Spin Doctoring im GDL-Arbeitskampf

Seite 3: Verhandlungsziel: Das Gegenüber "bewusst in eine Sackgasse" zu manövrieren?

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Bleiben wir noch einen Moment beim Thema Mediendarstellung… Sie schrieben in der vierten Ausgabe der Streikzeitung, es gebe da eine Art Spin Doctoring bei der gesamten medialen und politischen Kampagne gegen die GDL. Das beträfe auch die Personalisierung, die hier vorgenommen werden würde. Wie haben Sie das gemeint?

Winfried Wolf: Die GDL hat im Februar aufgedeckt, dass Werner Bayreuther, der Vertreter des Arbeitgeber- und Wirtshaftsverbandes der Mobilitäts- und Verkehrsdienstleister - eine lächerliche und irreführende Konstruktion, hinter der sich ausschließlich die Deutsche Bahn AG und ihre Tochtergesellschaften verbergen - aktiv ist bei dem in Zürich ansässigen Schranner Negotiation Institute. Dieses Institut agiert offen gewerkschaftsfeindlich. Vor allem entwickelte es eine Verhandlungsphilosophie, die da lautet: "Keine Kompromisse".

Jüngst konnte der Institutsleiter Matthias Schranner im Spiegel erklären: "Deutschland leidet an seiner Kompromisskultur. Auch in den Konzernen." Bei Verhandlungen im Wirtschaftsleben, auch bei Tarifauseinandersetzungen, sei das wie bei Verhandlungen zwischen der Polizei und Geiselnehmern. Matthias Schranner selbst präsentiert sich als ehemaliger Verhandlungsführer der Polizei bei Geiselnahmen und Banküberfällen. Da kann sich die GDL aussuchen: Wird sie vom Bahn-Konzern als Geisel behandelt oder als Bankräuber?

Eine strategisch angelegte Verhandlung hat nach den Prinzipien dieses Instituts dabei auch das mögliche Ziel, das Gegenüber "bewusst in eine Sackgasse" zu manövrieren. Zum Beispiel: Man macht einige Zugeständnisse, der Streik wird abgebrochen, aber die eigentlichen Verhandlungen stehen noch aus. Nach zwei Monaten, wenn die Verhandlungen wieder beginnen, wird dann die frühere Vereinbarung widerrufen. Die Gewerkschaft muss also überlegen, ob sie umgehend neu streiken will.

Das kommt einem ja irgendwie bekannt vor…

Winfried Wolf: Genau. So in etwa verliefen die Verhandlungen zwischen DB und GDL nun über viele, viele Monate hinaus - und immer gelang es der Bahn, die GDL als Buhmann und nicht kompromissbereit darzustellen.

Auf besagter Instituts-Website ist übrigens an anderer Stelle konkret ausgeführt, wie man sein Gegenüber in einen Streik hineintreiben kann - nach dem Motto "Warum ein Streik nicht vermieden werden sollte". Und ganz nah an der Wirklichkeit des Verhaltens der Deutschen Bahn AG und der Rezeption der DB AG-Strategie in den Medien sind wir, wenn die Spin Doctors aus Zürich dann weiter ausführen, man müsse "die Motive hinter den Positionen" der Gegenseite ausfindig machen.

Dazu gehöre auch die Analyse der Persönlichkeitsstrukturen des Gegenübers: Er soll in der Öffentlichkeit möglichst als "schwierige Persönlichkeit" erscheinen. Und diese letztgenannte Zielsetzung haben diese Leute tatsächlich verwirklichen können. Weselsky wurde von den Medien als "der meistgehasste Gewerkschafter" des Landes, als "Diktator" sowie dem kleinen Mann auf der Straße entfremdeter Neureicher inszeniert, er stand unter Betrugsverdacht, war stets "kompromisslos" oder gar "erpresserisch" usw. usf.

Sehen Sie also einen regelrechten "PR-Plan" hinter all den Anfeindungen gegen Weselsky und die GDL?

Winfried Wolf: Natürlich können wir keinen durchgängigen Beweis dafür führen, dass bei dieser Auseinandersetzung das Drehbuch in Zürich geschrieben wurde. Oder dass hier andere Spin Doctors zu Werke gingen. Ganz sicher aber bin ich mir: Ein erheblicher Teil dieser Auseinandersetzung war inszeniert - und zwar von Seiten der Deutschen Bahn AG.

Da gibt es die streikgeile GDL. An deren Spitze steht ein uneinsichtiger Gewerkschaftsboss. Diese "lähmen die Republik". Der Gegenspieler Deutsche Bahn AG hingegen wird repräsentiert durch eine verhuschte Gestalt namens Ulrich Weber, dessen Schmierenkomödien-Auftritt immer in dem Satz gipfelt: "Ich bin vollkommen ratlos - wo wir doch gerade einen Millimeter vor einer Einigung standen…" Und ab und an sieht man noch Herrn Grube hinter einer Hecke hervorlugen, die Stirn in Sorgenfalten, von "der Verantwortung der Tarifparteien" redend.

