Wie wahrscheinlich ist eine chinesische Invasion in Taiwan?

Die Präsidentin Taiwans Tsai Ing-wen besichtigt im Juli 2020 ein Bataillon des Marinekorps in Kaohsiung. Bild: Präsidentenpalast der Republik China / CC BY 2.0

Die Spannungen zwischen Washington und Beijing nehmen zu. Stellen Sie sich eine Welt vor, in der die USA mit Diplomatie auf China zugehen, ohne einen verheerenden Krieg zu orchestrieren. Unmöglich?

Steht China wirklich kurz vor einer Invasion der Insel Taiwan, wie so viele hochrangige amerikanische Beamte zu glauben scheinen? Wenn die Antwort "ja" lautet und die USA auf der Seite Taiwans intervenieren – wie Präsident Biden geschworen hat –, könnten wir uns in nicht allzu ferner Zukunft in einem Großmachtkonflikt wiederfinden, möglicherweise sogar in einem nuklearen Konflikt.

Selbst wenn sich ein solcher Konflikt auf Asien beschränken und nur mit konventionellen Waffen ausgetragen werden würde – was nicht sicher ist –, hätte er dennoch menschliche und wirtschaftliche Schäden in einem weitaus größeren Ausmaß zur Folge, als dies heute in der Ukraine zu beobachten ist.

Michael T. Klare ist em. Professor für Friedens- und Weltsicherheitsstudien und Senior Visiting Fellow bei der Arms Control Association

Was aber, wenn die Antwort "nein" lautet, was mindestens ebenso wahrscheinlich erscheint? Würde das nicht den Weg für die USA ebnen, mit ihren Freunden und Verbündeten, und natürlich mit China selbst, zusammenzuarbeiten, um die Spannungen in der Region abzubauen und möglicherweise Wege für die Aufnahme friedlicher Verhandlungen zwischen Taiwan und dem Festland zu ebnen? Zumindest würde sich dadurch die Notwendigkeit erübrigen, den Pentagon-Haushalt jährlich um viele Milliarden Dollar aufzustocken, wie es derzeit von den Anti-China-Falken im Kongress gefordert wird.

Die Antwort auf diese Frage hat enorme Auswirkungen für uns alle. Doch unter den politischen Entscheidungsträgern in Washington steht sie nicht einmal zur Diskussion. Stattdessen scheinen sie miteinander in Wettstreit zu verfallen, das Jahr zu bestimmen, in dem die angebliche chinesische Invasion stattfinden und ein Krieg zwischen den Ländern ausbrechen wird.

Ist es 2035, 2027 oder 2025?

Alle hochrangigen Vorhersagen über eine bevorstehende chinesische Invasion Taiwans beruhen auf der Annahme, dass die chinesische Führung niemals zulassen wird, dass die Insel vollständig unabhängig wird, und daher auf jeden Schritt in diese Richtung mit einem umfassenden militärischen Angriff reagieren wird.

Zur Rechtfertigung solcher Behauptungen verweisen amerikanische Beamte regelmäßig auf die laufende Modernisierung des chinesischen Militärs, der Volksbefreiungsarmee (PLA), und auf Warnungen ranghoher chinesischer Beamter, dass sie jeden Versuch "separatistischer Elemente" in Taiwan, die Vereinigung zu verhindern, zunichtemachen würden.

Im Einklang mit dieser Denkweise bleibt nur eine Frage offen: Wann genau wird die chinesische Führung die PLA für gerüstet sehen, in Taiwan einzumarschieren und alle zur Unterstützung der Insel entsandten US-Truppen zu überwältigen?

Wäre es nicht sinnvoll, über eine alternative Politik nachzudenken, die uns alle weniger kostet und sicherer macht?

Bis zum Jahr 2021 tendierten US-Militärs dazu, diesen entscheidenden Moment weit in der Zukunft anzusiedeln und verwiesen auf die enorme Strecke, die die PLA zurücklegen müsste, um die technologischen Vorteile der US-Streitkräfte zu erreichen. Pentagon-Analysten prognostizierten meist das Jahr 2035 dafür, ein Datum, das Präsident Xi Jinping für China festgelegt hatte, um "die Modernisierung der nationalen Verteidigung und des Militärs im Wesentlichen abzuschließen".

