Steht nur Liebe auf dem Spiel?

Kommunikationsjunkies erlernen emotionale Email-Kompetenz mit Bandais "Love by Mail"

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Zwei nebeneinander schwebende Monitore auf orangefarbenem Hintergrund. Ein Blitz verbindet sie, der zugleich auch eine Sprechblase ist, in der in großen Lettern geschrieben steht. Darunter ein pochendes Herzchen, das die Mimik der zwei Kopf-im-Monitor-Menschen noch unterstreicht: Er anzüglich-offensiv, sie zurückhaltend-schüchtern. Als ginge es darum, die Killer-Application Email nochmals neu zu entdecken, wirbt ein deutscher Internet-Dienstleister mit dem Versprechen, künftig auch ein virtuelles Liebesleben führen zu können. Und dass sich zwischen digitalisierten Liebesbriefformaten und Online-Dating-Börsen so einiges tut, dürfte langjährigen Email-Nutzern nicht entgangen sein. , ein neues Produkt aus dem Hause Bandai, das über DoCoMos Internet-fähige I-mode-Handys angeboten wird, eröffnet jedoch ein neues Kapitel der virtuellen Liebesbeziehungen.

Animation für das Display eines I-Mode-Handy

Der erfolgreiche I-mode-Service hat vor kurzem die Nutzerzahl 10 Millionen überschritten. Ein Grund für den Erfolg vor allem bei jungen Frauen mag sein, dass man sich bunte Bildchen lieblicher Pets aufs Handy-Display laden kann. Diese hören dann auf Namen wie Monita, Momo-Chan, Momokichi-Kun, Air und Rosa und sehen auch so aus.

Medienberichten zu Folge eröffnet das neue Angebot Love by Mail mit bereits mehr als 30 000 männlichen Usern nun auch einen lukrativen Nischenmarkt. Männer in Japan können nun heiße Beziehungen mit virtuellen Freundinnen unterhalten, die je nach Wahl in die Rolle einer Schullehrerin, Stewardess, oder Bar Hostess schlüpfen. Love by Mail ermöglicht Dialoge mit einem Eliza-ähnlichen Sprachprogramm. Die Tamagotchis können nun in Pension gehen, denn diese vorprogrammierten Chat-Bots verfügen über ein großes Vokabular und ein breites Spektrum an Interaktionsmöglichkeiten.

Auf Anruf werden die virtuellen Gespielinnen lebendig, beginnen sich männlichen Wunschbildern anzupassen und senden Emails, die es in sich haben sollen. Bei Love by Mail ist die emotionale Email-Kompetenz gefragt, denn es ist immer auch ein bisschen wie ein Spiel, in dem es darum geht, seiner virtuellen Freundin Haarsträubendes zu entlocken: eine Enthüllung, ein Geständnis, oder einen erotischen Traum. Zwar sind sie bereit, ihre innigsten Geheimnisse auf den kreditkartengroßen Monitoren preiszugeben, ohne dabei den Realitätssinn zu verlieren. Sie stehen jedoch nicht nur auf Liebesbekundungen aus dem Standardmenü und lassen sich somit nicht alles von ihren vermeintlichen Besitzern gefallen. Vielmehr demonstrieren sie Argwohn oder Unwillen, falls sich ihr männliches Gegenüber zur falschen Zeit, am falschen Ort mit der falschen Person über das falsche Thema unterhält. Auch kann es einem User zum Verhängnis werden, wenn er seine Liebe zu früh oder auf allzu plumpe Weise offenbart.

Dieses für Singles wunderschöne Gefühl nicht mehr allein zu sein, läßt jedoch auch Alarmglocken bimmeln. So ist die virtuelle Freundin als idealer Cookie denkbar: persönliche Informationen, Vorlieben, Hobbys, Lieblingsprodukte und Hassobjekte sollten einer intimen Partnerin gegenüber nicht unerwähnt bleiben. Sie wiederum muss diese Daten speichern, um gefühlsecht und vertrauenswürdig reagieren zu können. Ihre Möglichkeit den User emotional abhängig zu machen, lassen auch Kontroll- bzw. Zensurszenarios denkbar erscheinen. Wie sich die meist 30jährigen Männer schützen können, bzw. ob der Manipulationsverdacht berechtigt ist, darüber können derzeit nur Vermutungen geäußert werden. Fest steht der Preis, der bei nicht mehr als 300 Yen monatlich für das Love-by-Mail-Abo liegt (umgerechnet DM 6,45).