Vorläufige Entwarnung für Softwareentwickler

Diplomatische Konferenz stimmt gegen Softwarepatente

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Durch den entschiedenen Protest von europäischen Softwareentwicklern und Benutzern konnte gestern eine schädliche Entwicklung vorerst gestoppt werden. Aus Kreisen des Justizministeriums sickerte durch, dass am ersten Tag der diplomatischen Konferenz zum Europäischen Patentübereinkommen einstimmig gegen die Ausweitung der Patentierbarkeit von Software gestimmt wurde.

Lediglich drei Landesdelegationen enthielten sich der Stimme. So nutzte auch eine flugs eingeführte Regelung, dass Anträge nur mit Zweidrittelmehrheit abgelehnt werden können, den Befürwortern von Softwarepatenten nichts mehr. Die Entscheidung sichert nur den Status Quo, schiebt aber Exzessen in der bisherigen Praxis der Patenterteilung keinen Riegel vor.

Die Patentierbarkeit ist - anders als der Schutz durch das Urheber- oder das Markenrecht - ein staatlich gewährtes Monopol, das auch die Schöpfung von Konkurrenzprodukten verbietet. Würde z.B. ein wirksames Patent auf Textverarbeitung mit Hilfe eines Computers erteilt werden, könnte es 20 Jahre lang nur ein einziges legales Textverarbeitungsprogramm geben. Konkurrenzprodukte, die das Problem mit anderem Code und einem anderen Design lösen, wären vom Markt ausgeschlossen.

Die Delegierten der diplomatischen Konferenz trafen diese Entscheidung, um der EU-Kommission nicht vorzugreifen. Bis 15. Dezember läuft in Brüssel eine Anhörung unter Leitung der Generaldirektion Binnenmarkt (Vgl. EU-Kommission startet Befragung zu Softwarepatenten). Dort scheint sich zwar nominell eine Bestätigung der bisherigen Praxis abzuzeichnen. Das Sondierungspapier der Kommissionsdienststellen definiert den Begriff "Technik" jedoch so unklar, dass faktisch eine Patentierbarkeit fast jeder Software möglich wird. Eine Bestätigung dieses Konsultationspapiers birgt somit die Gefahr einer Änderung des Artikels 52 Absatz 2c über den Umweg der "Anpassung" an europäisches Recht mit sich. Zu dieser Anpassung wird die Diplomatische Konferenz den Verwaltungsrat der Europäischen Patentorganisation durch eine Änderung des Artikels 33 der Europäischen Patentübereinkunft wahrscheinlich diese Woche ermächtigen.

Aus dem Bundesjustizministerium verlautbarte allerdings, dass solch eine Anpassung nur durch einstimmigen Beschluss erfolgen könne und von den nationalen Parlamenten innerhalb Jahresfrist geändert werden könne. Trotzdem wird hier ein weiteres Einfallstor für bürokratische Einflussnahmen ohne wirksame demokratische Kontrolle geschaffen. Die schwedische Delegation sprach sich am Montag deshalb gegen eine solche Änderung des Art. 33 aus.

Es scheint, dass keiner sie wirklich will - die Streichung der Software aus dem Artikel 52 Absatz 2c des Europäischen Patentübereinkommens, der Programme für Datenverarbeitungsanlagen "als solche" von der Patentierbarkeit ausschließt. Weder die Verbraucher noch die mittelständischen Softwareentwickler. Sogar in Konzernen wie IBM wurde die Schädlichkeit der Patentierbarkeit von Software eingestanden und die bisherigen eigenen Patentanmeldungen nur als notwendiges "Waffenarsenal" zur Sicherung gegen Patentklagen anderer Firmen gerechtfertigt. Dabei vermutete man von den Multis sogar, dass sie die kleinen europäischen Feudalrelikte wie Monaco oder Liechtenstein, die im September im Verwaltungsrat des Europäischen Patentamtes für eine Streichung stimmten, gekauft hätten. Zahlreiche wissenschaftlichen Studien belegten zudem empirisch wie theoretisch, dass Softwarepatente Innovation eher bremsen, als sie zu fördern. Wie also konnte es so weit kommen, dass eine solche Regelung beinahe verabschiedet worden wäre?