Diese Einschätzung änderte sich jedoch Ende 2021 drastisch, als das Verteidigungsministerium seinen Jahresbericht über die militärische Macht der Volksrepublik China (VRC) veröffentlichte. In diesem Dokument wurde eine bedeutende Veränderung in Chinas strategischer Planung hervorgehoben: Während die chinesische Führung einst das Jahr 2035 als Zeitpunkt anvisierte, in dem die PLA zu einer vollständig modernen Kampftruppe werden würde, strebe sie nun an, diese entscheidende Schwelle im Jahr 2027 zu erreichen, indem sie das "Smart-Werden" ihrer Streitkräfte (d. h. den Einsatz künstlicher Intelligenz und anderer fortschrittlicher Technologien) beschleunigt.

Wenn dieser neue "Meilenstein für die Modernisierung im Jahr 2027 erreicht werde", so der Pentagon-Bericht, "hätte Beijing im Falle eines Taiwan-Konflikts glaubwürdigere militärische Optionen".

Dennoch meinten einige Pentagon-Beamte, dass es unwahrscheinlich sei, dass die PLA bis dahin eine vollständig "smarte Armee" haben werde, was Zweifel an ihrer Fähigkeit aufkommen ließe, die USA in einer hypothetischen Schlacht um Taiwan zu überwältigen. Das hat die Republikaner jedoch nicht davon abgehalten, die Vorhersage zu nutzen, um den Kongress zu alarmieren und zusätzliche Mittel für Waffen zu beantragen, die auf einen künftigen Krieg mit China ausgerichtet sind.

Der republikanische Abgeordnete Mike Gallagher von Wisconsin drückte es 2022, als er noch Minderheitsmitglied des Ausschusses für Streitkräfte des Repräsentantenhauses war, so aus:

China steckt so viel Geld in die militärische Modernisierung und hat seinen Zeitplan bereits auf 2027 vorverlegt. Ab dem Zeitpunkt soll die PLA in der Lage sein, Taiwan zu erobern, so dass wir dringend handeln müssen, um dieser Bedrohung zu begegnen, denn das ist etwas, was wir in der modernen Geschichte noch nicht gesehen haben.

Und man beachte, dass er jetzt der Vorsitzende des neuen China bashenden Sonderausschusses des Repräsentantenhauses zu China ist.

Eine mögliche Invasion im Jahr 2027 galt in US-Politikerkreisen bis zum Januar dieses Jahres als Allgemeinplatz, als der Chef des Air Force Mobility Command, General Michael Minihan, seinen Truppen mitteilte, dass er das korrekte Datum für einen künftigen Krieg mit China im Jahr 2025 vermute, was eine weitere Panikattacke in Washington auslöste.

"Ich hoffe, dass ich mich irre", schrieb er an die 50.000 Luftwaffenangehörigen unter seinem Kommando.

Mein Gefühl sagt mir, dass wir im Jahr 2025 kämpfen werden. Xi sicherte sich seine dritte Amtszeit und setzte im Oktober 2022 den Kriegsrat an. Die taiwanesischen Präsidentschaftswahlen finden 2024 statt und werden Xi einen Grund bieten. Die Präsidentschaftswahlen in den Vereinigten Staaten finden 2024 statt und werden Xi ein mit sich selbst beschäftigtes Amerika bieten. Xis Team, seine Planung, und die bestehenden Möglichkeiten weisen alle auf das Jahr 2025.

Obwohl seine Vorhersage von einigen Analysten verspottet wurde, die bezweifeln, dass die Volksrepublik China in der Lage sei, die USA bis zu diesem Zeitpunkt zu schlagen, erhielt Minihan starke Unterstützung von den China-Falken im Kongress. "Ich hoffe auch, dass er sich irrt, aber ich glaube, dass er leider Recht hat", sagte der republikanische Abgeordnete Michael McCaul aus Texas, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Repräsentantenhauses, in einem Interview auf Fox News Sunday.

Das offizielle Washington ist nach wie vor besessen von der Frage, wann die mutmaßliche chinesische Invasion stattfinden wird, wobei einige Zahlen inzwischen auf das Jahr 2024 hindeuten. Seltsamerweise gibt es jedoch in offiziellen Kreisen keine einzige prominente Persönlichkeit, die die grundlegendste Frage von allen stellt: Hat China tatsächlich die ernsthafte Absicht, in Taiwan einzumarschieren, oder fabrizieren wir eine Krise aus dem Nichts?

Chinas Invasionskalkül

Um diese Frage zu beantworten, muss Beijings Kalkül untersucht werden, wenn es um die relativen Vorteile und Gefahren einer solchen Invasion geht.

