Zuversicht in den Ghettos?

Irak: Fünf Jahre nach der Invasion

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Exakt vor fünf Jahren, am 17. März 2003, richtete der US-Präsident ein 48stündiges Ultimatum (siehe Starring: G. W. Bush, jr.) an Saddam Hussein. Zwei Tage später starteten die ersten Luftangriffe auf Bagdad (siehe Saddam war das Ziel der Luftangriffe), der dritte Golfkrieg hatte begonnen. Der englische Premierminister George Brown, Nachfolger von Tony Blair, dem europäischen Protagonisten für die Invasion, hat sich jetzt dafür ausgesprochen, eine "umfassende Untersuchung" über Fehler im Zusammenhang mit dem Militäreinsatz im Irak durchzuführen. Allerdings zu einem unbestimmten Zeitpunkt – noch sei die Lage im Irak dafür zu "fragil". In den USA diskutiert man schon seit längerem einen der folgenreichsten strategischen Fehler im Irak: die Auflösung der irakischen Armee. Jetzt stellt man fest, dass die Entscheidung über die Auflösung der Armee ohne jede Debatte mit der militärischen Spitze oder dem damaligen Außenminsiter Powell getroffen wurde, quasi coup-mäßig – nicht untypisch für die Operationen im Irak, das bald schon den Beinamen Quagmire (Sumpf) bekam (vgl. Der Anfang vom Ende).

In Zahlen sieht der Iraq-Quagmire derzeit (Stand 4.März) so aus:

  1. Getötete US-Soldaten: 3.988 (aus Iraq Coalition Casualty Report)
  2. Verwundete US-Soldaten: 29.203
  3. Getötete irakische Sicherheitskräfte 7.924
  4. Getötete irakische Zivilisten: Nach Schätzungen zwischen 81.632 und 1.120.000 (vgl. Irak-Krieg: Hunderttausend oder eine Million Todesopfer?)
  5. Irakische Binnenflüchtlinge 3,4 Millionen
  6. Iraker, die in andere Länder geflüchtet sind: 2,2 bis 2,4 Millionen
  7. Arbeitslosenquote 25-40 Prozent
  8. Geschätzte 70 Prozent der irakischen Bevölkerung haben keinen Zugang zu sauberem Wasser
  9. Geschätzte 80% leben unter mangelhaften hygienischen Bedingungen

Im März 2003 unterstützten 71 Prozent der Amerikaner den Einmarsch im Irak – laut einer Umfrage der Washington Post (aber siehe dazu auch Große Mehrheit der Amerikaner nach einer Umfrage angeblich für den Krieg). Im März dieses Jahres bietet sich ein anderes Bild: 63 Prozent der Amerikaner verneinten in einer gemeinsamen Umfrage von Washington Post und ABC News, dass der Krieg im Irak den Einsatz wert war, "the war with Iraq was worth fighting".

Gemäß einer kürzlich veröffentlichten Pew-Umfrage ist eine leichte Mehrheit der US-Bürger noch immer von einem Erfolg im Irak ("Will succeed") überzeugt: 53 Prozent gegenüber 39 Prozent, die an ein Scheitern glauben. Vielleicht begründet sich der Optimismus auch damit, dass die "öffentliche Wahrnehmung der Vorgänge im Irak seit letzten Sommer nachgelassen hat", wie Pew laut einem Washington Post-Artikel vergangene Woche feststellte - Grund: Die Medien hatten dem Irak-Konflikt weniger Aufmerksamkeit zukommen lassen. Im Februar dieses Jahres war Berichterstattung zum Irak sogar "virtuell abwesend", meint der Pew-Umfragenforschungsleiter Scott Keeter.

