Vivendi Universal übernimmt MP3.com

Wie Michael Robertson vom Revolutionär zum Hofnarren wurde

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Überraschend kündigte der Mischkonzern Vivendi Universal gestern an, MP3.com für 372 Millionen Dollar zu kaufen. Mit dieser freundlichen Übernahme verliert der letzte große Internet-Musikdistributor seine Unabhängigkeit. Zur Disposition steht jetzt nicht zuletzt auch das MP3-Format selbst.

Eigentlich hätte es andersrum kommen sollen. Als Michael Robertson im November 1997 MP3.com gründete, wollte er damit die Musikwirtschaft revolutionieren und die traditionellen Vertriebswege umkrempeln. Jeder sollte seine eigene Plattenfirma sein können, das Verschenken von Musik den Weg zum Startum ebnen. Im Netz lag die Zukunft. Wer auf das traditionelle Business setzte, war antiquiert, bestenfalls ein Fall für die Geschichte, schlimmstenfalls fürs Fallbeil.

Das Wort von der MP3-Revolution machte die Runde, und Michael Robertson war so etwas wie ihr selbst ernannter Anführer. Der ehemalige Musiker und jetzige Internet-Unternehmer Thomas Dolby Robertson verglich seinen Namensvetter gar mit Robespierre. Der fühlte sich sicher geschmeichelt und tat sein Übriges, um den Revolutions-Mythos anzuheizen. Als der Onlinedienst ZDNet im April 1999 seine Firma portraitierte, erklärte Michael Robertson, nicht an einem Dialog mit den Plattenfirmen interessiert zu sein:

"Die ist eine Revolution von unten nach oben. Wenn du eine Revolution führst, schnappst du dir nicht den König und sagst: 'Ich hab eine gute Idee, lass uns das Königreich umstürzen.'"

"Ein aggressives, legitimes und attraktives Angebot"

Womit er im nachhinein Recht haben dürfte. In diesem Fall kam eher der König zum Revolutionär. Vivendi Universal besitzt mit dem Plattenlabel Universal Music die umsatzstärkste Plattenfirma der Welt. Knapp 22 Prozent des Welt-Musikmarktes werden von ihr kontrolliert. Die zweitgrößte Plattenfirma der Welt ist übrigens Sony Music mit 19 Prozent Weltmarktanteil. Mit ihr baut Universal derzeit an einem Abo-System unter dem Namen Duet, das Musikkonsumenten in den Zeiten nach Napster mit Streams und Downloads versorgen soll. Und jetzt besitzt Universal also auch noch MP3.com. Bereits mehr als 50 Prozent der Aktionäre haben der Übernahme zugestimmt, so dass der Kauf der Aktien nur noch reine Formalität sein dürfte. Vivendi-CEO Jean Marie Messier erklärte gestern zu der Übernahme:

"Die strategische Übernahme von MP3.com ist für Vivendi Universal ein großer Schritt vorwärts zur Entwicklung und Implementation eines aggressiven, legitimen und attraktiven Angebots, mit dem wir unsere Inhalte an die Kunden bringen können."

Michael Robertson ergänzte die Worte seines neuen Königs mit der Erklärung, man werde mit vereinter Kraft in kürzester Zeit phänomenale Resultate erzielen:

"Diese Resultate werden es Konsumenten ermöglichen, digitale Musik zu genießen, wie es ihnen vorher noch nie möglich war, an Orten, wo es ihnen vorher noch nie möglich war, und mit Musik, auf welche sie vorher noch nie Zugriff hatten."

Klingt geradezu revolutionär, nicht wahr?

Virales MP3-Marketing populär gemacht

Nun ist die Geschichte von MP3.com tatsächlich eine der großen Veränderungen. Zwar gab es schon vor ihnen einige Websites wie etwa das Internet Underground Music Archive (siehe auch: Das Ende einer Legende) die auf das Verschenken von Mp3s zu Promo-Zwecken setzten. Aber erst MP3.com machte diesen Trend so richtig populär und schaffte es, auch Musiker großer Plattenfirmen als seine Unterstützer zu gewinnen. Tom Petty, Tori Amos und Alanis Morissette, Ice T, The Offspring und viele andere entdeckten den Wert des viralen Marketings mittels verschenkter MP3-Downloads. In direkter Nachbarschaft zu den großen Stars siedelten sich Tausende weniger und völlig unbekannter Musiker an. Binnen kürzester Zeit machten sie die Site zum größten Internet-Musikangebot: Heute sind mehr als eine Million Titel von mehr als 150 000 Musikern über MP3.com zugänglich.

Auf den ersten Blick war diese Entwicklung eine reine Erfolgsstory. Doch Mp3.com musste bald bemerkten, dass man mit ein paar Werbebannern nicht überleben kann. Deshalb entwickelte die Firma neue Allianzen und Geschäftsmodelle: Musik für Einkaufscenter und Fitnessstudios, Filmproduzenten und Hardware-Hersteller. MP3.com entwickelte sich zum Music Service Provider und peilte ehrgeizig den Markt der Mobilgeräte an. Doch um mit dieser Strategie erfolgreich zu sein, brauchte die Firma mehr Inhalte als das Gemischtwaren-Sammelsurium der X-tausend unbekannten MP3.com-Bands. Also erfand man My.MP3.com, BeamIt und Instant Listening.