Um es vorwegzunehmen: Chinas oberste Führung hat wiederholt erklärt, dass sie bereit ist, als letztes Mittel Gewalt anzuwenden, um die Vereinigung Taiwans mit dem Festland sicherzustellen. Präsident Xi und seine Spitzenleute wiederholen dieses Mantra in jeder wichtigen Rede, die sie halten.

"Taiwan ist Chinas Taiwan", sagte Xi auf dem 20. Nationalkongress der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) im vergangenen Oktober.

Wir werden uns weiterhin mit größter Aufrichtigkeit und größter Anstrengung um eine friedliche Wiedervereinigung bemühen, aber wir werden niemals versprechen, auf die Anwendung von Gewalt zu verzichten, und wir behalten uns die Möglichkeit vor, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen.

Ferner wurden große Bemühungen unternommen, um die Fähigkeit der PLA, die Insel einzunehmen, verbessert, einer Insel, die rund 150 Kilometer vom chinesischen Festland entfernt in der Straße von Taiwan liegt. Die PLA hat ihre Seestreitkräfte, die PLA Navy (PLAN), und insbesondere ihre amphibische Angriffsflotte erheblich ausgebaut.

Die PLAN wiederum hat zahlreiche amphibische Übungen vor und entlang der chinesischen Küste durchgeführt, von denen viele auf eine mögliche Invasion Taiwans hindeuten. Laut dem Pentagon-Bericht 2022 über die chinesische Militärmacht haben solche Manöver in den letzten Jahren zugenommen. Allein zwanzig davon wurden 2021 durchgeführt.

Übungen wie diese deuten zweifellos darauf hin, dass die chinesische Führung die Kapazitäten für eine Invasion aufbaut, sollte sie das für notwendig erachten. Drohungen und der Erwerb militärischer Fähigkeiten sind jedoch nicht unbedingt ein Zeichen für die Absicht, aktiv zu werden.

Die Spitzenpolitiker der Kommunistischen Partei (KPCh) sind Überlebende rücksichtsloser innerparteilicher Kämpfe und wissen, wie man Risiken und Vorteile kalkuliert. So leidenschaftlich sie auch beim Thema Taiwan sein mögen, sie sind nicht bereit, eine Invasion anzuordnen, die Chinas Niederlage und ihre eigene Schande, Inhaftierung oder den Tod zur Folge haben könnte.

Abwägung der Risiken

Selbst unter den besten Umständen würde sich ein amphibischer Angriff auf Taiwan als äußerst schwierig und gefährlich erweisen. Zehntausende von PLA-Truppen über 150 Kilometer Wasserweg zu transportieren, während sie unter ständigem Beschuss durch taiwanesische und (wahrscheinlich) US-amerikanische Streitkräfte stehen, und sie auf stark verteidigten Strandköpfen abzusetzen, könnte leicht zu einer Katastrophe führen.

Wie Russland in der Ukraine erfahren hat, kann sich ein großangelegter Angriff gegen den erbitterten Widerstand als äußerst schwierig erweisen – selbst bei einer Invasion auf dem Landweg. Außerdem hat die PLA seit 1979, als sie einen Krieg gegen Vietnam verlor, keine nennenswerten bewaffneten Kämpfe mehr geführt (obwohl sie in den letzten Jahren einige Grenzscharmützel mit Indien hatte).

Selbst wenn es ihr gelänge, einen Landekopf in Taiwan zu sichern, würden ihre Streitkräfte zweifellos Dutzende von Schiffen, Hunderte von Flugzeugen und viele Tausende von Soldaten verlieren – ohne die Gewissheit, die Kontrolle über Taipeh oder andere Großstädte zu erlangen.

Das Center for Strategic and International Studies (CSIS), eine in Washington ansässige Denkfabrik, hat im Jahr 2022 mehrere Kriegsspiele mit genau diesem Ergebnis durchgeführt. Diese Simulationen, die von Personen mit "einer Vielzahl von hochrangigen Regierungsvertretern, Think-Tanks und Militärs" durchgeführt wurden, begannen immer mit einem amphibischen Angriff der PLA auf Taiwan, begleitet von Luft- und Raketenangriffen auf wichtige Regierungsinfrastrukturen.

Doch "die chinesische Invasion scheiterte schnell", heißt es in einer Zusammenfassung des CSIS.

