Science Fiction in der kommerziellen Matrix

Amerikanisches e-Commerce-Unternehmen lanciert Sci-Fi-Webzine mit Spitzenautoren wie Bruce Sterling und testet damit die Grenze zwischen Journalismus und PR

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Einer der geistreichsten Mainstream-Filme der auslaufenden 90er brachte das Verhältnis von Sci-Fi und (technologischer) Realität auf einen diskussionswürdigen Ausgangspunkt: In "Galaxy Quest" werden in die Jahre gekommene und deshalb nicht zuletzt arbeitslose Schauspieler von ihrer fiktiven Vergangenheit als SF-Serienstars eingeholt. Sie werden als Besatzungsmitglieder eines kriegserprobten Raumschiffes reaktiviert, weil in Not geratene Außerirdische ihre Serie einst empfingen und ernst genommen hatten. Über alle Maßen überfordert, stolpert die Raumschiffbesatzung durch einen lebensgefährlichen Hard-SF-Parcours. Aus der Klemme helfen ihnen ganz und gar irdische Kids, die die wissenschaftlichen Aspekte der Serie studiert haben und somit in der Lage sind, die komplexen und teils unglaubwürdigen technischen Detailfragen zu lösen. Die mehrfachen Reality-Loops und Ebenenverschiebungen deuten auf das Potential, das Ausstellungen wie "Star Trek: Federation Science" thematisieren, aber auch auf die Schwierigkeit präzise Grenzen zu ziehen. Bestes Beispiel für Letzteres ist The Infinite Matrix, ein Sci-Fi Webzine, das dieser Tage lanciert werden soll.

Frontpage-Grafik der Ausstellung "Star Trek: Federation Science", derzeit im Science Museum, London

Die Macher von Matrix.com, ein US-Amerikanisches Internet-Unternehmen aus Austin und seit 1990 selbsternannter Pionier von E-Commerce, sind beim Nachdenken über neue Wege der Werbung auf eine Idee gestoßen, die nun in der Sci-Fi-Community für Aufsehen sorgt. Anstatt Banner-Werbung zu schalten, haben sie ein Sci-Fi Webzine konzipiert, das für geschätzte U$ 250.000 mindestens ein halbes Jahr lang von Eileen Gunn, ehemals Leitende Redakteurin bei Gorp.com und langjährige Verfasserin zeitgenössischer Science Fiction, redaktionell betreut werden soll.

Die inhaltliche Latte wird zunächst recht hoch gelegt. So hat man den ebenfalls in Austin ansäßigen Cyber-Kultautor Bruce Sterling verpflichten können, einen täglichen Weblog beizutragen. Zweiwöchentliche Short-short-fiction-Serien von Michael Swanwick und Richard Kadrey stehen außerdem auf dem Menu, darüberhinaus monatliche Roman-Auszüge, Kolumnen und nicht zuletzt so genannte Hard-SF, die die Geek-Community ansprechen soll. Schließlich besteht das Ziel darin, Angestellte und Chefs aus der IT-Branche anzusprechen, Professionelle mit technischem Expertenwissen also, die auf SF abfahren. Von dieser Marketingidee verspricht man sich einiges. Der erste Eindruck von Matrix.com soll durch das Webzine gefiltert werden: The Infinite Matrix soll der Firma bei der Rekrutierung helfen, Kunden und die Technologie-Industrie anziehen. Ein mögliches Szenario sieht in den Augen der Matrix-Macher so aus: Ich sitze am Rechner, surfe das Web, stoße auf dieses pralle Sci-Fi-Webzine mit schillernden Namen (Bruce Sterling) und schillernden Geschichten (von Bruce Sterling), denke: Mensch, was für eine Firma, die Sci-Fi nicht nur zu schätzen weiß, sondern sogar auch unterstützt und fördert. Da möchte ich auch arbeiten!

Klar, Techno-Kunst hat in Teletechnologie-Firmen seit geraumer Zeit Mäzene gefunden. Ausstellungen, Wettbewerbe, Forschungsaufträge, etc. werden durch Corporate Sponsoring finanziert, das ist kein Novum. Wenn Matrix.com sich nun in die Reihe dieser Gönner stellen möchte, so klingt das zunächst nicht abwegig. Und doch ist die Wechselwirkung zwischen Kunst und Industrie im Bereich der SF bislang anders gesehen worden. Obwohl die Fankultur, die sich um Serien wie Star Trek rankt, stets die Schwachstellen der Science-Aspekte aufzudecken im Stande war, bevorzugt die offzielle Geschichtsschreibung einen anderen Blickwinkel: Viele technische Erfindungen, von Mobiltelefonen bis Sprachübersetzungs-Software, wurden in Star Trek vorgedacht. Die laufende Ausstellung im Science Museum in London, die noch bis April nächsten Jahres zu sehen ist, hebt diese "Erzählung" (Lyotard) auf eine museale Ebene. "Star Trek: Federation Science", vom Oregon Museum of Science and Industry (OMSI) in Zusammenarbeit mit Paramount Pictures erarbeitet, führt über dreißig bedienbare Installationen und erlaubt Jung und Alt mit wissenschaftlichen Konzepten und Technologien zu experimentieren. Und all das durch die Augen eines Star-Trek-Kapitäns.

