USA: Kein Interesse an Biowaffenkonvention

Einen Tag vor den Anschlägen vom 11. September meldete die US-Armee das Patent für eine Granate an, mit der Bio- und Chemiewaffen verschossen werden können

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Es waren gerade drei Monate nach den folgenschweren Attentaten in den USA vergangen, da wurde in Genf im Dezember 2001 unter Leitung der Abrüstungskonferenz der Vereinten Nationen um die Biowaffenkonvention verhandelt (Nach uns die Sintflut). Wochenlang hatte die US-Regierung vor internationalem Terrorismus gewarnt. Schnell wurde dabei auch die Bedrohung durch Anschläge mit biologischen und chemischen Waffen an die Wand gemalt (US-Präsident Bush fordert Verschärfung des internationalen Biowaffen-Abkommens). Die Zeit wäre also günstig gewesen, um das 1972 ratifizierte Vertragswerk zum Verbot von Herstellung und Lagerung biologischer Waffen zu stärken. Diese Forderung vertraten schließlich auch zahlreiche Regierungen und Nichtregierungsorganisationen. Sie sollten sich aber täuschen.

Nach einer wochenlangen Diskussion stellte sich die US-Delegation quer: Keine Stärkung der Konvention. Die Diskussion ist bis heute vertagt. Ob ein Kompromiss gefunden wird ist unwahrscheinlich, denn nun wurde bekannt, was damals zahlreiche beteiligte Experten vermuteten: Die US-Armee plant selbst den Einsatz von chemischen und biologischen Waffen. Deswegen besteht kein Interesse an dem Abkommen zu Rüstungskontrolle.

Nach Informationen der deutsch-amerikanischen Wissenschaftlerorganisation Sunshine Project registrierte das US-Patentamt bereits am 25.Februar dieses Jahres die Pläne für eine Granate, die mit chemischen und biologischen Kampfstoffen bestückt werden kann. Der Patentantrag war am 10. September 2001 eingereicht worden - einen Tag vor den Terroranschlägen, mit denen später der "Krieg gegen den Terrorismus" begründet werden sollte. Der weitgehend unbekannte, für die Armee US-Staatssekretär Thomas White, ein ehemaliges Vorstandsmitglied des Skandalkonzerns Enron, verstieß damit bewusst gegen geltendes internationales Recht. Ende April hatte White seine Kündigung eingereicht, angeblich wegen Differenzen mit Donald Rumsfeld über die Modernisierung der Armee, wobei es vornehmlich um das Crusader-Artilleriesystem ging.

Die neu entwickelte Granate kann von gewöhnlichen Gewehren abgefeuert werden und Gase oder feine Stoffe ausbringen ("crowd control agents, biological agents, [and] chemical agents"). Im US-Patent Nummer 6523478 wird neben anderen Verwendungsmöglichkeiten die Bestückung "mit biologischen und chemischen Stoffen" genannt. Explizit ist nur die Rede von nicht-tödlichen Substanzen ("non lethal cargo dispenser"), doch die Grenzen sind fließend - zumal der Einsatz von angeblich nicht-tödlichen Waffen zur Geiselbefreiung in Moskau die möglichen Folgen sehr deutlich vor Augen geführt hatte (Das Gespenst aus der Flasche befreit?). Bereits im ersten Artikel der Biowaffenkonvention von 1972 ist die Entwicklung solcher Techniken zum Einsatz chemischer und biologischer Kampfstoffe "unter allen Umständen" verboten.

" Each State Party to this Convention undertakes never in any circumstance to develop, produce, stockpile or otherwise acquire or retain:
Microbial or other biological agents, or toxins whatever their origin or method of production, of types and in quantities that have no justification for prophylactic, protective or other peaceful purposes;
Weapons, equipment or means of delivery designed to use such agents or toxins for hostile purposes or in armed conflict." - Artikel 1 der Biowaffenkonvention

Vor dem neuen Hintergrund erstaunt es nicht, dass die USA kurz nach der Waffenentwicklung im Dezember 2001 die Überprüfungskonferenz zur Biowaffenkonvention platzen ließen. Auf dem Treffen sollte die Konvention um das explizite Verbot "nichttödlicher Stoffe" erweitert werden, was das Pentagon schon länger forderte (US-Militär entwickelt nichttödliche Waffen). Dagegen wandten sich die USA. Das Dokument war bis dahin von über 140 Staaten ratifiziert worden. Im September 2001 war bekannt geworden, dass das Pentagon heimlich mit biologischen Kampfstoffen experimentierte. Wissenschaftler haben den USA bereits letztes Jahr vorgeworfen, das Zusatzprotokoll zum Biowaffenabkommen verhindert zu haben, um Forschungsvorhaben mit nicht-tödlichen Waffen fortsetzen zu können (An der Grenzlinie). Dass das Pentagon an nichttödlichen biologischen Waffen forscht, hatte das Sunshine Project bereits im Mai 2002 aufgedeckt (Pentagon entwickelt nichttödliche biologische Waffen).

Besonders brisant sind die neuen Informationen in Anbetracht des Krieges gegen Irak. Der Sturz der dortigen Regierung und die US-Besetzung des Ölstaates wurde mit dem Vorwurf begründet, Saddam Husseins Armee verfüge über biologische und chemische Waffen. Weder der UN-Waffeninspekteur Hans Blix noch die US-Amerikaner oder ihre Verbündeten konnten diesen bislang Kriegsgrund bislang bestätigen.

Hans Blix hätte wohl eher verbotene Waffen gefunden, wenn er bei der US-Stadt Baltimore statt in Bagdad gesucht hätte.

Der Abrüstungsexperte Jan van Aken vom Hamburger Büro des "Sunshine Project"

Neben aggressiven Reizgasen verfügt die US-Armee Regierungsdokumenten zufolge über sogenannte Diazepame und Benzodiazepinderivate. Bei diesen zu den Psychopharmaka zählenden Verbindungen handelt es sich nach Meinung der Entwickler zwar um "nichttödliche Kampfstoffe". Experten wenden sich trotzdem vehement gegen ihren militärischen Einsatz. Nach Angaben der "Vereinigung Amerikanischer Wissenschaftler" (FAS) liegt die zu erwartende Todesrate beim Einsatz solcher Betäubungsgase bei neun Prozent. Würden Gase, wie in internen Strategiepapieren der US-Armee empfohlen, in belagerte Bunker geleitet, könnte die Todesrate durch ansteigende Konzentrationen im Inneren der Anlagen jedoch weitaus höher liegen. Die Ankündigung des US-Präsidenten, den Gegner "auszuräuchern", bekommt damit eine ganz neue Bedeutung: "Diese Gase können so tödlich sein wie Kugeln", schreibt die FAS.

Dessen ungeachtet ist die Abwehrforschung in den USA massiv ausgeweitet worden, eine Vielzahl von Forschungsprojekten wird finanziert, der Einsatz von verbotenen Kampfstoffen in Erwägung gezogen: "Erschreckend ist, wie rasch die moralische Schwelle vor der Anwendung dieser geächteten Waffen gesunken ist", sagt der Biowaffenexperte van Aken. Dadurch wird ein politisches Tabu durchbrochen und andere Staaten indirekt aufgefordert, es Washington gleichzutun.