Tatsächlich darf der Einfluss einer Bürokratenklasse, die vor allem in Ländern ohne bedeutende eigenen Softwareentwicklung (wie Österreich oder Liechtenstein) gegenüber Verbrauchern wie Entwicklern eine Ausweitung des eigenen Machtbereichs durchsetzen wollte, nicht unterschätzt werden. Diese Bürokratenklasse - Patentanwälte eingeschlossen - wäre die einzige gesellschaftliche Gruppe, die von einer grundsätzlichen Patentierbarkeit von Software sicher profitiert hätte. Während in anderen Bereichen seit den 1980er Jahren versucht wurde, Bürokratie abzubauen, verstanden es die Patentbehörden, ihre Apparate aufzublähen. Die europäischen Patentanmeldungen stiegen von 3.600 im Gründungsjahr des europäischen Patentamtes 1978 auf voraussichtlich 140.000 im laufenden Jahr. Ursprünglich wurde mit 30.000 Patentanmeldungen jährlich als Obergrenze gerechnet. Entsprechend stieg das Haushaltsvolumen des Patentamtes: fast 2 Mrd. DM verschlingt die Bürokratie derzeit jährlich.

Dabei verlor die Patentbürokratie zusehends den Bezug zur Öffentlichkeit: Ein Herr Tauchert vom Deutschen Patentamt, auf einer Konferenz mit dem Volk und seiner Sicht von Softwarepatenten konfrontiert, wirkte in seiner Weltfremdheit wie ein Herr Honecker beim Mauerfall. Der Staatsdiener verteidigte die Patentierbarkeit von Software mit dem Argument, dass Patente die Entwicklungen kleiner Softwareschmieden gegen große Konkurrenten schützen würden, musste sich aber von den anwesenden Vertretern der Softwareunternehmen sagen lassen, dass dieser Schutz ein Danaergeschenk sei, auf das man nur zu gerne verzichten würde. Tauchert ist der Ansicht, Softwarepatente seien gerade dann sinnvoll, wenn sie "weh tun" würden, d.h. wenn ein Verfahren sich (wie etwa das von Fraunhofer geschützte Audio-Kompressionsverfahren MP3) als Standard etabliert hat und ein Unternehmen erst dann beginnt, seine Lizenzgebühren wie Steuern einzufordern.

Zu den Bestrebungen der Ausweitung bürokratischer Machtbefugnisse kam ein gerüttelt Maß an Inkompetenz bei Politikern wie bei Brüsseler Beamten, denen erst vermittelt werden musste, dass es nicht trivial ist, Anwendungen nachzuprogrammieren. Auch die Erkenntnis, dass Softwarepatente weniger in fortschrittliche Produkte umgesetzt als vielmehr von großen Firmen als Verhandlungsmasse genutzt werden (Vgl. Patent Wars) scheint zu Politikern und Beamten langsamer durchzusickern als zu Softwareentwicklern. Durch "Crosslicensing" entstehen so Oligopole von großen Unternehmen mit genügend "Drohpotential" an Schubladenpatenten.

Auch die Gefahren von Patenten für die Entwicklung von Software muss Politikern in einem aufwendigen Prozess erst beigebracht werden. Auf einer Datenbankdes Fördervereins für eine Freie Informationelle Infrastruktur (FFII) können Entwickler für die eigenen Projekte gefährliche Softwarepatente suchen und über Eurolinux (consultation@eurolinux.org) bis 15. Dezember der europäischen Bürokratie bekannt machen.

