Was wird Putin machen?

Der russische Präsident hat die Republik Krim als souveränen Staat anerkannt, aber will er die Krim auch Russland eingemeinden?

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Am Sonntag wurde auf der Krim die Volksabstimmung angeblich mit einer an sowjetische Zeiten erinnernde Mehrheit von 97 Prozent bei einer Wahlbeteiligung von 83 Prozent angenommen. Am Montag erklärte das Parlament der Krim diese zur unabhängigen Republik und beantragte die Aufnahme in die russische Föderation. Während die EU und die US-Regierung das Referendum nicht anerkannten, symbolische Sanktionen beschlossen und weitere androhten, veröffentlichte der russische Präsident den Erlass, dass die Russische Föderation nach der Willensbekundung des Volkes die Republik als "souveränen und unabhängigen Staat" anerkennt.

Heute wird Putin zum weiteren Vorgehen eine Erklärung vor dem Parlament abgeben. Mit Überraschungen ist zu rechnen, zumal ein Gesetzentwurf, der den Anschluss der Krim erleichtern und am Freitag verabschiedet werden sollte, zurückgezogen wurde. Und Putin hat in Gorbatschow einen Helfer gefunden. Der hat nämlich gesagt, was den Hardlinern in der EU und in den USA nicht gefallen wird, dass es ein Fehler der Kommunistischen Partei gewesen wäre, die Krim der Ukraine zuzuschlagen, ohne die Menschen zu fragen. Für ihn stellt nun das Referendum den Willen des Volkes dar. Die Sanktionen hält er nicht für gerechtfertigt.

An der Börse ist fürs erste wieder einigermaßen Ruhe eingekehrt (Kapitalmärkte haken Krim-Eskalation ab). Ebenso wie die Regierungen im Westen geht man davon aus, dass die erste Krise vorüber ist, so lange der Konflikt in der Ostukraine nicht aufbricht. Man will vor allem Entschlossenheit zeigen, um Russland davon abzuhalten, auch in die Ostukraine einzudringen. Interesse am Schüren eines Konflikts haben hingegen militante prorussische und pro-ukrainische Gruppen, wie sich schon in den letzten Tagen zeigte. Pro-ukrainische Nationalisten hoffen darauf, den Westen stärker einbinden zu können und setzen auf den Druck der ehemaligen Ostblockstaaten, prorussische Nationalisten wollen hingegen erzwingen, dass Russland zum Schutz der russischsprachigen Ukrainer einmarschiert.

Die Regierung in Kiew hält weiter an der Krim als einem Teil der Ukraine fest. So sollen die ukrainischen Soldaten auf der Krim, die nach der Unabhängigkeitserklärung dort als Besetzer gelten, unter dem Befehl Kiews bleiben, gleichzeitig wurde eine teilweise Mobilisierung von 40.000 Reservisten beschlossen, allerdings im Parlament nur mit einer Mehrheit von 243 von 450 Abgeordneten. Zusätzlich will das Pleiteland 600 Millionen US-Dollar aufbringen, um Rüstungstechnik - in den USA oder in der EU? - zu kaufen und Truppenübungsplätze einzurichten. Es gibt offenbar eine Vereinbarung zwischen ukrainischen und russischen Militärs über ein Stillhalten auf der Krim. Das könnte dazu dienen, dass sich die ukrainischen Soldaten absetzen. Wie ein Tagesschau-Bericht vermuten lässt, sind womöglich manche Kasernen schon leer und bleibt nur die Technik zurück. Nach Äußerungen des Krim-Parlaments am Sonntag sollen die meisten ukrainischen Soldaten sowieso schon übergelaufen oder die Waffen niedergelegt haben, was auch realistisch klingt. Erklärt wird jedenfalls, dass jeder Soldat und jeder Staatsangestellte im Amt bleiben darf, wenn er für die Regierung der Krim arbeitet, oder die Krim verlassen darf.

Vizepremier Yarema erklärte, man werde die Krim nicht freiwillig verlassen: "Die Krim war, ist und wird ukrainisch bleiben." Die Vaterlandspartei drängt darauf, das Problem mit der Wasser-, Gas-, Öl- und Stromversorgung der Krim zu lösen. Für die Krim dürfte ein weiteres Problem sein, dass es keine direkte Landverbindung zu Russland gibt. In der Ukraine haben der Geheimdienst und die Nationalgarde den Schutz der Gaspipelines übernommen. Es ging bereits das Gerücht um, Yarosh, der Führer des Rechten Sektors, würde überlegen, die Pipelines in die Luft zu sprengen, die das Gas in den Westen transportieren. Der Konzern Ukrtransgas betreibt die Pipelines, alles würde bislang stabil sein, versichert er. Wirklich schützen ließen sich die 36.000 km an Pipelines mit 70 Kompressorstationen und 12 Vorratsspeichern wohl nicht.