Der Erfzeind Universal

MyMp3.com war der Einstieg in den Markt der Music Locker - ständig und von überall aus verfügbarer personalisierter Musikspeicher. BeamIt und Instant Listening sollten dazu die Inhalte mobil machen, indem sie den Konsumenten den Zugriff auf virtuelle Kopien ihrer CD-Sammlungen gaben. MP3.com legte dazu Anfang letzten Jahres eine Datenbank mit 80 000 CDs an, vergaß aber, sich vorher um die nötigen Rechte zu kümmern. Die Klage der Recording Industry Association of America folgte auf dem Fuße, die Urteile erwischen Mp3.com kalt. Mit vier der fünf großen Plattenfirmen einigte man sich im letzten Sommer außergerichtlich, was die Firma rund 80 Millionen Dollar gekostet haben dürfte.

Nur Universal wollte sich damals partout nicht mit 20 Millionen abgeben und behielt seine Klage aufrecht. Universals Chef Edgar Bronfman zeigte sich als MP3-Feind und verglich Anbieter wie Napster und Mp3.com mit den sowjetischen Kommunisten, weshalb deren System zum Scheitern verurteilt sei. Mp3.com stand in diesen Tagen tatsächlich kurz vor der Pleite, brauchte seine finanziellem Reserven fast komplett auf. Jeden Tag erreichten die Firma neue Klagen. Unabhängige Musiker, Songwriter, kleine Labels - jeder wollte ein Stück vom Kuchen abhaben. Trotzdem verkündete Michael Robertson immer wieder, seine Firma stehe nicht zum Verkauf.

Das Ende des MP3-Formats?

Überraschend war dann die Einigung zwischen Mp3.com und Universal im November 2000. Die Plattenfirma sicherte sich nicht nur weit mehr als 50 Millionen Dollar, sondern auch ein Vorkaufsrecht auf knapp 20 Prozent der Mp3.com-Aktien. Danach tauchte bereits ein paar mal das Gerücht auf, der Riese wolle die Firma komplett übernehmen. Doch zuvor besiegelte Universal den Duet-Deal mit Sony und kaufte sich Emusic, noch einen Mp3-Anbieter.

Zusammen mit dem gestrigen Kauf ist der ehemalige MP3-Erzfeind Universal damit innerhalb weniger Monate selbst zum größten MP3-Anbieter aufgestiegen. Ein Umstand, der viele irritiert. Hatte Universal nicht erst vor wenigen Tagen vor dem US-Kongress erklärt, man wolle mit Musicnet nur kopiergeschützte, zeitlich begrenzte Downloads anbieten? Bedeutet das für Mp3.com und Emusic, dass dort bald alle Inhalte ins von Universal präferierte Bluematter-Format konvertiert werden? Droht uns jetzt vielleicht sogar das Ende des MP3-Formats?

Der Markenname würde Universal bei solch einem Schritt nicht wirklich im Weg stehen. Wenn morgen alle MP3.com-Downloads in ein kopiergeschütztes Format mit etwas besseren Kompressionsraten konvertiert, dann aber ohne Kopier-Beschränkungen als "enhanced MP3s" angeboten werden sollten, würde dies den meisten Usern vermutlich nicht einmal groß auffallen.

Vom Revolutionär zum Hofnarren

Aber für Universal würde sich dieser Aufwand gar nicht lohnen. Bertelsmann hat Napster wegen des Namens gekauft, wird aber bald feststellen müssen, dass ein guter Name allein nicht viel nützt, wenn man kein attraktives Angebot mehr damit verbindet. Für Universal ist MP3.com zwar auch als Portal wichtig. Doch viel wichtiger sind Technologien und Lizenzen. MP3.com hat ein eigenes CD-Datenbankssystem entwickelt, ein eigenes Locker-System, und arbeitet bereits an Lösungen für mobile Endgeräte. Emusic dagegen hat zwar kaum Kunden, dafür aber aber Exklusiv-Verträge mit mehr als 800 Indie-Labels. Ein nettes Zusatzangebot für die zukünftigen Duet-Abonnenten. Und auch die professionelleren MP3.com-Musiker wird man gerne bei Duet unterbringen wollen. Schon heute bietet Mp3.com seinen Musikern zahlreiche Wege zum Lizenzieren der eigenen Songs an andere Firmen an. Bis zum "Add-my-Songs-to-Duet"-Button ist es da nicht mehr weit.

Daneben wird Mp3.com wohl weiter als Abenteuerspielplatz der unbekannten Bands existieren. Mit MP3-Downloads, aber ohne revolutionären Anspruch. Immerhin ist die finanzielle Zukunft der Website damit jetzt gesichert. Wie auch die Michael Robertsons: Der wird zum Berater Jean Marie Messiers. Vom Revolutionär zum Hofnarren - eigentlich nicht die schlechteste Karriere. Besser zumindest als die seines Vorbilds Robespierre. Denn der stand bekanntlich zuletzt recht kopflos da.