Sarko, der Sonntagsfahrer

Ende der großen Sause?

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Stößt das „Modell Sarkozy“ an seine Grenzen? Hat das Publikum von der Show schon wieder die Nase voll? Seit Januar dieses Jahres vollzieht der französische Staatspräsident, der vor Jahresfrist mit dem Image eines strahlenden Winner-Typen ins Amt kam, einen fast kontinuierlichen Sinkflug in den Meinungsumfragen. Nach einer zwischenzeitlichen, kurzfristigen Erholung stieg er zum ersten Jahrestag seiner Wahl am 6. Mai erneut ab - und noch weiter als zuvor. Auffällig unauffällig beging das Präsidentenamt im Elysée-Palast deshalb auch diesen Jahrestag. 55 Prozent der Franzosen erklärten zu dem Zeitpunkt, dass sie nicht möchten, dass er in vier Jahren erneut kandidiert. Und nur 36 bis 38 Prozent erklärten, dass sie dem Präsidenten „vertrauen“, während 58 Prozent ihm ihr „Misstrauen“ aussprachen.

Seit längerem ist der französische Präsident auch in der Beliebtheitsskala hinter seinen Premierminister François Fillon zurückgefallen - einen eher blassen Politiker, dem Präsident Sarkozy bislang kaum Platz für eigenständige Auftritte gelassen hat. Vielleicht hat gerade dies dem Premier paradoxerweise genutzt, da er nicht so stark mit dem offiziellen Glimmer der Sarkozy-Ära identifiziert wird. François Fillon blieb monatelang im Schatten von Nicolas Sarkozy, konnte sich dabei aber auch weniger „abnutzen“, zumindest in jüngster Zeit.

Die dummen Streiche der Reichen

Doch ist das nur Oberfläche. Bereits die Tatsache, dass Premierminister François Fillon sich lange Monate hindurch in den Umfragen weitaus besser hielt als sein Vorgesetzter im Amt - obwohl beide ein- und dieselbe Politik betreiben -, deutet darauf hin, dass die öffentliche Meinung in ihrer Mehrheit (noch) nicht unbedingt deren Kerninhalte verwirft.

Bei einem Teil seiner früheren Wähler eckt Sarkozy mit seinem Stil eines ungehobelten Neureichen zunehmend an. Die „Überbelichtung“ (“surexposition“) seines Privatlebens infolge seiner Heirat mit dem Ex-Model Clara Bruni, sein Faible für Kurzurlaube auf Yachten oder in Privatjets von befreundeten Milliärden wie Vincent Bolloré sowie für Rolex-Uhren trugen hierzu ebenso bei wie seine Manieren eines Parvenüs. (siehe Tout Sarkoid).

Einer, der ehrlich auftritt und tut, was er sagt

Ursprünglich hatte Sarkozy im Wahlkampf des vergangenen Jahres immer wieder „das Frankreich, das früh aufsteht, hart arbeitet und nicht unnötig protestiert“ gelobt und seine Versprechungen an das konservative Publikum gerichtet – während er zugleich in seinem letzten Wahlkampfmeeting Ende April 2007 versprach, „das Erbe des Mai 68 endgültig zu liquidieren“. Das kam bei einem Teil der konservativen, und ebenso bei einem Teil der rechtsextremen Wähler gut an. Statt weiterhin die harte Arbeit zu loben, praktiziert Sarkozy jetzt aber das Angebertum dessen, der es geschafft hat und sich persönlich auf der Gewinnerseite angekommen sieht. Das sorgt in denselben Kreisen für Enttäuschung und Verbitterung.

Auch wenn im Augenblick das „Modell Sarkozy“ nicht im vollen Sinne zu triumphieren scheint, so ist doch die Frage aufzuwerfen, was die Präsidentschaft Nicolas Sarkozys für die politische Rechte und die französischen wirtschaftlichen Eliten in ihrem bisherigen Verlauf gebracht hat.

Eine Feststellung springt dabei ins Auge: Das Herangehen der Regierungssystems Sarko an das „notwendige Reformieren“ der französischen Gesellschaft und Ökonomie ist ein grundlegend anderes als zu Zeiten des Amtsvorgängers Jacques Chirac. Chirac und seine Premierminister mussten - vor allem in der Anfangsphase ab 1995 - notgedrungen zurückstecken, nachdem ihre zum Teil offen lügnerischen Sozialversprechen im Wahlkampf in offenkundigen krassen Gegensatz zu einer anderslautenden Praxis getreten waren und sich schnell Protest an diesem Widerspruch entzündet hatte. An denselben Punkten rücken Sarkozy und seine Mannschaft hingegen beim Abbau historischer Errungenschaften der Arbeiterbewegung zügig voran1.

