Zugvögel für den Frieden
Ein Ornithologe berichtet von den Besonderheiten der Vogelkunde in Israel
Israel befindet sich an der Nahtstelle dreier Kontinente. Was für die Politik ein Desaster darstellt, ist für Vogelbeobachter ein Garten Eden - mit 540 verschiedenen Species (darunter allein 35 verschiedene Raubvogel-Arten) einer der besten Plätze der Welt. Das bringt auch einige Probleme mit sich. Mehr als die Hälfte aller Luftunfälle in diesem Gebiet geht auf Kollisionen mit Zugvögeln zurück.
Eine Milliarde Zugvögel passieren jährlich die Landbrücke zwischen Afrika, Asien und Europa, die für den Vogelzug einen Flaschenhals darstellt wie auch Gibraltar oder der Bosporus. Viele schwere Vogelarten bevorzugen den Landweg, da sie hier den vom sonnenbeheizten Boden gebildeten thermischen Auftrieb nutzen können, der sie auf große Höhen befördert, von denen sie Kräfte sparend weiter gleiten können. Diese Vögel vermeiden das Überqueren großer Wasserflächen. Sie bevorzugen enge Täler und Gebirgsketten, über denen der Auftrieb am stärksten ist.
Der Ostafrikanischen Grabenbruch ist deshalb anziehend für Zugvögel und macht Israel zu einem internationalen Zugvogel-Verkehrsknotenpunkt. Gleichzeitig hat Israel weltweit die höchste Dichte an Kampfflugzeugen im Luftraum; und Israel verlor in den letzten 30 Jahren mehr Kampfflugzeuge durch Vögel als durch Feindeinwirkung.
Der israelische Ornithologe Yossi Leshem erzählte Fred Pearce in einem New Scientist Interview von seiner Idee, durch intensive Beobachtungen den Vogelflugverkehr über Israel zu kartieren und ein Echtzeit-Vogelvorhersage-System zu etablieren. Der Einfall kam ihm, als er nach abgeschlossenem Ornithologie-Studium ein Thema für seine Dissertation suchte. Bis dahin wurden die Vögel nur vom Boden aus, mittels Ferngläsern und Teleskopen, beobachtet. Ein Pilot schlug vor, an einem Tag mit besonders hohem Zugvogel-Verkehrsaufkommen mit einem Flugzeug aufzusteigen und sich das ganze von oben anzusehen. Leshem sprach bei der israelischen Luftwaffe wegen des Flugzeugs vor. Eher beiläufig zeigten sie ihm dort bis dahin geheime Statistiken über Kollisionen von Vögeln mit Flugzeugen über israelischem Hoheitsgebiet in den vorangegangenen zehn Jahren. Fünf Flugzeuge gingen verloren, pro Jahr waren weitere drei Kollisionen mit schweren Schäden zu verzeichnen.
Es wurden auch Möglichkeiten für eine effektive Vorhersage erörtert. Leshem sagte den Militärs, dass während zweier Wochen im Mai eine Million Wespenbussarde (Pernis apivorus) im israelischen Luftraum erwartet werden. Nicht viel später wurde er zur Luftwaffe einbestellt.
Ein Wespenbussard hatte einen Skyhawk in der Nähe von Hebron zum Absturz gebracht. Der Pilot überlebte, weil der Greif beim Eindringen ins Flugzeuginnere durch die Windschutzscheibe des Cockpits den Schleudersitz auslöste. Für Leshem ist diese Episode noch heute der Beginn seiner Karriere. Er begann seine Dissertation an der Universität von Tel Aviv – mit Unterstützung der Luftwaffe. 1983 gab Israel die Sinai-Halbinsel an Ägypten zurück, bis dahin Haupttrainingsgebiet der israelischen Luftwaffe, die sich nun schlagartig mit einem stark begrenzten Luftraum - obendrein inmitten der Wanderwege für Zugvögel - konfrontiert sah.
Israel hat eine Tradition in der Vogelbeobachtung; dieser gute Ruf zog und zieht hunderte Ornithologen aus aller Welt an. Es liegen reichhaltige Daten aus Untersuchungen vom Boden aus vor. Seit 1983 wurde auch der Radar des Ben-Gurion-Flughafens eingesetzt. Zuerst glaubten die Experten nicht an einen nutzbringenden Einsatz. Die Luftkontroll-Einheiten hatten die Empfindlichkeit des Radars so eingestellt, dass Vögel nicht erfasst wurden, um nicht zusätzliche Verwirrungen zum kontrollierten Flugverkehr hervorzurufen. Durch Neujustierungen des Radars konnten schließlich auch Vögel ziemlich gut gesehen werden.
1984 erschien die erste "Vogelplagen"-Karte. Piloten sollten den dort eingetragenen Zonen dichten Vogelflugs ausweichen. Die Karten waren zwar nicht perfekt, fanden aber Eingang in die Einsatzbesprechung der Besatzungen und wurden in den einzelnen Geschwadern während der Vogelzug-Saison ausgehängt.
Was Radar und Beobachtungen vom Boden aus nicht vermochten, war die genaue Berechnung der Flughöhen von Vogelgruppen. Die Vögel bewegen sich normalerweise auf einer von drei Routen. Aber die Flughöhe variiert in Abhängigkeit von den Wetterbedingungen. 900 Meter ist für thermik-abhängige Zugvögel eine normale Reiseflughöhe – ist die Thermik stark ausgeprägt, können es auch 3.000 Meter sein. Während stabiler Temperaturinversionen bleiben sie unter 90 Meter. Deshalb brauchen Piloten detaillierte Informationen in Echtzeit. Yossi Leshem hat nun 1.400 Flugstunden in einem motorisierten Gleitflugzeug hinter sich, in denen er mit den Vögeln flog, mit ihnen in der Thermik aufstieg und dann synchron in den Gleitflug überging, manchmal elf Stunden am Stück.
