Schlammschlacht um Musiktauschbörsen

Peer-to-Peer-Netzwerke wollen kein Tummelplatz für Pädophile sein

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Die Musikindustrie ist nicht zimperlich, wenn es darum geht, die Betreiber von Musiktauschbörsen und die gesamte Peer-to-Peer-Technologie in Verruf zu bringen. Besonders gern und oft streut sie die Behauptung, Tauschbörsen seien Tummelplätze für Pädophile. Kazaa und Co. schlagen nun zurück. Die Musiktauschbörsenbetreiber wollen Kinderpornografie in ihren Tauschbörsennetzen konsequenter als bisher bekämpfen. Morpheus und Grokster werden Meldestellen einrichten und Kazaa kündigt an, die Möglichkeiten des Users, Inhalte zu filtern, erweitern zu wollen. Allen Tauschbörsen gemeinsam ist, dass sie in Zukunft eng mit dem FBI zusammenarbeiten wollen.

Adam M. Eisgrau, Geschäftsführer des Peer-to-Peer-Verbandes P2P United, findet markige Worte, wenn es um den Vorwurf der Musikindustrie geht, Tauschbörsen förderten die Verbreitung von Kinderpornografie. Es sei eine Schande für die Musikindustrie, die Milliarden damit verdiene, den sexuellen Missbrauch von Frauen und Minderheiten zu glorifizieren und Schläger, Vergewaltiger und Schwerverbrecher zu Vorbildern zu machen, dieses Thema für die Durchsetzung ihrer Profitinteressen zu missbrauchen, erklärte Eisgrau anlässlich eines Senatshearings im September letzten Jahres und schloss seine Ausführungen mit dem bösen Satz: "Schurken findet man offenbar nicht nur in den dunkelsten Seitengassen des Internet.

Nicht die Technologie an sich sei Schuld, wenn über sie pornografisches Material verbreitet werde, Schuld seien die Verbreiter, die im Übrigen auch jede andere Kommunikationstechnologie missbrauchten, um ihr illegales Material unters Volk zu bringen, erklärte Eisgrau im Namen seines Verbandes, zu dessen Mitgliedern die Tauschbörsen Grokster, Morpheus, Blubster, BearShare und Edonkey gehören.

Mit markigen Worten mochten es Eisgrau und P2P United allerdings nicht bewenden lassen. Auf der Webseite von P2P United findet man bereits sei längerem ein so genanntes Parent to Parent Resource Center, eine Meldestelle, über die Tauschbörsennutzer verdächtiges Material melden können. P2P United arbeitet außerdem an einem System, mit dessen Hilfe man aktuelle FBI-Fahndungsfotos von Herstellern und Verbreitern kinderpornografischen Materials auf den Webseiten der Mitgliedstauschbörsen anzeigen will. Die Bilder der Tatverdächtigen werde man vom FBI beziehen und mit Links versehen, die den User direkt auf die einschlägigen Webseiten der Bundespolizei führen. User, die verdächtiges Material finden, sollen sich direkt mit dem FBI in Verbindung setzen und ihre Informationen online weitergeben können.

Verbesserte Filtertechniken für Tauschbörsianer

Auch die vom Kazaa-Betreiber Sharman Networks gegründete Distributed Computing Industry Association möchte das pornografische Schmuddelmaterial in ihren Netzwerken loswerden. Deshalb arbeite man schon seit geraumer Zeit eng mit dem FBI zusammen, erklärte Marty Lafferty, Geschäftsführer der DCIA. In den Fällen, in denen Kazaa zur Verbreitung von Kinderpornografie missbraucht werde, werde man "alle Hebel in Bewegung setzen", um Tatverdächtige ausfindig zu machen, kündigte Lafferty an. Auf Grund der dezentralen Struktur ihres Tauschbörsennetzwerkes sei es derzeit aber nicht möglich, verdächtige Dateien herauszufiltern, zumal sich diese Dateien oftmals hinter harmlosen Dateinamen und irreführenden Beschreibungen in den Metadaten verbergen.

Man arbeite bei Kazaa aber an einer Technologie, die es Kazaa-Usern ermögliche, Dateien mit pornografischem Material zu markieren. Gleichzeitig werde man auf Seiten der Nutzer die Filtermöglichkeiten so verbessern, dass es effektiver als bisher möglich werde, pornografische Inhalte in den Suchergebnislisten auszublenden. Mit diesen Maßnahmen wolle man den Verbreitern von Kinderpornografie unmissverständlich klar machen, dass Peer-to-Peer-Netzwerke die am wenigsten geeigneten Orte seien, um Kinderpornos zu verbreiten. "Das ist, als würde man auf einem Marktplatz stehen und lauthals schreien: 'Ich habe etwas Ungesetzliches getan'."

Warum werden die Netzwerke nicht gescannt?

Gut gebrüllt, Löwen! Denn dass es Tauschbörsenbetreibern oder Musikindustrie tatsächlich um einen möglichst effektiven Kampf gegen Kinderpornografie geht, darf mit Fug und Recht bezweifelt werden. Die Musikindustrie hat nicht das geringste Interesse an pornofreien Peer-to-Peer-Netzen, würde sie sich damit doch eines derzeit besonders effektiven Themas ihrer PR- und Lobbyarbeit berauben.

Aber auch für die Betreiber der Musiktauschbörsen ist das Thema höchstens lästig. Denn natürlich müssen sie sich fragen lassen, warum die Netze nicht rigoros auf pornografisches Material hin gescannt und warum keine Versuche unternommen werden, Pornoanbieter per IP-Nummer zu identifizieren. Hat nicht die Musikindustrie vorgemacht, wie leicht es prinzipiell möglich ist, einzelne Tauschbörsennutzer und ihre Tauschinhalte auszuspionieren und die Ergebnisse gerichtsverwertbar zu verwenden?

