das geheime Programm sei darüber ansatzweise aufgedeckt geworden, man werde das aber schon richten. Tenor: Das waren nur ein paar Einzelne, die außer Kontrolle geraten sind (Schlimmeres kommt noch). Aber es ist wahrscheinlich nicht besonders klug gewesen, ausgerechnet Miller, der vermutlich durch seine von Guantanamo mitgebrachten Anweisungen den sadistischen Misshandlungen in Abu Ghraib die Tore geöffnet hat, wieder in das Gefängnis zu schicken, um die Missstände zu beheben und für Vertrauen zu sorgen.

Wer ist verantwortlich?

Wahrscheinlich, so Hersh und seine Informanten, wussten Rumsfeld oder Myers nicht, was in Abu Ghraib passiert ist, aber die Misshandlungen wurden durch die der SAP-Abteilung zugesprochene Willkür ermöglicht. Und Hersh endet, indem er Kenneth Roth, den Direktor von Human Rights Watch, zitiert:

Wir offerieren der Welt eine gute Entschuldigung dafür, die Genfer Konventionen zu missachten. Rumsfeld hat die Messlatte gesenkt.

Wenn die Enthüllungen von Hersh über die Geheimabteilung und deren Wirken im Irak zutreffen sollten, dann müsste nicht nur Cambone, sondern dann sollten auch Rumsfeld und Myers gehen. Da aber die letzte Verantwortung für die Aufweichung der Grenzen und das Begehen von Menschenrechtsverletzungen George W. Bush trägt, ist damit nicht zu rechnen ("Sie machen eine hervorragende Arbeit"). Schließlich kann er sich ebenso wenig wie Cheney oder Rice davon glaubhaft distanzieren. Und was wäre Bush ohne seinen Verteidigungsminister und Cheney ("Sie machen eine hervorragende Arbeit")?

An Kerry dürfte die Bush-Regierung nicht scheitern, sie könnte sich aber - mit der Nachhilfe von Journalisten wie Hersh - selbst demontieren. Und der mit Biegen und Brechen durchgesetzte Irak-Krieg, der anfänglich so erfolgversprechend aussah, könnte womöglich zum Sargnagel der Neokonservativen mit ihrer Irak- und Ölobsession werden.