Von Kuba 1962 bis Ukraine 2002: Stoppt das Russisch Roulette mit der Menschheit!

Reichweite der auf Kuba stationierten sowjetischer Atomraketen 1962. Bild: DID Graphics

Es ist Zeit, über diplomatische Lösungen des Konfliktes zu sprechen und Gefahren der militärischen Logik offenzulegen. Ein Appell an das historische Gedächtnis

Das Gedächtnis der Menschheit ist wirklich erstaunlich kurz, wie es Bertolt Brecht im Jahr 1952 anlässlich des Wiener Völkerkongresses für den Frieden schrieb.

Er warnte vor einem Inferno, für das viele keine Vorstellungsgabe hätten.

Genau das ist heute erneut zu beobachten. Die Gleichgültigkeit gegenüber der Gefahr einer nuklearen Tragödie ist eine der Quellen für die Gefahr einer finalen Katastrophe für die Zivilisation nicht nur Europas. Dieses Risiko akzeptiert Russland mit seinem Angriff auf die Ukraine, diese Gefahr hat aber auch die Nato über die Jahrzehnte ihrer Osterweiterung seit dem Ende des Kalten Krieges in Kauf genommen.

Im Ukraine-Krieg ist apokalyptisches Potenzial auch dann gegeben, wenn es zu keinem Einsatz von Atombomben kommt. So hat die Internationale Atomenergiebehörde Alarm geschlagen, da die 15 ukrainischen Atomreaktoren nicht nur vor Explosionen im Bereich des Reaktorschutzbehälters bewahrt werden müssen, sondern da genauso achtsam auf eine stabile Strom- und Wasser-Versorgung für die Kühlung der Reaktoren geachtet werden muss.

Gerade im Krieg steigt die Gefahr, dass diese Ressourcenversorgung der Kühlung nicht gewährleistet ist. Dann droht eine Kernschmelze; das bedeutet, dass die Kettenreaktion im Reaktor so heiß läuft, dass der Reaktor aufgrund seines enormen Gewichts schmelzend heiß durch sein Betonfundament hindurch ins Erdreich hinabsinkt, bis er auf Grundwasser stößt. Die dann ausgelöste Verpuffung gibt eine nukleare Wolke an die Atmosphäre ab, die den ganzen Kontinent und sein Umfeld verstrahlen kann.

Das 100-Milliarden-Paket, die ebenfalls milliardenschwere Lieferung schwerer Waffen aus den USA und aus Europa sowie die Übererfüllung der Zwei-Prozent-Vorgabe der Nato für die Militärausgaben – all das übergeht das seit 1945 geltende Primat der Politik und die Erkenntnis, dass weitere Hiroshimas und Nagasakis verhindert müssen.

Die Auf- und Hochrüstung enthält bereits militärische Arsenale für die Führung eines Atomkriegs, die auch die Bündnisgrüne Partei, die aus der Friedens- und Anti-Atombewegung entstanden ist, mitträgt, verteidigt und im politischen Diskurs ausblendet, so als spielen die am Krieg beteiligten Seiten im Westen und im Osten kein Russisch Roulette mit der Menschheit.

Was Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in seiner Rede zur Ankündigung des sprunghaften Anstiegs der Militärausgaben eine "Zeitenwende" nannte, kann nur als Propaganda-Narrativ eingeordnet werden – so als hätte es bisher keine Brutalität dieses Ausmaßes gegeben. Zwar schränkte Scholz seine Aussage auf "unseren Kontinent" ein, dennoch war sie Ausdruck eines doppelten Standards.

Die Kriegsverbrechen der USA in Vietnam, in Abu Ghraib, im "Wüstensturm" genannten Irak-Krieg – sie alle bekräftigen die Bedeutung des völkerrechtlichen Friedensgebots. Hinzu kommt das Déjà-vu einer Situation, in der die Menschheit von den Verantwortlichen auf allen Seiten in jene Gefahrenzone gezogen wird, die an den Abgrund anknüpft, den einst Arthur Schlesinger die gefährlichste der Menschheitsgeschichte nannte, als der Atomkrieg im Zuge der Kuba-Krise nur noch eine Frage von Stunden war.

Es war auch der Zivilcourage eines Offiziers der Roten Armee zu verdanken, dass es damals nicht zum Weltuntergang in einem Atomkrieg kam. Auf ein solches Glück kann sich die Menschheit nicht auf Dauer verlassen. Die Hoch- und Atomrüstung, als Sicherheit verkauft, erreicht eine neue Gefahrenstufe.

Damals täuschten die USA und die Nato die Öffentlichkeit, indem sie die sowjetische Führung zum Alleinverantwortlichen für die Kuba-Krise erklärten. Sie hielten dieses Narrativ bis zum Ende durch, das in einer Vereinbarung mündete: Die USA zogen Raketen aus der Türkei ab, ohne dass die beiden Seiten das öffentlich noch schriftlich dokumentierten.