Jenseits der unterschiedlichen Persönlichkeiten und Temperamente der beiden Staatsoberhäupter spielen auch objektive Faktoren bei der Erklärung dieser Unterschiede eine Rolle: Jacques Chirac hatte sich 1995 als Präsidentschaftskandidat gegen einen (vermeintlich stärkeren) Konkurrenten aus den Reihen seiner eigenen Partei, damals des neogaullistischen RPR, behaupten müssen und deswegen auf der Klaviatur der schön klingenden sozialen Versprechungen gespielt. Hingegen wusste Sarkozy im Wahlkampf von 2006/07 eine geeinigte Rechte, die er hinter sich hatte zusammenschließen können, hinter sich.

Und er kündigte im Wahlkampf tatsächlich kaltschnäuzig an, was er auf dem Gebiet der „nötigen Reformen“ später auch durchzusetzen versuchte. Eine Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit tat sich so gar nicht erst auf. Stattdessen strich er zunächst den Imagebonus dessen ein, „der ehrlich auftritt und tut, was er sagt“ und „der auch mal auf den Tisch hauen kann“ ein. Allerdings hatten viele seiner Anhänger und Sympathisanten sich dabei zugleich erhofft, dass auch für sie selbst etwas dabei vom gedeckten Tisch abfallen würde, falls sie sich nur eine Scheibe vom Winnertypen abschnitten und hart - oder dynamisch - genug im Leben aufträten.

Blitz- statt Stellungskrieg

So lautet die neue Methode beim „Reformieren“ auf wirtschafts- und sozialpolitischem Gebiet. Die Erfolgsbilanz des Agierens der neuen Regierung kann sich dabei, aus wirtschaftsliberaler Sicht, durchaus sehen lassen: Kein Präsident vor ihm hat erfolgreich an die Eisenbahnerrenten rühren können, ohne das Land durch einen mehrwöchigen und konsequent geführten Transportstreik „lahm gelegt“ zu sehen.

Und die Drohung, das Regierungslager könne gesetzgeberisch aktiv werden, hat genügt, um in den letzten Monaten - auf anderen Gebieten - die Gewerkschaften „freiwillig“ zum Verzicht auf angestammte Positionen und zum Aushandeln regressiv ausfallender „Kompromisse“ zu bewegen2 - nach dem Motto: Wenn wir nicht das Zweitschlimmste durch unsere Unterschrift akzeptieren, könnte auch das Schlimmste kommen.

Sarkozy und seinem politischen Umfeld gelang das Kunststück, die ehemals „rote“ Gewerkschaft CGT einzubinden, das zuvor noch keiner bürgerlichen Regierung gelungen war. Und die Gewerkschaft hielt ihrerseits über Monate hinweg (relativ) still, da sie den Erfolg der Verhandlungen - die für ihre Zukunft entscheidende Weichen stellten - nicht gefährden mochte3.

„Das Phänomen Sarkozy“

Dass die regierende Rechte mit ihrer „neuen“ Methode bisher relativ gut „durchkommt“, liegt nicht ausschließlich an ihr selbst. Auf der Gegenseite hat sie es mit geschwächten Kräften zu tun. Die politische Linke ist zersplittert. Über Grundsatzfragen -„Wie hältst Du es mit einer potenziellen Regierungsbeteiligung?“, „Ist der Neoliberalismus oder der Kapitalismus das zu überwindende Problem?“ - herrscht eine heillose Verwirrung und organisatorische Aufspaltung, während vor allem im Abschnitt 2006/07 der Röhrenblick auf die Wahlen und die Beteiligung an ihnen überwog. Die Gewerkschaften sind in die Defensive gedrängt.

Der Zustand der Rechten allein erklärt also nicht alles. Dennoch stellt sich die Frage, ob sie sich zwischen dem Beginn der Chirac- und jenem der Sarkozy-Ära verändert, ja einen Qualitätssprung erlebt hat. Diese Frage wird derzeit in einer Reihe von Quellen kontrovers diskutiert.

So haben eine Reihe sozialwissenschaftlicher oder politischer Zeitschriften Sonderausgaben zum „Phänomen Sarkozy“ auf den Markt geworfen, von denen einige einen Blick lohnen4.

