Wie das EU-Kartell die Landwirte Europas vernichtet

Seite 2: Ein Drittel des Haushalts der EU für Agrarwirtschaft

Genau das war die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP). Man kann es in den Römischen Verträgen nachlesen, mit denen die heutige EU gegründet wurde: Es handelt sich um einen Vertrag zwischen dem Kartell der Schwerindustrie und den wohlhabenderen Landwirten Europas, demzufolge der größte Teil des europäischen Haushalts, der von den Ersteren erwirtschaftet wird, an die Letzteren verteilt wird.

Im Jahr 2021 stellt die EU 378 Milliarden Euro für die GAP bereit: 31,8 Prozent ihres Gesamthaushalts für den Sechsjahreszeitraum 2021 bis 2027. Von diesem Geldberg landen etwa 80 Prozent in den Taschen der reichsten 20 Prozent der europäischen Landwirte.

Und das Schlimmste ist, dass es kaum einen Ausweg gibt: Diese irrsinnigen Summen und ihre ungleiche Verteilung beruhen auf der Vereinbarung von Mitte der Fünfzigerjahre, die uns die ursprüngliche EU bescherte. Sie sind in ihrer Struktur fest verankert.

Diese ungleiche Verteilung wurde mit dem Argument der "Produktivität" gerechtfertigt. Großgrundbesitzer sind pro bewirtschaftetem Acker oder pro Landarbeiter weitaus profitabler. Der Financial Times zufolge steigerte beispielsweise im Jahr 2021 jede zusätzliche Arbeitskraft den Nettowert eines kleinen landwirtschaftlichen Betriebs – definiert als ein Betrieb mit einem Gesamtertrag zwischen 4.000 und 25.000 Euro – um rund 7.000 Euro.

Die Großen haben das Sagen

Im Gegensatz dazu steigerte eine zusätzliche Arbeitskraft den Nettowert eines großen Betriebs – eines Betriebs mit einem Produktionswert von mehr als einer halben Million Euro – um 55.000 Euro.

Infolgedessen konnten die meisten Landwirte im Süden Europas – auch in weiten Teilen Frankreichs, wo die landwirtschaftlichen Flächen viel kleiner sind als etwa in Deutschland oder den Niederlanden – kaum überleben. Währenddessen verfügten ihre Kollegen im Norden über beträchtliche Gewinne, Ressourcen und Subventionen.

Das erklärt, warum griechische, spanische, süditalienische und französische Landwirte immer am meisten dazu neigten, Straßen zu blockieren. Vor sechs Jahrzehnten wurde ihnen ein Deal angeboten, der nicht ihren Interessen diente.

Heute jedoch, da die Deindustrialisierung auch in Deutschland immer weiter voranschreitet, ist auch das ursprüngliche, europaweite Industriekartell, das die großzügigen Subventionen der reichen Bauern bezahlen sollte, im Niedergang begriffen.

Die Geierfonds kommen

Was Landwirte wie Manos betrifft, so hat eine Kombination aus alten Problemen und neuen Katastrophen ihren Tribut gefordert. Im vergangenen Herbst machte die Klimakrise auch vor seinem Tal nicht halt, als der Sturm Daniel seinen Hof zerstörte, die Agrarflächen meterhoch unter Wasser setzte, bevor er nach Süden zog und in Libyen Tausende von Menschen in Fluten ertränkte.

Die üblichen, lächerlich langen Verzögerungen, die die griechische Bürokratie kennzeichnen, führten dazu, dass die Versicherungsgesellschaften Manos nur langsam zu Hilfe kamen.

Eine weitere Quelle der Unzufriedenheit unter seinen Kollegen, die noch unangenehmer ist, stellt jedoch die massenhafte Aneignung von landwirtschaftlichen Betrieben durch die zahlreichen Geierfonds dar. Unter Ausnutzung des seit Langem bestehenden Bankrotts Griechenlands sind sie in das Land eingedrungen, um Kredite von Landwirten, die sich nicht mehr bedienen konnten, zu einem Preis von fünf Cent pro Euro aufzukaufen, bevor sie das Land versteigern.

Auf diese Weise schnappen sich oligarchisch operierende Investoren fruchtbares Agrarland und stecken Subventionen und Kredite aus Brüssel ein, um das Land mit Solarzellen auszustatten. Landwirte und städtische Griechen müssen nun tief in die Tasche greifen, um für den erzeugten Strom zu zahlen. Und während die Ersteren finanziell unter Druck geraten, werden die einheimischen Lebensmittel knapper.