Unvergesslich "camp", die Helden der frühen Star-Trek-Serie

Der Begriff der Treknology scheint dabei erklärungsbedürftiger als angenommen. Wer Captain Kirk in den 60ern mit den so genannten Communicators hantieren sah, wird jetzt angesichts der um sich greifenden Handy-Manie an die Erfüllung einer Prophezeiung denken. Sogar automatische Schiebetüren und touch sensitive Computer-Kontrollsysteme debütierten in der populären Serie. Doch ist Treknology nicht synonym mit Star-Trek-immanenter Technologie-Forschung, sondern ein medial bedingter Neologismus, ein Begriffs-Mutant wie auch NASA/TREK. Wie Constance Penley in ihrem gleichnamigen, 1997 bei Verso erschienen Buch argumentiert, hat sich die NASA unverblümt bei der SF-Serie bedient, um das Image des umstrittenen Raumfahrt-Programms in der Öffentlichkeit zu festigen. Daher ist Treknology immer auch als Resultat vergleichbarer Rückkopplungen zu sehen.

Ein vergleichbarer Fall: Unter den utopischen High-Tech-Designs und Architekturen eines Ken Adam für die ersten James Bond Filme mit Sean Connery als 007 dürften auch technische Erfindungen gewesen sein, bestenfalls haben sie jedoch bereits in der Entwicklung begriffene Applikationen schmackhaft gemacht. In "Goldfinger" ist Bonds Auto lang vor den in Massenproduktion gegangenen Karosserie-integrierten Stadtinformationssystemen mit digitalen, GPS-gestützten Landkarten ausgestattet. Kein Wunder, dass heutige Werbungen für technische Innovationen auch Ken Adams utopische Ästhetik aufgreifen. Dabei wirkt die Verblüffung, wie sie vor einigen Monaten Mark Dery bis Niklas Maak angesichts zeitgenössischen Designs an den Tag legten, berechtigt. Die Tatsache, dass "die Zukunft von gestern" sei, scheint hingegen auch logisch. Wen wundert's, dass Apple 60er Jahre Sound als Begleitmusik für die i-Mac Werbe-Clips gewählt hat? Das Neue ist eben etwas ganz Altbackenes, etwas, das wir alle schon kennen. Es ist ein Objekt der kollektiven Begierde und dabei ganz zahm. Kein Grund zur Aufregung also.

Sci-Fi kann dementsprechend als Wohlfühl-Faktor im Rahmen des gesellschaftlichen Strukturwandels aktiviert werden. Es passt zu einer Industrie, in der Spekulationen nicht nur erwünscht sind, sondern vielmehr fortwährend fabriziert werden. Wie wird die Schnittstelle Mensch-Maschine aussehen? Werden Roboter, mit KI bestückt, Menschen ersetzen? Das sind nicht nur Fragen, die Netzwissenschaftler und Cyber-Soziologen beschäftigen. Sie sind fast jeder Marketingkampagne und damit auch jedem Techno-Produkt eingeschrieben und werden teils brav, nicht selten kritisch von Journalisten aufgegriffen. Überspitzt könnte man sogar sagen, dass Science Fiction der Stoff ist, aus dem die zeitgenössischen Träume der Ganzheitlichkeit sind. Von Country Musik bis Cowboy-Romantik - alles lässt sich zur Zeit durch eine feine Patina Cyber-Glamour betrachten. SF ist dabei der Kit, der alles irgendwie zusammenhält.

Diese Charakteristik lässt das Genre im Online-Publishing-Wesen fragwürdig erscheinen. Wie in kaum einem anderen Bereich, verschwimmen dort die Grenzen zwischen corporate und non-corporate Inhalten. Ständig wird das Kompetenz-Territorium von Journalismus und Werbung neu ausgehandelt. Wie lässt sich e-Commerce über eine Plattform abwickeln, die gemeinhin für unabhängigen Journalismus steht? Dass sich die Macher von Matrix.com diese Frage nicht stellen, ist bezeichnend. Schließlich ist die Leitfrage, wie sie ein wohlwollender Wired-Artikel artikulierte, für sie eine gänzlich andere: "Can Sci-Fi sell High-Tech?" Da sie längst beantwortet wurde, ist für das Publikum etwas ganz anderes von Belang: Es muss sich noch zeigen, ob Corporate SF eine ähnlich kritische Sicht auf die Gegenwart eröffnen kann, wie der überlieferte Ansatz dieses Genres.