Seit der Produktion der ersten Karte ging die Kollisionsrate israelischer Militärflugzeuge mit Vögeln um 75% zurück; in den letzten 20 Jahren wurden deshalb noch zwei Flugzeuge eingebüßt. Die Luftwaffe geht neben der Bewahrung des Lebens von Piloten von gesparten umgerechnet 660 Millionen US-Dollar aus.
Zusammenstöße von Vögeln mit Militärmaschinen werden von einer Vogel-Kontrolleinheit in einer Statistik erfasst. Diese Einheit sammelt sämtliche Vogel-Überreste nach Kollisionen ein und analysiert sie; durch Abgleich mit dem eigens dafür in internationaler Zusammenarbeit geschaffenen "Bird Remains Identification System" werden unter anderem Mikrostrukturen von Federn zur entsprechenden Vogelart zugeordnet.
Heute gibt es zu Vogelbeobachtungszwecken Radarstationen in der Negev-Wüste und im International Center for the Study of Bird Migration in Latrun am Fuße der Jerusalemer Hügel. Das Überwachungssystem arbeitet in sieben Monaten des Jahres 24 Stunden am Tag, die Berichterstattungen sind mittlerweile so normal wie der Wetterbericht. Das Militär der Nachbarländer ist ebenfalls interessiert, da dort ähnliche Probleme existieren. In einem nächsten Schritt soll ein regionales Warnsystem entstehen, das die israelische, türkische und jordanische Luftwaffe verbindet.
Das Zentrum von Latrun ist einer der Pioniere im Verfolgen von Zugvögeln mittels kleiner Sender, die am Vogel befestigt werden. So wird die Wanderung von Weißstörchen (Ciconia ciconia), Gänsegeiern (Gyps fulvus) und anderen, im Sommer in Zentraleuropa nistenden Zugvögeln beobachtet und deren Rastplätze studiert und geschützt. Letztendlich verbindet Yossi Leshem mit "seinen" Vögeln auch die Hoffnung auf Frieden. Gemäß seinem Slogan: "Zugvögel kennen keine Grenzen" betrachtet er Vögel als Symbole des Friedens.
Zum Beispiel verfolgen die Ornithologen seit 10 Jahren in einem israelisch-deutschen Gemeinschaftsprojekt unter anderem auch die Wanderungen der Weißstörchin "Prinzesschen", Deutschlands berühmteste Senderstorchfrau. Sie nistet jeden Sommer bei Loburg, Sachsen-Anhalt, ca. 100 Kilometer westlich von Berlin. Bekannt wurde sie durch ihre spektakuläre Beziehung zu Weißstorch Jonas, einem Spanien-Überwinterer. Doch im letzten Jahr kam alles ganz anders.
Weitere Projekte
Es existiert eine Zusammenarbeit mit der Palestine Wildlife Society, in der die Wanderbewegungen von Störchen und besonders die eines Gänsegeiers namens Salam (arabisch für Frieden) verfolgt werden: Letzterer fliegt jedes Jahr vom Berg Karmel über Jordanien, die Negev-Wüste und Mekka zu den Nistplätzen im Jemen. Seit 1997 gibt es Verbindungen zu 250 israelischen, palästinensischen und jordanischen Schulen – ein Projekt mit finanzieller Unterstützung der US-Regierung (1,5 Millionen US-Dollar). Die Schulkinder können morgendlich online das Vorwärtskommen der markierten Zugvögel verfolgen.
1998 kamen 5.000 jüdische, palästinensische und arabische Kinder nach Latrun, um mehr über die Vögel und ihre Wanderungen zu erfahren. Mit dem Beginn der zweiten Intifada im September 2000 brachen diese Bemühungen zusammen.
Yossi Leshem hofft auf einen baldigen Frieden, um hier wieder anknüpfen zu können. Er will touristische Rundreisen zu den Vogelbeobachtungsstationen in der Region organisieren: drei in Jordanien, drei in den palästinensischen Autonomiegebieten und zehn in Israel. Momentan kommen jährlich 200.000 israelische Touristen, um die überwinternden Kraniche im Hulatal im Norden Israels zu sehen. Das sind zehn Touristen auf einen Vogel.
Einige israelische Farmer mögen die Vögel nicht, die sich von ihren angebauten Ackerpflanzen ernähren. Leshem konnte jedoch zeigen, dass wiederum Vögel wirkungsvoll Nagetierplagen eindämmen können – als Alternative zu Chemikalien. Schleiereulen stellten sich am effektivsten heraus. Durch das Aufstellen von Nistkästen in einem Kibbuz konnten hunderte Eulen angelockt werden. Ein Einzelpaar mit Nachwuchs vertilgt ca. 2.000 Nager im Jahr. Anleitungen zum Selbstbau und Aufstellen der Nistkästen erschienen in arabischer Sprache, nun gibt es auch in palästinensischen und jordanischen Farmgegenden Nistkästen.
Yossi Leshem möchte den Großen Afrikanischen Grabenbruch und seine Ausläufer von der Türkei bis nach Mosambik durch die UNESCO als Weltkulturerbe deklariert und geschützt sehen - ein 7.000 Kilometer langer Korridor für Zugvögel. Mit Äthiopien und Deutschland gibt es Pläne für die Schaffung eines Kranich-Zentrums, da besonders die Äthiopier Probleme mit Vogelkollisionen haben. Und auch die Lufthansa hat Ambitionen beim Schutz ihres Wappenvogels und tritt als Sponsor auf.
Yossi Leshem jedenfalls glaubt felsenfest daran, dass Vögel Frieden zwischen den Nationen stiften können.