Trotz des massiven chinesischen Bombardements strömen die taiwanesischen Bodentruppen zum Landekopf, wo die Invasoren sich abmühen, Nachschub zu beschaffen und ins Landesinnere vorzudringen. In der Zwischenzeit legen US-U-Boote, -Bomber und -Kampfflugzeuge, die oft von den japanischen Selbstverteidigungskräften verstärkt werden, die chinesische Amphibienflotte schnell lahm. Chinas Angriffe auf japanische Stützpunkte und US-Kriegsschiffe können an diesem Ergebnis nichts ändern: Taiwan bleibt eigenständig.

Diejenigen, die wie General Minihan eine bevorstehende chinesische Invasion vorhersagen, verschweigen in der Regel solche knallharten Einschätzungen, aber andere Militäranalysten sind da weniger zurückhaltend. Im Pentagon-Bericht über die chinesische Militärmacht aus dem Jahr 2022 ist zum Beispiel Folgendes zu lesen:

Ein Versuch, in Taiwan einzumarschieren, würde die Streitkräfte der VR China wahrscheinlich überfordern und eine internationale Intervention nach sich ziehen. In Verbindung mit dem unvermeidlichen Kräfteverschleiß ... machen diese Faktoren eine amphibische Invasion Taiwans zu einem erheblichen politischen und militärischen Risiko für Xi Jinping und die Kommunistische Partei Chinas.

Sicherlich haben Xis Generäle und Admiräle ähnliche Kriegsspiele durchgeführt und sind zu vergleichbaren Schlussfolgerungen gekommen. Die chinesische Führung ist sich auch der Sanktionen bewusst, die die USA und ihre Verbündeten gegen Russland als Reaktion auf dessen Einmarsch in der Ukraine verhängt haben, und ist sich bewusst, dass ein Einmarsch in Taiwan automatisch ähnliche Sanktionen nach sich ziehen würde.

Nimmt man noch die mögliche Beschädigung der chinesischen Infrastruktur durch US-Bomber hinzu, könnten die wirtschaftlichen Aussichten des Landes auf Jahre hinaus zunichtegemacht werden – ein wahrscheinliches Todesurteil für die Kommunistische Partei Chinas. Warum sollte man dann überhaupt an eine Invasion denken?

Es besteht keine Eile

Es kommt noch ein weiterer Faktor hinzu. Chinas Führung scheint zu dem Schluss gekommen zu sein, dass die Zeit für sie arbeitet – dass das taiwanesische Volk sich schließlich freiwillig für eine Vereinigung mit dem Festland entscheiden wird. Dieser Ansatz wird in Beijings jüngstem Weißbuch "The Taiwan Question and China's Reunification in the New Era" (Die Taiwan-Frage und die Wiedervereinigung Chinas in der neuen Ära) dargelegt, das im vergangenen August vom Büro für Taiwan-Angelegenheiten des Staatsrats der VR China veröffentlicht wurde.

Mit dem zunehmenden Wohlstand in China, so das Papier, werden die Taiwaner – insbesondere die jungen – immer größere Vorteile in der Wiedervereinigung sehen, was die Attraktivität der Unabhängigkeit oder eines "Separatismus" schwinden lässt.

Chinas Entwicklung und Fortschritt, insbesondere die stetige Zunahme seiner Wirtschaftskraft, technologischen Stärke und nationalen Verteidigungsfähigkeiten, sind ein wirksamer Hemmschuh für separatistische Aktivitäten,

… heißt es in dem Papier.

Da immer mehr taiwanesische Landsleute, vor allem junge Menschen, studieren, Unternehmen gründen, Arbeit suchen oder auf dem Festland leben, vertiefen sich die wirtschaftlichen und persönlichen Bindungen zwischen den Menschen auf beiden Seiten, was die Beziehungen über die Meerenge hinweg in Richtung Wiedervereinigung führt.

Man sollte bedenken, dass das kein kurzfristiger Ausblick ist, sondern eine Strategie, die Jahre – sogar Jahrzehnte – brauchen wird, um erfolgreich zu sein. Gleichwohl ist der größte Teil des Weißbuchs nicht den militärischen Bedrohungen gewidmet – die einzigen Teile des Papiers, über die im Westen berichtet wurde –, sondern der Stärkung des bilateralen Handels und der Steigerung der wirtschaftlichen Attraktivität Chinas für junge Taiwaner.

Auf dem Weg eines chinesischen Sozialismus hat das Festland seine Regierungsführung verbessert und ein langfristiges Wirtschaftswachstum aufrechterhalten können,

... heißt es dort.

Infolgedessen werden die Gesamtstärke und der internationale Einfluss des chinesischen Festlandes weiter zunehmen, und damit sein Einfluss auf die taiwanesische Gesellschaft und seine Anziehungskraft.