Interimspräsident Turtschinow von der Vaterlandspartei verkündete die Teilmobilmachung und erklärte, dass von Russland ein Krieg drohe, das Truppen an den Grenzen des Landes stationiert habe. Zudem würden Randalierer und Provokateure versuchen, Unruhe zu stiften. Daher müsse die Ukraine für eine kriegerische Auseinandersetzung gerüstet sein. Die Ukraine sei eine "große Familie", die bereit sei, ihr Zuhause zu verteidigen. Der Vorsitzende des Sicherheits-und Verteidigungsrates der Ukraine, Andriy Parubiy, sagte, man habe einen Versuch von russischen Spezialeinheiten abgewehrt, im Süden und Osten eine Situation wie der Krim zu schaffen. Prorussische Demonstranten werden in Kiew verdächtigt, als Agenten von Russland zu agieren oder solche zu sein. Parubiy, der mit dem Rechten Sektor verbandelt ist, tritt als Scharfmacher auf (Parubij warnt vor drohender Invasion der russischen Streitkräfte).

Mit der Unabhängigkeitserklärung der Krim erklärt die selbst ernannte und von Putin schnell anerkannte Republik, dass sie friedliche Beziehungen mit allen Staaten aufnehmen will. Sie bittet die UN und alle Regierung, die Republik als souveränen und unabhängigen Staat anzuerkennen. Das Gesetz und die Rechtsprechung der Ukraine gilt nicht mehr, aber die Gesetze gelten noch als Recht, bis sie durch neue ersetzt werden, auch die ukrainischen Gerichte können noch weiter arbeiten, aber nur, wenn ihre Entscheidungen nicht die Unabhängigkeit verletzen. Die obersten Gerichte sollen aber die Berufungsgerichte auf der Krim sein. Wie das alles funktionieren wird, dürfte spannend zu beobachten sein, wenn der erste Rausch der Loslösung verflogen ist. Der ukrainische Staatsbesitz gilt nun als Eigentum der Republik Krim, auch alle staatlichen Unternehmen und Organisationen, vor allem die Gas- und Ölgesellschaften. Und es wird die Bitte ausgesprochen, als Republik in die russische Föderation aufgenommen zu werden.

Interessanterweise hat Putin noch keinen Hinweis gegeben, ob und wie die Krim in Russland integriert werden soll. Es ist gut möglich, dass er daran denkt, zwar auf dem unabhängigen Staat der Krim zu bestehen, aber die Krim nicht zu schlucken, wenn er dadurch andere Zugeständnisse erhält, die die Ukraine oder die Ostukraine betreffen. Damit hätte er auch den Gegnern, die ihn zum bösen, rückwärts gewandten Kalten Krieger stilisieren, während sie undifferenziert auch die rechtsextremen Bewegungen und Parteien mitsamt den mit wehenden Fahnen übergelaufenen Oligarchen in Kiew unterstützen, eine Finte geschlagen. Russland hätte mit der Schwarzmeerflotte und dem vereinbarten Kontingent an Truppen auch dann, wenn die Krim ein selbständiger Staat wäre, Militär vor Ort, wirtschaftlich und politisch abhängig bliebe die Krim auch von Russland. Eine Aufnahme in die Föderation wäre gar nicht erforderlich. Allerdings steht Putin auch unter erheblichem Druck seitens der Bevölkerung, die offensichtlich hinter der aggressiven und nationalistischen Politik steht.

Auf die Ukraine könnte Russland zudem erheblichen Druck ausüben, um Verhandlungsbereitschaft zu forcieren. Das Land ist abhängig vom Gas aus Russland. Angekündigt wurde bereits, dass die Preise erhöht werden könnten. Die Ukraine dürfte nicht wieder, wie schon praktiziert, den Transport in den Westen blockieren, weil dies jetzt politisch nicht opportun wäre und Kiew an Rückhalt verlieren würde. Für den Westen würde die Unterstützung der Ukraine noch teurer werden, diese muss damit rechnen, rigiden Sparprogrammen unterworfen zu werden. Schnell könnten so Probleme der Regierung mit der Bevölkerung und mit den westlichen Staaten entstehen. Auch der Versuch der ukrainischen Regierung, Ansprüche auf Vermögen aus der Sowjetzeit einzufordern, dürfte das Land eher belasten. Das russische Außenministerium verwies darauf, dass Russland 1994 auch die ukrainischen Auslandschulden übernommen habe: "Damals hat dieser Anteil 6,8 Milliarden US-Dollar betragen. Gegenwärtig macht er knapp 20 Milliarden US-Dollar aus", so das Außenministerium. Wenn die Ukraine hier weiter verhandeln wolle, so behalte sich Russland das Recht vor, von Kiew eine umgehende Rückerstattung der 20 Milliarden Dollar zu fordern.