Machtkampf in Frankreich spitzt sich zu

Die Proteste gegen das Arbeitsgesetz führen zu Benzin- und Stromknappheit und nun droht auch die Blockade der Fußball-Europameisterschaft

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Der Konflikt um die umstrittene Arbeitsmarktreform in Frankreich spitzt sich weiter zu. Etwa ein Drittel der Tankstellen haben keinen Sprit mehr, weil sechs der acht Raffinerien bestreikt und blockiert werden. Da nun auch 16 der 19 Atomkraftwerke bestreikt werden, ging die Stromproduktion deutlich zurück. Bis zu 70% der Betriebe geben an, bald die Werkstore schließen zu müssen, wenn die Streiks und die Blockaden der Raffinerien weitergehen. Premierminister Manuel Valls hat zwar Änderungen an der Arbeitsmarktreform in Aussicht gestellt, will aber nichts am Kern der Reform ändern. Er kündigte zudem eine "äußert harte Antwort" und damit eine weitere Eskalation an. Die Gewerkschaften antworten mit der Einbeziehung der Fußball-EM in die Streiks und Proteste.

Vielleicht sollte man vorrausschicken, bevor man auf Zuspitzung der Lage in Frankreich schaut, dass je nach Umfrage 60% bis 70% der Franzosen von der Regierung die Rücknahme des Arbeitsgesetzes fordern. Daran hat sich praktisch nicht geändert, obwohl die Streiks und Blockaden der Raffinerien inzwischen zu massiven Engpässen bei der Versorgung mit Treibstoffen und zu vielen Unannehmlichkeiten für die Bevölkerung geführt haben.

Demonstration am Donnerstag. Screenshot des CGT-YouTube-Videos

Erinnert sei ganz besonders daran, dass die Regierung für ihre Reform nicht einmal eine Mehrheit im Parlament hatte. Weil sich die Zahl ihrer sozialistischen Abgeordneten so vergrößert hat, die sich gegen das "loi travail" (Arbeitsgesetz) stellen, wurde die Annahme im Parlament unmöglich. Deshalb griff der Regierungschef zur Notbremse. Valls brach das Gesetzgebungsverfahren ab und seine Regierung griff zum Artikel 49/3 der Verfassung, um das "El-Khomri-Gesetz", benannt nach der Arbeitsministerin Myriam El Khomri, am Parlament vorbei durchzudrücken." Dieser Paragraf lässt zu, ein Gesetz ohne die Zustimmung der gewählten Vertreter als Dekret zu beschließen. Auch bürgerliche Medien sprachen dabei vom "Spiel mit dem Feuer" und einer "Holzhammermethode". Die Regierung Valls hat den 49/3 nun schon zum vierten Mal angewandt.

Es war dieses Gesetz der Arbeitsministerin, das zur "großen Sozialreform" der sozialistischen Regierung werden sollte. Doch in der Bevölkerung trifft die vor allem auf Unmut. Nach ersten Protesten der Gewerkschaften im März, entstand die französische Empörten-Bewegung "nuit debout". Weder die Gewerkschaften noch die Bewegung nehmen der Regierung ab, dass es ihr nur darum geht, das Arbeitsrecht zu "vereinfachen" und um den "sozialen Dialog" zu fördern.

Dass die Reform auch noch dekretiert wurde, hat weiter Benzin ins Feuer geschüttet. Dabei trägt sie ohnehin die klare Handschrift des neoliberalen Wirtschaftsministers Emmanuel Macron. Das Gesetz orientiert sich zudem an der "extrem aggressiven Arbeitsmarktreform" der ultrakonservativen Nachbarn in Spanien. Und auch beim Vorgehen unterscheidet man sich nicht, denn auch sie wurde per Dekret durchgedrückt. Und beim Nachbarn können die Franzosen auch leicht überprüfen, was tatsächlich geplant ist. Deshalb solidarisieren sich die Bewegungen gegen solche Reformen in beiden Ländern auch miteinander.