Hinter einem solchen "Take-It-Slow"-Ansatz steckt sicherlich die Erkenntnis, dass eine Militäraktion gegen Taiwan eine Katastrophe für China bedeuten könnte. Doch was auch immer die Gründe für die Planung sind, es scheint, dass die chinesische Führung bereit ist, enorme Ressourcen zu investieren, um die Taiwaner davon zu überzeugen, dass eine Wiedervereinigung in ihrem besten Interesse ist.

Ob eine solche Strategie Erfolg haben wird, ist nicht vorhersagbar. Es ist sicherlich möglich, dass die taiwanesische Präferenz für politische Autonomie das Interesse an Geschäftsmöglichkeiten auf dem Festland überwiegt, aber da Beijing darauf die Zukunft ausrichtet, scheint ein militärischer Angriff weit weniger wahrscheinlich. Und das ist etwas, was man heutzutage in einem immer kriegerischer werdenden Washington nicht zu hören bekommt.

Abwägung der Alternativen

Für Außenstehende – geschweige denn für die meisten Chinesen – ist es schwer herauszufinden, was in den geschlossenen Führungsgremien der KPCh in Beijing vor sich geht, und von allen Staatsgeheimnissen sind die Berechnungen der Führung über eine mögliche Invasion Taiwans wahrscheinlich die am besten gehüteten.

Mit anderen Worten: Es ist durchaus möglich, dass Xi und seine Top-Leute bereit sind, bei den ersten Anzeichen eines Unabhängigkeitsbestrebens der taiwanesischen Führung einzumarschieren, wie viele US-Beamte behaupten. In der Öffentlichkeit gibt es jedoch keine Beweise für eine solche Einschätzung, und alle praktischen militärischen Analysen deuten darauf hin, dass sich ein solches Unterfangen als selbstmörderisch erweisen würde.

Mit anderen Worten: Die Schlussfolgerung, dass eine Invasion unter den gegenwärtigen Umständen unwahrscheinlich ist, ist absolut vernünftig – auch wenn man das in der heutigen hektischen Atmosphäre in Washington nicht vermuten würde.

In der Annahme, dass Beijing auf eine Invasion vorbereitet ist, versorgen die Vereinigten Staaten Taiwan bereits mit modernen Waffen im Wert vieler Milliarden Dollar und stärken gleichzeitig ihre eigenen Kapazitäten, um China in einem möglichen Konflikt zu besiegen.

Leider werden solche Planungen über einen künftigen Krieg im Pazifik wahrscheinlich einen immer größeren Teil der Steuergelder verschlingen, zu immer mehr militärischer Ausbildung und Planung im Pazifik führen und, wie der Abgeordnete Gallagher und der republikanische Mehrheitsführer im Repräsentantenhaus, Kevin McCarthy, kürzlich andeuteten, zu einer immer kriegerischeren Haltung gegenüber China führen.

Ist es angesichts der begründeten und wahrscheinlichen Annahme, dass sich die chinesische Führung zumindest in nächster Zukunft gegen eine Invasion entschieden hat, nicht sinnvoll, über eine alternative Politik nachzudenken, die uns alle weniger kostet und uns alle sicherer macht?

Stellen Sie sich vor, es würde eine weniger antagonistische Haltung gegenüber Beijing eingenommen und nach Verhandlungslösungen für einige der Probleme gesucht, die die Länder voneinander trennt, darunter Chinas Militarisierung der umstrittenen Inseln im Südchinesischen Meer und seine provokativen Luft- und Seemanöver um Taiwan. Eine Verringerung der Spannungen im westlichen Pazifik könnte es dann ermöglichen, massive Erhöhungen des Pentagon-Budgets zu vermeiden und so mehr Geld für inländische Prioritäten wie Gesundheit, Bildung und Klimaschutz auszugeben.

Wenn nur ...

Dieser Artikel erscheint in Kooperation mit dem US-Magazin TomDispatch. Das englische Original finden Sie hier. Übersetzung: David Goeßmann.

Michael T. Klare ist emeritierter Professor für Friedens- und Weltsicherheitsstudien am Hampshire College und Senior Visiting Fellow bei der Arms Control Association. Er ist Autor von 15 Büchern, von denen das jüngste "All Hell Breaking Loose: The Pentagon's Perspective on Climate Change". Er ist Mitbegründer des Komitees für eine vernünftige U.S.-China-Politik.