Das Eurolinux-Bündnis und der FFII hatten sich vehement gegen Softwarepatente ausgesprochen und viel zur vorläufigen Verhinderung uneingeschränkter Softwarepatente beigetragen. Der FFII fordert eine Garantie der Programmierfreiheit, sowie einen strengeren Technik- und Erfindungsbegriff. Die Frage der Grenzen der Patentierbarkeit soll den Amtsstuben und der Geheimdiplomatie entrissen und in die Parlamente und die Öffentlichkeit hineingetragen werden. Hierfür werden offene Entscheidungsgremien angestrebt.

Noch gestern hatte die FFII Richard Stallman in das Deutsche Museum in München eingeladen, wo er anhand des Gruselkabinetts europäischer Softwarepatente eindringlich auf die Bedeutung der Patentfreiheit in der Softwareentwicklung - besonders für freie, aber auch für proprietäre Software hinwies. Das Gruselkabinett erfüllt eine Aufgabe, die eigentlich den Patentämtern zukäme: Es macht Information über bereits erteilte Softwarepatente der Öffentlichkeit zugänglich. Bereits im Juni machte ein einzelnes Patent der British Telecom auf Hyperlinks Schlagzeilen - das Gruselkabinett aber wimmelt geradezu von bisher weniger bekannten, aber nicht weniger banalen und gefährlichen Patenten. So wurden etwa auf die automatisierbare medizinische Diagnose, auf die Steuerung eines Rechners durch einen anderen (worunter sowohl Telnet als auch Client-Server Verbindungen fallen), auf das Abfangen von Viren, auf die dynamische Preisfestlegung, auf Multitasking, auf die Analyse von Dateinamen, auf die Erzeugung dynamischer Webseiten durch Skriptaufruf, auf den "Elektronischen Einkaufswagen", auf die Visualisierung von Prozessen, auf das Lernen einer Sprache durch den Vergleich der eigenen Aussprache mit der des Lehrers und auf die computergestützte Durchführung von Prüfungen Patente erteilt.

Durch eine Aushöhlung der Vorschrift haben Beschäftigte der Patentämter, deren Leistung vorwiegend nach der Zahl der erteilten Patente und nicht nach der juristischen und technischen Qualität der Prüfung beurteilt wird (Vgl. Software Patents: Will Europe Roll Over For The Multinationals?, die Erteilungspraxis derart ausgeweitet, dass bereits eine Vielzahl von fragwürdigen Softwarepatenten erteilt wurde (Vgl. Softwarepatente: Verbiegung des Rechts?). Die FFII spricht von etwa 30.000 solcher Patente, die vor allem amerikanischen Konzernen erteilt wurden und Tretminen gleich das Programmieren zu einer riskanten Tätigkeit machen. Solche auf Software erteilten Patente konnten jedoch bisher von den Gerichten für illegal erklärt werden. Eine Streichung des Art. 52.2c hätte diese Situation grundlegend geändert.

Von einer europäischen Entscheidung gegen Softwarepatente kann ein Signal nach Amerika ausgehen, wo zunehmend Unmut von Firmen wie Bürgern gegen eine absurd exzessive Patentierungspraxis entsteht. Ralph Nader hatte diese Patentierungspraxis, die vor allem während der Amtszeit der Clinton/Gore-Administration bizarre Blüten trieb, zum Wahlkampfthema gemacht, was dazu beitrug, dass der Vizepräsident weniger Stimmen errang als erwartet. Sollte sich das bei amerikanischen Politikern herumsprechen, könnte die europäische Entscheidung Signal für einen weltweiten Schutz von Entwicklern und Verbrauchern vor Softwarepatenten sein. So zitiert von Hartmut Pilch auf der Tagung "Wem gehört das Wissen? Geistiges Eigentum in Zeiten des Internet" am 20.10.2000 in Berlin. (Vgl. auch Die Revision des Europäischen Patentübereinkommens : Hintergrund und Fakten)