Nun sollen auch in Frankreich flexiblere Regelungen zu Arbeitszeiten durchgesetzt werden. Den Unternehmern soll deutlich in der Frage von befristeten Verträgen entgegengekommen werden. Der Kern des Vorhabens ist aber, viele Entscheidungen in die Betriebe zu verschieben. Und darüber wird praktisch die gesetzlich vorgeschriebene 35-Stunden-Woche ausgehebelt. Offiziell wird zwar daran festgehalten, aber gehofft wird, dass die einzelnen Belegschaften in den Betrieben weniger Widerstandskraft haben. Und dort können die Arbeitszeiten dann "flexibel" bis auf 48 Stunden pro Woche ausgeweitet werden, käme die Reform wie geplant durch. Der Arbeitstag kann dann täglich 12 Stunden umfassen. Natürlich werden, wie auch aus Spanien bekannt, der Kündigungsschutz und andere Regelungen weiter deutlich aufgeweicht , zudem sollen Abfindungen gedeckelt werden, wie hier die geplanten Maßnahmen schon einmal ausführlich beschrieben wurden: Reform für Arbeitgeber: "Gut für die Arbeitsplätze"?.

Angeblich sollen diese Reformen dazu führen, mehr Jobs zu schaffen. Über einfachere Kündigungen und geringere Abfindungen soll den Unternehmern die Angst genommen werden, neue Beschäftigte einzustellen. Die Bildungsministerin Najat Vallaud-Belkacem spricht im Interview auch davon, dass die "Chancenungleichheit zwischen denen, die schon auf dem Arbeitsmarkt sind, und denen, die Schwierigkeiten beim Zutritt haben" abzubauen. Sie meint, die Reform werde für einen "flüssigeren Arbeitsmarkt" sorgen.

Folgen der Arbeitsmarktreform in Spanien

Doch die Bildungsministerin könnte nicht nur einer spanischen Zeitung ein Interview geben, sondern könnte sich dort auch darüber weiterbilden, welche Wirkungen ähnliche Reformen beim Nachbar hatten. Hier zeigt sich nämlich, dass die Reform nach Vorbild der Ultrakonservativen auch in Frankreich wohl nicht für junge Menschen den Zugang zum Arbeitsmarkt verbessern wird. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt in Spanien immer noch bei fast 46% und die allgemeine Arbeitslosigkeit ist mit 20,4% mehr als doppelt so hoch wie in Frankreich.

In Spanien ist auch nicht eingetreten, dass billigere Abfindungen und ein praktisch abgeschaffter Kündigungsschutz unbefristete Arbeitsplätze geschaffen hätten. Nur etwa acht Prozent der Arbeitsverträge werden in Spanien noch unbefristet geschlossen. Die Zahl der Unterbeschäftigten hat sich in Spanien nach den diversen Arbeitsmarktreformen, denn zuvor hatten auch schon die Sozialisten die Axt angesetzt, seit 2008 praktisch auf mehr als 1,5 Millionen fast verdoppelt. Das hat die europäische Statistikbehörde Eurostat gerade festgestellt

Schon vier Millionen Beschäftigte haben Teilzeitverträge. Davon waren drei Millionen zudem noch zeitlich befristet. Dazu kommt, dass etwa ein Viertel dieser befristeten Verträge auf höchstens eine Woche limitiert ist. Man kann also tatsächlich von Angleichung nennen, wenn über Arbeitsmarktreformen Stammbelegschaften billig und einfach gekündigt werden. Deren Stellen werden dann durch prekäre Beschäftigte ersetzt. Das ist ein Prozess der Angleichung nach unten.

Und genau das ist es, was Gewerkschaften in Frankreich vor Augen haben, wenn sie nun seit Tagen zum Sturm gegen die Arbeitsmarktreform laufen. Hinter den Streiks und den Blockaden steht federführend die größte Gewerkschaft CGT. Seit zehn Tagen sorgen Gewerkschaftler mit Streiks und Blockaden von Raffinerien und Treibstoffdepots dafür, dass etwa ein Drittel der Tankstellen im Land entweder keinen Sprit mehr haben oder nur noch einzelne Sorten anbieten können.