So definiert etwa der von der "Zeit" geschätzte („wagt den großen Wurf“) französische Philosoph Alain Badiou das „Phänomen Sarkozy“ als einen „Neopétainismus“, wobei er darunter nicht einen Faschismus oder Neofaschismus im engeren Sinne versteht: Von der richtigen Annahme ausgehend, dass das autoritär-klerikale Regime von Vichy nicht mit dem Faschismus oder Nationalsozialismus auf eine Stufe zu stellen ist, wohl aber in ihrem Windschatten gedieh, postuliert Badiou:

Die massenhaft verbreitete Grundidee des Pétainismus war (…) dass, nach dem Krieg von 1939, Pétain die Franzosen vor den desaströsesten Auswirkungen des Weltkriegs beschützen werde.

Der Pétainismus sei eine Allianz der Verängstigten gewiesen, die, so Badiou, viele Züge des Verhaltens der Menschen unter dem Faschismus - Badiou: „Angst, Denunziation, Verachtung der anderen“ - , aber nicht dessen „Affirmationskraft“ und „vitalen Elan“ aufwies. In diesem Sinne betrachtet der sich nach wie vor zum Marxismus bekennende Philosoph die (anfängliche) breite Zustimmung zu Sarkozy als „Möglichkeit eines Neopétainismus mit Massenbasis“, dessen Anhänger sich vor den Krisen und Verwerfungen der Welt in Sicherheit wähnen wollen und deshalb umso stärker nach Schutz vor („illegaler“) Einwanderung und „Bedrohungen für die innere Sicherheit“ verlangen.

Auch andere Autoren, wie etwa Pierre Tevanian, erkennen Elemente des Pétainismus im Phänomen Sarkozy. Tevanian folgt den Spuren des Pétain-Programmsatzes „Arbeit, Familie, Vaterland“ in Sarkozys Wahlkampfdiskurs und -programmen nach. Diese seien jedoch mit Modeerscheinungen, mit punktuellen Imitationen von Ronald Reagan oder Margaret Thatcher sowie politischen Charakterzügen Silvio Berlusconis verschnitten. Die wahre Stärke des Phänomens Sarkozy sieht Tevanian jedoch mitnichten in dessen eigenen Merkmalen, sondern ganz überwiegend darin, dass ihm auf der anderen Seite nichts Substanzielles gegenüber stehe: Die etablierte Linke sei so ideenlos wie angepasst und habe, etwa in Sachen Einwanderungspolitik, einige Grundsätze ihrer Gegner geschluckt und übernommen5.

Der Gendarm von Frankreich

In der Sicherheits-, Polizei- respektive Kriminalitätspolitik hat die Rechte unter Nicolas Sarkozy zeitweise vermeintliche Erfolge erzielt und vorgebliche Lösungen vorgetragen. So schien sie zeitweise das Fieber zu senken, indem sie das Thermometer zerschlug, durch die Beendigung der Politik der so genannten ‚Police de proximité’, der bürger- bzw. einwohnernahen Polizei. In der Sache handelte es sich dabei darum, lokal angesiedelte Polizeieinheiten, die innerhalb der Krisenzonen der Trabantenstädte angesiedelt werden sollen, zu schaffen. Dies hatte die sozialdemokratisch geführte Regierung schon in den Jahren 1997 bis 2002 unter dem Namen ‚Police de proximinité’ unternommen.

Man wollte damit eine Deseskalation im polizeilichen Auftreten: Bis dahin war das Erscheinungsbild der Polizei in den Banlieues von militarisierten, ortsfremden Einheiten geprägt gewesen, die die lokalen Verhältnisse nicht kennen, bestimmte „Krisenzonen“ nur zu Strafexpeditionen betreten und sich dort wie in (zeitweilig erobertem) Feindesland aufführen. Oft trägt dabei zusätzlich zum Aufbau von Spannungen bei, dass besonders junge, unerfahrene Beamte dort zum Einsatz kommen, denen das Image „der Banlieues“ selbst erhebliche Furcht einflößt und die sich nur umso aggressiver benehmen.

