Zentrum für digitale Geisteswissenschaften

Seite 2: Open Access und Forschungsprimärdaten

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Sie nennen auf Ihrer Website fünf Hauptziele. Die würde ich gern ein bisschen konkreter erklärt bekommen. Das erste ist die Entwicklung und Umsetzung von Open Access Modellen in Zusammenarbeit mit Verlags- und Wissenschaftseinrichtungen.

Gregor Horstkemper: Wir digitalisieren eben nicht nur alte Akademieschriften, sondern es geht ja auch darum, dass aktuelle Publikationsreihen möglichst auch im Open Access freigestellt werden.

Welche zum Beispiel?

Gregor Horstkemper: Das sind die Sitzungsberichte der Akademie, seit 250 Jahren eine spezifische Akademie-Publikationsform, unter anderem sind da wissenschaftliche Vorträge der Mitglieder der Akademie dokumentiert. Und es gibt Schriftenreihen. Hier sind wir im Gespräch mit Verlagen und planen eine so genannte Moving-Wall-Lösung. Das bedeutet, dass die Bücher zwar weiterhin im Druck erscheinen - gerade Geisteswissenschaftler wollen ja auch gern die Bücher in der Hand behalten, also auf Papier. Aber mit einem Moving Wall Verfahren wird nach einem Jahr oder länger auch die sowieso fast immer vorhandene digitale Fassung dann digital im Netz bereitgestellt. Das hängt vom Verlag ab, und es muss sich in den Gesprächen zeigen, wie realisiert werden kann, dass nach so einer Moving-Wall-Zeit auch Open-Access-Bände bereitgestellt werden können.

Laut Website sollen in Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen Einrichtungen Publikationsplattformen aufgebaut und vernetzt werden - was planen Sie da?

Gregor Horstkemper: Wir haben zum Beispiel vereinbart, dass wir in einer Arbeitsgruppe zwischen der Akademie und der BSB uns darum kümmern, welche Redaktionssysteme für digitale Projekte geeignet sind. Im Augenblick evaluieren wir eine Software namens Semantic MediaWiki. MediaWiki ist die Software, die der Wikipedia zugrunde liegt - und die Ergänzung Semantic deutet schon darauf hin, dass dieses Paket erweiterte Funktionen hat, so genannte "semantische Module", die dann die Inhalte stärker strukturieren, als das in der normalen Wikipedia der Fall ist.

Könnten Nutzer da nur lesen oder auch schreiben?

Gregor Horstkemper: Erstmal hätten nur die Redakteure Schreibzugang, sodass die Funktion als Publikationsplattform zur Bereitstellung von Informationen im Vordergrund steht. Ich persönlich hoffe, dass sich da Konstellationen ergeben, dass Wissenschaftler sagen, es interessiert uns, für Dinge, die wir hier bereitstellen, auch Rückmeldungen und Kommentare zu bekommen. Aber auf Seiten der Wissenschaft hängt man immer das Qualitätskriterium hoch und sagt, wir wollen letzten Endes über das, was wir verantworten, auch die Kontrolle behalten. Das wird wohl auch in Zukunft so sein.

Gibt es weitere derartige Projekte?

Gregor Horstkemper: Es gibt jetzt gerade relativ frisch weitere Kooperationsvereinbarungen der Akademie der Wissenschaften. Zwei sind besonders wichtig. Im einen Fall handelt es sich um die Einrichtung Monumenta Germaniae Historica, das ist die deutsche Forschungseinrichtung zur Geschichte des Mittelalters.

Die zweite Kooperationsvereinbarung wurde mit dem Collegium Carolinum abgeschlossen - auch in München angesiedelt und die deutsche Forschungseinrichtung zur Geschichte Böhmens und Mährens und der Slowakei, eine selbstständige außeruniversitäre Institution.

Und schließlich wäre da noch die Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften zu nennen. Das Wichtige ist das "bei" - das heißt, es ist eine eigenständige Stiftung, die eben nicht Teil der Akademie, aber bei der Akademie angesiedelt ist, also auch in München. In dieser Historischen Kommission sind sehr viele Historiker aus ganz Deutschland versammelt. Das ist also keine spezielle bayerische Einrichtung, sondern auch eine Forschenden-Vereinigung auf nationaler Ebene für die Geschichtswissenschaft.

Es geht aber nicht nur um bilaterale Kooperationen zwischen den zwei Institutionen Akademie und BSB, sondern auch um die projektbezogene Entwicklung digitaler Workflows, die auch anderen potenziellen Partnern zugutekommen sollen. - Haben Sie da schon Partner im Auge?

Gregor Horstkemper: Ja, wir haben jetzt gerade ein Netzwerk gegründet, Digital Humanities, Kurzform: "DHMUC". Wir brauchen demnächst ja auch eine Webseite, die wird auf der Blogging-Plattform de.hypotheses.org zu finden sein. Es hat das Ziel, in München jetzt eine umfassende Austauschplattform über Themen der Digital Humanities bzw. der Digitalen Geisteswissenschaften aufzubauen, wo sich interdisziplinär noch stärker als bisher Wissenschaftler austauschen. Neben den eben genannten Einrichtungen ist hier ganz besonders die Ludwig-Maximilians-Universität zu nennen, die bereits mit einer Reihe von Forschern im Netzwerk vertreten ist.

Es sollen auch Modelle zur Langzeitarchivierung von Daten entwickelt werden - wo liegen da die Herausforderungen?

Gregor Horstkemper: Bei der Langzeitarchivierung ist die reine Speicherung der kleinere Teil der Aufgabe. Umfassendere Systeme der Langzeitarchivierung müssen auch Formatmigration vorsehen - und es gibt die Herausforderung, für bestimmte Medien Softwareumgebungen zu emulieren. Wir reden dabei zunächst nur über Publikationen. Was aber in der Liste der gemeinsamen Aufgabenbereiche gemeint ist, sind Forschungsprimärdaten. Da wird es sehr viel komplexer, weil wir in den Geisteswissenschaften zum Teil noch davor stehen, zu definieren - und das ist jetzt kein Münchner Problem, ich denke, das ist weltweit so - also zu definieren, was sind eigentlich die Forschungsprimärdaten der Geisteswissenschaftler?

In der Meteorologie, in der Biologie, in der Chemie, hat man relativ lange schon datengetriebene Forschung, das heißt, man hat meteorologische Messstationen, man hat chemische Experimente, gewinnt daraus Daten und muss sie schon seit 20, 30 Jahren archivieren. In den Geisteswissenschaften ist nun die traditionelle Arbeitsmethode das Lesen und Verarbeiten von Büchern oder archivalischen Quellen. Künftig werden Volltext- oder Bilddaten in virtuelle Forschungsumgebungen eingespeist und dort analysiert - daraus entstehen dann die Forschungsprimärdaten, die einerseits deutlich informationshaltiger sind und mehr Struktur bieten als das, was wir zunächst einmal retrodigitalisiert haben - die andererseits aber im Regelfall nicht in dieser Form als Primärdaten publiziert werden.

Würde sich dann die ganze geisteswissenschaftliche Forschung ändern?

Gregor Horstkemper: Das ist die Hoffnung der Enthusiasten ...

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