Strom-Spekulanten, Bürokratie und Ukraine-Krieg

Jetzt spielen sich ähnliche Geschichten in wohlhabenderen Teilen der EU ab: in den Niederlanden und in Deutschland. Hier gibt es drei Hauptauslöser.

Erstens: Nachdem die EU die ehemals öffentlichen Elektrizitätsversorgungsunternehmen einem privaten Kartell unterstellte, das sich hinter den niederländischen Strombörsen versteckt, unternimmt sie nichts, um die Landwirte vor dem unersättlichen Appetit der Energiespekulanten und Rentiers zu schützen.

Zweitens ist da der bürokratische Albtraum, dem die Landwirte ausgesetzt werden, um selbst die kleinsten Vergünstigungen zu beantragen oder auch nur das Recht zu erhalten, einen Baum zu beschneiden, dessen Äste ihnen in die Augen stoßen, wenn sie mit ihren Traktoren vorbeifahren.

Drittens ist die Ukraine zu nennen. Dabei handelt es sich nicht nur um die gestiegenen Treibstoffkosten und die Konkurrenz durch "Solidaritäts"-Importe im Wert von 13 Milliarden Euro allein im letzten Jahr. Es geht auch um die Aussicht, dass im Falle eines EU-Beitritts des kriegsgebeutelten Landes die meisten Länder, die jetzt Nettoempfänger von GAP-Mitteln sind, darunter auch Polen, zu Nettozahlern werden, wobei ihre Landwirte die Hauptlast tragen.

Green Deal, aber ohne Finanzierung, plus Wirtschaftsflaute

Und dann sind da natürlich noch die beiden Elefanten im Raum. Der eine ist der Green Deal der EU. Brüssel geht man zwar rhetorisch in Hinblick auf Umweltschutz in die richtige Richtung und fordert umgehende grüne Maßnahmen, ist aber nicht in der Lage, diese zu bezahlen.

Nehmen wir den Zankapfel der niederländischen Landwirte: die eindeutige und drängende Gefahr von Nitraten im Grundwasser, die bekämpft werden muss. Nachdem sie jahrzehntelang die Augen vor dem Problem verschlossen, verlangte die niederländische Regierung – auf Druck aus Brüssel – plötzlich, dass ihre Landwirte das Problem unter anderem dadurch lösen, dass sie jede dritte Kuh "abschaffen".

Noch hartnäckiger ist der zweite und größere Elefant: eine 15-jährige europäische Wirtschaftsflaute, die sich in meinen Augen vollständig durch den unsinnigen Umgang mit der Eurokrise erklären lässt. Dieser Einbruch erklärt, warum der Kontinent sich deindustrialisiert.

Sie ist der Grund, warum die Gemeinsame Agrarpolitik die ursprüngliche Abmachung zwischen den europäischen Industrie- und Agrarkartellen aus den Fünfzigerjahren nicht mehr einhalten kann.

Und es ist auch der Grund, warum der Green Deal der EU nur ein weiteres europäisches Potemkinsches Dorf ist – ein weiteres Resultat der EU-Vorliebe dafür, große Zahlen zu verkünden, die sich bei genauerem Hinsehen in Luft auflösen.

Der Artikel erscheint in Kooperation mit dem US-Online-Magazin Znetwork. Dort findet er sich im englischen Original. Übersetzung: David Goeßmann.

Yanis Varoufakis ist ein griechischer Wirtschaftswissenschaftler, Politiker und Mitbegründer der paneuropäischen Bewegung und Partei DiEM25 / MERA25. Varoufakis war von Januar bis Juli 2015 griechischer Finanzminister. Seit 2019 ist er erneut Mitglied des griechischen Parlaments und Vorsitzender von DiEM25. Er ist der Autor mehrerer Bücher, darunter "Another Now" (2020). Sein neuestes Buch lautet "Technofeudalism: What Killed Capitalism". Varoufakis ist außerdem Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Athen, Honorarprofessor für politische Ökonomie an der Universität Sydney, Honoris Causa Professor für Recht, Wirtschaft und Finanzen an der Universität Turin und Distinguished Visiting Professor für politische Ökonomie am Kings College der Universität London.