Um dem ein Ende zu setzen, hatte die sozialdemokratische Regierung kleine, dezentrale Einheiten geschaffen, deren Beamte auch tagsüber in ihren Büros innerhalb der Trabantenstädten ansprechbar sein und die so ein minimales Vertrauensverhältnis zu den Einwohnern aufbauen sollen. (Allerdings koexistierten diese „anwohnernahen“ Polizeikräfte, die über kleine dezentrale Kommissariate innerhalb der Banlieues verfügten, auch unter der sozialdemokratischen Regierung mit den Rambotrupppen à la BAC – ‚Brigades anti-criminalité’-, die sträflicherweise zu keinem Zeitpunkt aufgelöst worden waren.

Während die Erstgenannten tagsüber und an Werktagen in ihren Büros ansprechbar waren, „gehörte“ die Nacht in den Banlieues weiterhin – sofern Polizei zum Einsatz kam – den durchmilitarisierten Ramboeinheiten. Und es kam auch unter der „Links“-Regierung weiterhin zu Toten durch polizeiliche Gewalteinwirkung unter den Banlieuejugendlichen und infolge dessen zu Unruhen, so Ende 1997 in Dammarie-les-Lys, Anfang 1999 in Toulouse oder im Frühjahr 2000 in Lille-Sud.)

Polizisten sind keine Sozialarbeiter

Die Rechtsregierungen ab 2002 hatten diese Politik jedoch vollständig beendet und eine Rückkehr zu einem „Rambo-Auftreten“ der Polizei betrieben. Das minderte zunächst scheinbar die Kriminalitätsrate in den Banlieues, da – aufgrund wachsender räumlicher Entfernung zwischen Polizeikommissariaten und Einwohnern und/oder verringerter Öffnungszeiten für den Publikumsverkehr – insgesamt weniger Straftaten zur Anzeige gebracht wurden. Die Lage für die Bürger/innen vor Ort verbesserte sich zwar nicht, wohl aber schien die Autorität des Staates „rehabilitiert“ worden zu sein. Denn, so der damalige Innenminister Sarkozy, in der vorherigen Phase hätten Polizisten „allzu oft Sozialarbeiter gespielt, und das ist nicht ihre Aufgabe“.

Diese scheinbare deutliche Verbesserung der Kriminalitätsstatistiken war eine der wichtigen Ursachen für den Publikumserfolg des, „hart durchgreifenden“, damaligen Innenministers Sarkozy. Aber das Vorgehen insgesamt war höchst eskalationsträchtig, wie sich bei den Unruhen 2005 zeigte, nachdem zahlreiche Deseskalations- und Vermittlungsmöglichkeiten zwischen Staatsgewalt und Einwohnern zerstört worden waren. Nunmehr kehrt, mit den seit Februar 2008 neu geschaffenen ‚Unités territoriales de quartier’, auch die Rechtsregierung stillschweigend zu Konzepten zurück, die denen der „anwohnernahen Polizei“ aus dem vergangenen Jahrzehnt doch sehr ähneln. Auch wenn der Strategiewechsel nicht beim Namen genannt wird.

Ist die französische Rechte also intelligent geworden, nachdem der „sozialistische“ Premier Guy Mollet in den 1950er Jahren einmal über sie geäußert hat, sie sei „die dümmste Rechte der Welt“? Nichts darauf hin, dass dies dauerhaft so wäre. Aber das konservative Lager, die Wirtschaftsliberalen und die Reaktionäre sind tatsächlich - vor allem - deswegen so stark, weil ihre Gegner derzeit oft schwach und strategie- oder ideenlos wirken.

Konservative und Rechtsextreme vor offenen Widersprüchen

Obwohl er im Augenblick „nur“ 600 aktiv Streikende umfasst, wissen alle, dass der Aufstand der ‚Travailleurs sans papiers“ nur die Spitze des Eisbergs ist. Ganze Wirtschaftsbranchen leben von der Ausbeutung und z.T. Überausbeutung „illegalisierter“ Arbeitskräfte, insbesondere das Hotel- und Gaststättengewerbe, die Bauindustrie (vor allem ihre kleineren Unternehmen, aber nicht ausschließlich) und das Reinigungsgewerbe.

Der Streik der „illegal“ eingewanderten Beschäftigten in rund 30 Betrieben (Restaurants, Baufirmen, Reinigungsunternehmen) in der französischen Hauptstadt und im Pariser Umland hat in den letzten beiden Wochen die Regierung in Bedrängnis gebracht: Zudem sehen sich Konservative wie Rechtsextreme plötzlich im Widerspruch zu einem Teil ihrer eigenen sozialen Basis – den Kleinunternehmern, Restaurant- und Hotelbesitzern.

