"Versteckte Vielweiberei ist in unserem Land nicht willkommen"

Frankreich: Ein Halal-Metzger liefert der Regierung genau die Person, mit der sie ihre vagen Befürchtungen im Zusammenhang mit dem Burka-Verbot gut illustrieren kann

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Der bärtige Mann mit dem Palästinensertuch wird zum Symbol. Seit dem vergangenen Wochenende gibt es in Frankreich eine Affäre, die seinen Namen trägt: „l'affaire Hebbadj“. Sie versorgt die laufende Debatte über das „Burka-Verbot“ mit einem Exempel, das die Assoziationen „Abschottung in Parallelgesellschaften“, „Ausbeutung von Frauen“, „Gewalt gegen Frauen“ und „Ausnützen staatlicher Vergünstigungen“ in einem konkreten Fall eng mit dem Thema Vollverschleierung verknüpft. So gesehen war das Auftauchen des "sehr seltsamen M. Hebbadj" ein Geschenk für die französische Regierung, die an seinem Fall ihr „unerschütterliches Eintreten“ für die Würde der Frauen und die Werte der Republik demonstrieren kann. Demgegenüber trägt der auslösende Moment der Affäre eine kleine Ironie in sich. Der Bußgeldbescheid wegen „Vollverschleierung am Steuer“, gegen den die Eheleute Hebbadj in einer Pressekonferenz protestierten (siehe Wie eine Verkehrskontrolle zur Regierungsaffäre wird), zeigt, dass es für kritische Situationen rechtliche Handhabe genug gegen die Verhüllung gibt - dass das Burka-Verbot also praktisch überflüssig sein könnte.

„Wir werden nicht zurückweichen und in dieser Sache bis zum Ende gehen“ - Innenminister Hortefeux präsentiert sich entschlossener denn je in dieser Affäre, in der ihn manche, wie etwa ein Leitartikler der Monde, schon als Verlierer sahen. „Ich weiche nicht vor den Verteidigern der politischen Korrektheit zurück“, reagierte der Innenminister darauf in einem Kommentar, der in der selben Zeitung veröffentlicht wurde:

Ich ziehe es vor, der Monde zu missfallen, als durch mein Schweigen die Manifestation der Wahrheit - wie auch immer sie aussehen mag - zu verhindern.

Ähnliches verkündete Hortefeux gestern auch den Abgeordneten der Nationalversammlung: "En accord avec le Premier ministre, j'ai décidé de ne rien céder au politiquement correct". Später hatte er nach Informationen des Nouvel Observateur im geschlossenen Kreis die Abgeordneten seiner Partei UMP darüber aufgeklärt, dass die Gendarmerie ihm von einem Verdacht des Vaters der Ehefrau Hebbadjs berichtet habe. Demnach würde der Schwiegersohn seine Frau schlagen. Angeblich erzählte das die weinende Tochter ihrem Vater am Telefon.

Man sieht, die Sache taugt für viele kleine Worte, die schmutzige Einzelheiten benennen und sich zu einem Feindbild fügen, das in etwa so aussieht: Der Schächter Lies Hebbadj lebt mit vier Frauen, die in aneinandergrenzenden Häusern in einem Vorort von Nantes wohnen, in einer nichtamtlichen Vielweiberei, die er nicht nur vor den Behörden versteckt, sondern auch ausnützt, da seine Frauen staatliche Zuschüsse erhalten, weil sie sich offiziell als Alleinerziehende von insgesamt 12 Kindern, deren Vater Hebbadj ist, deklarieren. Hebbadj entspricht ganz dem Bild, das der Westen sich vom östlichen Patriarchen macht: Er übt über die Religion strengen Einfluss auf seine Frauen aus (darunter auch Französinnen, die zum Islam konvertiert sind), zwingt sie, abgeschottet zu leben, die Hausarbeiten zu erledigen und sich völlig zu verschleiern, wenn sie das Haus verlassen. Dazu ist er Mitglied einer islamischen Missionierungsbewegung, die in Pakistan eine Hochburg hat, wohin Hebbadj auch mehrfach gereist ist. Seine Reisen nach London wurden vom Geheimdienst überwacht.

Als ob er eine Erfindung von Islamkritikern wäre, bestätigt alles das, was über Hebbadj in den letzten Tagen zu lesen war, sämtliche Klischées. Und es dürfte schwierig sein, sie mit Fakten seiner Lebensweise zu widerlegen. Von Hebbadj selbst war bislang nur zu hören, dass er mit einer Frau verheiratet ist und Maitressen habe - was weder in Frankreich noch im Islam verboten sei. Diese schöne (und, wie so Vieles in dieser Affäre, unfreiwillig komische) Formulierung gab Hebbadj vor einigen Tagen zu Protokoll. Mehr, so der bärtige Mann mit der Mütze und dem Palästinensertuch, wolle er zu seinen privaten Verhältnissen nicht sagen. Möglich, dass er es aber muss. Mittlerweile ist die Staatsanwaltschaft von Nantes nämlich mit einer vorläufigen Untersuchung des Falles betraut. Dabei geht es hauptsächlich darum, die „versteckte Polygamie“ genauer zu untersuchen, heißt es.

In einer Presseerklärung verknüpfte der Regierungssprecher Luc Chatel denn auch gestern die beiden Themenfelder:

Wie die Burka in unserem Land nicht willkommen ist, ist auch die versteckte Vielweiberei nicht willkommen und Polygamie verboten.

Die Regierung drängt darauf, den weit gefassten Gesetzentwurf zum Burkaverbot schnell durch beide Kammern zu bringen, so dass er Mitte September verabschiedet würde. Die Affäre Hebbadj kommt ihr dabei sehr gelegen, um das Gesetz noch deutlicher im Namen des Schutzes der Frauen und ihrer Rechte präsentieren zu können. Aus der UMP wird nun sogar die Idee zu einer „nationalen Debatte über Frauenrechte“ laut. Dabei kann sich die Regierungspartei bei ihrem Gesetzesvorhaben ohnehin auf Unterstützung in allen Parteien und in der Bevölkerung verlassen: In einer Umfrage äußerten kürzlich mehr als 70 Prozent Sympathien für dieses Gesetz.

Kritisch steht ihm dagegen unter anderem der Staatsrat gegenüber (siehe Generelles Burka-Verbot ohne festes juristisches Fundament) - und solche Geister, die die Verhältnismäßigkeit dieses Gesetzes angesichts von geschätzten 2000 Burkaträgerinnen im Land, nicht einsehen wollen.

Die Pressekonferenz zum Bußgeldbescheid der Nikabträgerin (siehe Wie eine Verkehrskontrolle zur Regierungsaffäre wird), die aller Wahrscheinlichkeit nach wesentlich durch Hebbadjs Initiave zustandekam, hat der Regierung nun genau die Person geliefert, mit der sie ihre vagen Befürchtungen gut illustrieren kann.