Politischer Gegenwind für Kazaa und Co.

Das Anti-Porno-Engagement der großen US-Tauschbörsen geschieht unter den Bedingungen einer zunehmend erfolgreichen Lobbyarbeit der Musikindustrie und deshalb alles andere als freiwillig. Trotz des Urteils eines kalifornischen Bundesgerichts vom April letzten Jahres, das den Tauschbörsen bestätigte, nicht für die Tauschinhalte ihrer User verantwortlich zu sein, bläst den Betreiberfirmen der politische Gegenwind derzeit kräftig ins Gesicht - und die Musikindustrie bläst kräftig mit. Denn auf Grund des Bundesgerichtsurteils konnte die Musikindustrie erstens nicht mehr vorrangig gegen die Betreiber der Musiktauschbörsen klagen, sondern zerrte bekanntlich von nun an deren Nutzer vor den Kadi. Zweitens aber verstärkte man den Druck auf die landes- und bundespolitischen Verantwortungsträger. Die böse Behauptung, Musiktauschbörsen seien ein Tummelplatz für Pädophile, machte die Runde - und die Saat ging auf.

P2P-Software nur noch für Erwachsene

Bereits Mitte März 2003 befasste sich das Government Reform Committee des amerikanischen Kongresses mit dem Thema Kinderpornografie in P2P-Tauschbörsen . Dem Kongressausschuss lag damals. ein Bericht des General Accounting Office (GAO) zur Verbreitung von Kinderpornografie über die Musiktauschbörse Kazaa vor. Das GAO hatte Kazaa für seinen Bericht nach Material zu zwölf Suchbegriffen wie "minderjährig" oder "Inzest" durchsucht und 1286 Bilddateien gefunden, von denen 543 mit Kinderpornografie in Zusammenhang gebracht werden könnten.

Im August 2003 stellten der republikanische Kongressabgeordnete Joseph Pitts und sein demokratischer Kollege Chris John einen Gesetzentwurf namens Protecting Children from Peer-to-Peer Pornography Act vor (Das P2PorNO-Gesetz), der den Vertrieb von Peer-to-Peer-Software erheblich reglementieren soll. Minderjährigen soll Tauschsoftware nur noch mit Einwilligung ihrer Eltern zugänglich gemacht werden dürfen.

In einer neuerlichen Anhörung, die am 6. Mai dieses Jahres vor dem Committee on Energy and Commerce des US-amerikanischen Repräsentantenhauses stattfand, griff Pitts die Betreiber von Tauschbörsen erneut scharf an: "Wenn Ihr Produkt illegale Aktivitäten erleichtert oder fördert, wenn es Verbrechern, Pornografen und Pädophilen erlaubt, Kinder auszubeuten, und wenn Ihre Produkte dazu führen, dass auch nur ein einziges Kind missbraucht wird, während Sie untätig abwarten, dann gibt es dafür keine Entschuldigung."

Penny Nance von der Kinderschutzorganisation Kids First Coalition schlug in die gleiche Kerbe. Peer-to-Peer-Netzwerke seien aus verschiedenen Gründen weitaus gefährlicher als andere Quellen im "wild west of the Internet". Der Zugang zu diesen Netzwerken sei für jeden frei, während kommerzielle Pornoangebote nur über einen Alterscheck zugänglich seien. Die Filter seien absolut unzureichend und über die Instant-Messaging-Funktionen mancher Tauschbörsen könnten Pädophile mit jugendlichen Usern problemlos Kontakt aufnehmen. Peer-to-Peer-Angebote seien deshalb weitaus gefährlicher als andere Pornoangebote im Netz.

Mit dem Hinweis darauf, dass nur ein Bruchteil der im Internet erhältlichen Pornografie in Peer-to-Peer-Netzwerken zu finden sei, könnten sich die Betreiberfirmen zudem keinesfalls aus der Affäre ziehen. Bei Google erhalte man exakt das, was man auch suche, erklärt Penny Nance den Unterschied aus ihrer Sicht. "Bei Kazaa sucht man nach Elmo (einer populären Figur aus der Sesamstraße) und erhält Pornografie."

P2P United-Geschäftsführer Adam Eisgrau wies solche Behauptungen schon im Vorfeld der neuerlichen Anhörung vehement zurück. Pornografie sei ein allgemeines Internetproblem und eben kein alleiniges Problem von Tauschbörsen. Wer anderes behaupte, argumentiere "unehrlich".

Verräterische Metadaten

Die Frage, wie ehrlich das eigene Engagement gegen Kinderpornografie bei Tauschbörsen ist, muss sich im Übrigen auch Bill Lockyer, oberster Staatsanwalt von Kalifornien, gefallen lassen. Im März dieses Jahres hatte er sich mit einem scharf formulierten Brief an seine Staatsanwaltskollegen gewandt und die unkontrollierte Verbreitung von Pornografie in den Tauschbörsennetzen angeprangert. Wie das Internet-Magazin Wired News herausgefunden haben will, hatte der kalifornische oberste Staatsanwalt diesen Brief nicht selbst verfasst, sondern schreiben lassen.

Microsoft Word ist dafür bekannt, dass in den Metadaten von Worddateien mehr gespeichert wird, als mancher User ahnt. In den Metadaten der Worddatei mit dem Brief des obersten Staatsanwalts fand Wired News nun Hinweise, die auf die Autorenschaft eines gewissen Vans Stevenson schließen lassen können. Stevenson wiederum ist eifriger Lobbyist der Motion Picture Alliance of Amerika (MPAA), der Vereinigung der US-amerikanischen Filmindustrie, und in dieser Funktion zuständig für die "Betreuung" kalifornischer Politiker.