Die Kontrollwut der konservativen Politiker tritt an dieser Stelle in Widerspruch zum ökonomischen Interesse der Wirtschaftselite oder Bourgeoisie. Unter dem Druck des Streiks spricht letztere sich deshalb für eine „Legalisierung“ der betroffenen Arbeitskräfte aus. Etwa der Chef des Arbeitgeberverbands im Hotel- und Gaststättengewerbe, André Daguin. Eigentlich ein reaktionärer Scharfmacher, der am 30. August 2004 bei der „Sommeruniversität“ genannten Jahrestagung des Arbeitgeberverbands tönte, es brauche Killerfiguren an der Spitze der Kapitalverbände, und seine Kollegen gingen viel zu nett mit ihren Beschäftigten um:

Ihr müsst jene sein, die bedrohen, und nicht jene, die bedroht werden. (...) Die Gesellschaft benötigt harte (Leute), nicht Weichlinge. Das Ärgerliche ist, dass es viele Weichlinge gibt, zu viele. Es muss Schluss damit sein, dass zurückgewichen wird, wenn der Moment der Anstrengung/Leistung gekommen ist. (....) Ich ziehe die Mörder gegenüber den Betrügern vor. Die Leute finden die Betrüger sympathisch. Die Mörder natürlich nicht. Aber Erstere haben einen großen Verdienst: den, nicht heuchlerisch/keine Heuchler zu sein.

Derselbe André Daguin fordert nun aber allein für seine Branche die „Legalisierung“ von 50.000 papierlosen Einwanderern. Eine Forderung, die bislang entweder als hoffnungslos naiv geltenden Humanisten oder aber Linksradikalen vorbehalten schien. Daguin, der aus dem südwestfranzösischen Auch kommt und dort Hotelbesitzer ist, hatte in der Vergangenheit eine (lokal)politische Karriere bei der bürgerlichen Rechten versucht, mit der Option einer Öffnung hin zur extremen Rechten. Doch nunmehr steht er mit seiner Forderung in komplettem Widerspruch sowohl zu den Mainstreampositionen innerhalb des konservativ-liberalen Blocks, als auch zu denen des rechtsextremen Front National.

Beide Letztgenannten reagieren auf die aktuelle Situation, indem sie sich auf die „schwarzen Schafe“ im ansonsten eher geschätzten Unternehmerlager einschießen. So Nicolas Sarkozy in seiner Fernsehansprache an die Nation am Abend des 24. April, der einen längeren Teil seines Rede- und Antwortspiels mit ausgewählten (und gefügigen) Journalisten den Themen Einwanderungspolitik und Sans papiers-Streik widmete. Sarkozy wetterte dabei gegen die schwarzen Schafe unter den Unternehmern, die sich nicht an die Regeln hielten. Es gelte, nun einmal ernsthaft zu sein:

Unter den legal in Frankreich lebenden Ausländern haben wir gut 22 % Arbeitslosigkeit, also soll mir niemand erzählen, es gebe keine (verfügbaren) Arbeitskräfte und man müsse deshalb Illegale einstellen.

Auf perfide und geschickte Weise versucht Präsident Sarkozy dabei zudem, verschiedene Einwanderergruppen – jene mit und jene ohne gültige Aufenthaltstitel – gegeneinander auszuspielen und in Widerspruch zueinander zu bringen. Damit war die Perfidie anscheinend noch nicht am, denn Sarkozy fügte demagogisch hinzu:

Dass man in einem Restaurant arbeitet, so sympathisch es auch sein mag, gibt/verleiht noch kein hinreichendes Recht darauf, Franzose zu werden!

Nun streiten sich die Beobachter/innen, ob es lediglich eine politische Dummheit oder aber infame Absicht war, auf solche Weise Einbürgerung und Übertragung der französischen Staatsbürgerschaft („Franzose werden“) einerseits, das Recht auf („legalen“) Aufenthalt in Frankreich anderseits miteinander zu verwechseln bzw. in einen Topf zu werfen. Manche glauben an einen Versprecher. Andere aber gehen davon aus, Sarkozy habe vielmehr absichtlich auf die Uninformiertheit , das Ressentiment oder das mangelnde Interesse daran, es genauer zu wissen, in seiner eigenen Wählerschaft (plus in jener Hälfte der Wählerschaft Le Pens, die er 2007 vorübergehend gewonnen hatte) gesetzt.