Wielki Brat heißt Big Brother

Deutschland hat schon runtergespült, Polen hat erst Bauchschmerzen.

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"Kurzum: Runterspülen. Und weg damit", meinte Ernst Corinth zur letzten Folge von "Big Brother". Ob er aber mit seiner zerschmetternden Kritik Recht hatte oder auch nicht, werden nun in mehreren europäischen Ländern neue Container-Soaps vorbereitet. Neben Italien, Spanien, Portugal, der Schweiz, Schweden, Belgien und Großbritannien geht es auch um Polen.

Denn der polnische Privatsender TVN hat eine entsprechende Lizenz und bereitet sich auf die Produktion vor. Sein Sprecher, Andrzej Soltysik zu Telepolis: "Wir haben die Absicht, die Show zu realisieren, sind uns aber auch bewusst, dass es eine heikle Sache ist, und dass wir sie dementsprechend behutsam angehen sollen". Solch eine Unternehmung brauche, so Soltysik, "jede Menge Kameras und Menschen", es müsse gebaut werden, und das alles koste viel Zeit.

Der Sprecher äußerte sich ganz diplomatisch, und aus inoffiziellen Quellen kann man erfahren, warum. Selbst in Deutschland, wo die Fernsehsender viel freizügiger sind als in Polen, gab es bekanntlich mehrere Proteste gegen "Big Brother": CDU-Expertin fordert die Absetzung der Sendung, Big Brother darf weiter gesendet werden, Big Brother verletzt Menschenwürde, die sogar mit einem Sendeverbot drohten. Hier ist der Einfluss von Politikern, und - wenn nicht vor allem - der katholischen Kirche auf die Fernsehsender viel stärker. Der Landesrat für Rundfunk und Fernsehen, eine Art staatliche Aufsichtsbehörte, sprach sich bereits dagegen aus...

Doch obwohl man Ernst Corinth's Kritik an "Big Brother" nicht nur verstehen, sondern auch durchaus akzeptieren kann, wünsche ich dem TVN-Sender viel Erfolg und will mir, falls es einmal doch soweit ist, ein paar Folgen ansehen. Es ist mir nämlich ein Rätsel, wie man so etwas in Polen überhaupt realisieren kann.

Was die deutschen Zuschauer vielleicht nicht wissen: "Big Brother" war aus der Auslandsperspektive bestimmt viel interessanter. Wenn man sich nämlich für die Menschen im anderen Land interessiert, wenn man ihre Sprache versteht, dann war die Möglichkeit, Kandidaten von Thomas bis John "in action" zu sehen, schon ein Erlebnis. Selbst wenn die "Aktion" am Küchentisch oder im Garten auf der Matratze stattfand. Mehr noch: "Big Brother" hat schon seine Fans in Polen, es ist bereits sogar eine (obwohl eher miserable) Fanseite entstanden.

Kaum interessant scheint es mir dagegen, meine Landsleute in einer gleichen Situation täglich zu beobachten. Und schon ganz unvorstellbar ist es für mich, gerade in Polen eine bunte Mischung aus Kandidaten zusammenzustellen. Denn "Big Brother" von RTL2 war, ob man es will oder auch nicht, für die deutsche Gegenwart charakteristisch. Polnische Kultur, Tradition und Lebensart ist total anders. Es folgen ein paar Vergleiche:

Erstens, in Polen gibt es so gut wie keine Wohngemeinschaften, selbst der Begriff funktioniert nicht. Nur in Studentenheimen leben junge Menschen auf engstem Raum miteinander. Singles gibt es auch nicht. Menschen, die bewusst nicht heiraten, können sich nur selten eine eigene Wohnung mieten, geschweige denn kaufen, und ihr Single-Dasein wird eher geduldet als akzeptiert. Unverheiratete Frauen nennt man bis heute nicht selten abwertend "alte Jungfrau" und vermutet, "so eine" war einfach nicht in der Lage, sich einen Mann zu finden.

Es gibt auch keine Hausbesetzer, bis auf ganz arme Leute, die nur aus Not leere Wohnungen illegal besetzen - aber die wären für eine kommerzielle Fernsehserie bestimmt nicht geeignet. Nach einer jungen Frau indischer Herkunft hätte man in Polen auch sehr lange suchen müssen. Ein Kandidat mit so vielen Tatoos wie John wäre in Polen wohl schon jemand mit Knast-, aber nicht mit Fernsehknasterfahrung. Körperkult ist auch eher bei den Gangs als bei normalen Leuten verbreitet, wer sollte also in der polnischen BB-Version schon seine Muskeln spielen lassen? Ein Kandidat, der schon im Vorfeld sagt, er nehme Kondome mit in den Container, würde höchstwahrscheinlich sofort nominiert und rausgewählt. Populärer wäre vielleicht eine polnische Jana, aber wo findet denn TVN ein Mädchen, das Nacktphotos in Fußgängerzonen machen lässt und sich mit Telefonsexvermarktung beschäftigt? Der polnische Jürgen könnte von seiner Stammkneipe nicht erzählen, weil auch das in Polen kein Begriff ist. Schließlich, es gibt hier keine Verona Feldbusch oder vergleichbare Stars bzw. Sternchen, für die man im Garten eine Promi-Toilette aufstellen würde.

An polnischen Manuelas und Sabrinas fehlt es dagegen nicht. Auch mit Rauchern und Nichtrauchern klappt es bestimmt problemlos, und Polen hätte noch zwei wichtige Auswahlkriterien zu bieten. 2000 und 2001 sind nämlich Wahljahre (Staatspräsident, dann Parlament), und so könnte man 5 "Schwarze" und 5 "Rote" in einem Container einsperren. Ein Notarzt müsste aber immer in der Nähe sein. Und, last but not least, wäre auch die Religion relevant. Nur: welcher wahre Katholik lässt sich für 100 Tage einsperren, wenn er dann sonntags nicht zur Heiligen Messe gehen kann? Oder baut vielleicht TVN eine kleine Containerkapelle mit dazu?

Kurzum: Ich bin ganz gespannt. Ich will das unbedingt sehen...