"Was hier abläuft, ist offenbar hohe - also schmutzige - Politik"

Aber wie kann ein Bahnkonzern eine solche Politik durchhalten - die kriegen für diese, wie Sie sagen, "Inszenierung" doch nichts bezahlt - im Gegenteil, das läuft doch voll ins Geld?

Winfried Wolf: Ja, das sieht nach einem Mysterium aus. Zumal es hier um gewaltige Summen geht. Aktuell steht die Zahl von 400 Millionen Euro im Raum, die der Deutschen Bahn AG durch die bislang neun Streiks an Verlusten entstanden sein sollen. Selbst wenn es an direkten Verlusten nur halb so viel sein sollte, so kommen ja noch erhebliche volkswirtschaftliche Verluste hinzu. Und es gibt enorme Imageverluste bei der Bahn, die im Fernverkehr den Trend hin zu den Bussen verstärken werden.

Nein, das ist keine rationale Konzernpolitik. Siemens oder Daimler würde sich einen solchen Arbeitskampf nie und nimmer leisten: Elf Monate Kampf und immer noch keine ernsthaften Gespräche über die eigentlichen Forderungen, aber Verluste im dreistelligen Millionenbereich, da würden die Aktionäre aufschreien und das Management binnen kurzem austauschen.

Was hier abläuft, ist offenbar hohe - also schmutzige - Politik. Provokateur und Eskalierender ist dabei gar nicht primär die Deutsche Bahn AG, sondern deren Eigentümer: die Bundesregierung. Es sind Merkel-Gabriel-Nahles. Diese bereiten seit einem Jahr und damit exakt parallel zur dramatischen Tarifrunde das "Tarifeinheitsgesetz" vor. Dessen Zielsetzung besteht darin, kämpferische Gewerkschaften wie die GDL existenziell zu bedrohen.

Die Bundesregierung kontrolliert das Unternehmen Deutsche Bahn AG in vollem Umfang - als Alleineigentümer sowie über den IM Ronald Pofalla, den Ex-Kanzleramtsminister, der seit Januar 2015 an der Seite Grubes die Konzernpolitik mit der Berliner Politik verzahnt. Bahnpolitik ist Bundespolitik. Und die Politik der großen Koalition mit dem Tarifeinheitsgesetz ist Politik im Interesse von Konzernen und Banken. Man kann daher mit Fug und Recht heute sagen, dass die GDL auch und vor allem um unser aller Grundrecht, das Grundrecht der Koalitionsfreiheit nämlich, streikt.

Auch da hat mich die mediale Gleichschaltung erstaunt. Der Tenor ist, die Bundesregierung mische sich nicht ein; es gelte, "die Tarifautonomie zu respektieren". Das ist doch ein saudummes Geschwätz. Es geht doch nicht um Tarifautonomie. Natürlich soll sich die Bundesregierung als Regierung aus dem Konflikt heraushalten. Es geht um ihre Verantwortung als Eigentümerin. "Eigentum verpflichtet", heißt es dazu im Grundgesetz. Das betonte auch Claus Weselsky auf der genannten Pressekonferenz. Die Bundesregierung ist verpflichtet, Schaden von der Deutschen Bahn abzuhalten.

Da ist es doch fast schon absurd, wenn ausgerechnet der FDP-Vize Kubicki im Blatt Focus (18.5.) ein paar Grundsätze erklären musste, als er sagte: "Der erneute Streik […] ist die Folge der grundgesetzlich garantierten Koalitionsfreiheit. Ein Streik, der nicht weh tut, taugt nichts. Es ist an der Bahn, hierauf angemessen zu reagieren." Kubicki verstand unter einer "angemessenen Reaktion" dabei die Präsentation eines "vernünftigen Angebots" seitens der Deutschen Bahn AG.

Und wie wird es nun weitergehen? Setzt die GDL sich durch; was meinen Sie?

Winfried Wolf: Es wird jetzt darauf ankommen, dass man wenigstens jetzt im Rahmen der Schlichtung zu des Pudels eigentlichem Kern vorstößt. Da die GDL im Vorfeld durchsetzen konnte, dass sie einen Tarifvertrag für das gesamte Zugbegleitpersonal abschließen wird können, dass es keine zwei Klassen von Lokführern mehr gibt, sie zukünftig also auch für die Rangierlokführer verhandeln darf, dass also diese Themen nicht Gegenstand der Schlichtung sind, sollte es jetzt tatsächlich zu substantiellen Verhandlungen kommen können. Matthias Platzek und Bodo Ramelow als Schlichter dürften Wert darauf legen, dass nicht noch weitere Zeit vertan wird.

Die Chancen für die GDL stehen also gut. Allerdings wird es weiter notwendig sein, wachsam zu bleiben, die Solidarität für die GDL weiter zu entwickeln und den Arbeitskampf bei der Bahn in den Zusammenhang zu stellen zu den anderen Kämpfen und Bewegungen, die es in den Bereichen Kitas, Sozialarbeit, Post, Amazon, Lehrkräfte usw. doch reichlich gibt. Eine enge Vernetzung dieser Kämpfe macht allen Beteiligten Mut und bringt den erforderlichen langen Atem. Auf diese Weise weht ein echt belebender neuer Wind in unserem Land.

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