Etwas Optimismus will auch eine Umfrage der BBC verbreiten: Ein leichte Mehrheit im Irak, 55 Prozent, findet, dass ihr Leben gut ist, meldet die BBC heute, realtiviert das Pauschalergebnis aber schon im nächsten Satz:

While 55% of all Iraqis believe that their lives are good, only 33% of Sunnis are happy with their lives, compared with 62% of Shias and 73% of Kurds.

"Die Zuversicht im Irak wächst"

2000 Iraker wurden Ende Februar für diese Umfrage befragt, an der auch die ARD beteiligt war. Das etwas überraschendes Fazit in deutsch: "Die Zuversicht im Irak wächst" – Sunniten natürlich ausgenommen:

(...) beschreiben zwei Drittel der arabischen Sunniten ihre Lage immer noch als schlecht - mit deutlich geringerer Hoffnung, dass sich die Situation grundlegend bessern wird. Nur 12 Prozent von ihnen glauben, dass es ihre Kinder einmal besser haben werden, verglichen mit 39 Prozent in der Gesamtbevölkerung.

Interessant angesichts der Erfolgsmeldungen, die man sich aus dem Irak gerne hören will, sind zwei Erkenntnisse aus der Umfrage: Zum einen, dass sich "nur wenig" an der Stimmung gegenüber den US-Besatzungstruppen geändert hat. Anschläge auf amerikanische Soldaten werden noch immer mehrheitlich akzeptiert; den Rückgang der Gewalt will man nicht dem amerikanischen Mehreinsatz zuschreiben:

Gerade mal vier Prozent werten den Rückgang der Gewalt als Erfolg der US-Truppen. Die Verstärkung der Streitkräfte wird mehrheitlich als Verschärfung der Lage empfunden und nur jeder Fünfte (und das sind vor allem die Kurden) hat Vertrauen zu den Truppen. Entsprechend ist die Akzeptanz für Anschläge auf US-Soldaten zwar in allen Bevölkerungsgruppen zurückgegangen, mit 42 Prozent (bei den Sunniten sogar 62 Prozent) aber immer noch sehr hoch.

Zum anderen stützt auch diese Studie das Argument von Beobachtern (siehe Fragile Sicherheit), wonach eine wichtige Ursache des Gewaltrückgangs in den erfolgten ethnischen Säuberungen liegt. In Gegenden wie Bagdad (ohne Sadr City) und Basra, wo in der Vergangenheit Sunniten und Schiiten als Nachbarn lebten, würde "jeweils mehr als ein Drittel der Befragten von gewaltsamen Vertreibungen in ihrem unmittelbaren Wohnumfeld" berichten.

"Iraq is a country no more"

Darin sieht auch Patrick Cockburn, Iraq-Korrespondent des Independent, der die Veränderungen des Landes durch Krieg und Besatzung der westlichen Armeen von Anfang an beschrieben hat, eine wesentliche Entwicklung im Irak. Nur dass er so gar nichts Zuversichtliches oder Normales in den Entwicklungen erkennen will:

Die fünf Jahre Besatzung haben Irak als Land zerstört. Bagdad ist heute eine Sammlung von einander feindlichen sunnitischen und schiitischen Ghettos, die durch Betonmauern voneinander abgeschottet sind. Unterschiedliche Stadtteile - Districts - lassen unterschiedliche Fahnen wehen. Die sunnitischen Territorien benutzen die alte irakische Flagge mit den drei Strenen der Baath-Partei und die Schiiten eine neuere Version, welche die schiitisch-kurdische Regierung als offizielle Flagge bestimmt hat. Die Kurden haben ihre eigene Flagge.

Während die irakische Regierung nach außen bemüht sei, sich als Land darzustellen, in dem Normalität eingezogen ist, und es irakischen Journalisten verbiete, die weiter anhaltende Gewalt zu melden, beobachtet Cockburn den massiven Sicherheitsaufwand, den beispielsweise der irakische Premier bemühen muss, nur um die grüne Zone zu verlassen und schließt daraus, dass Bagdad die gefährlichste Stadt der Welt bleibt.