Asylsuchende: Bleibeperspektive und Kriminalstatistiken

Polizei und Flüchtlinge am Münchner Hauptbahnhof, September 2015. Foto: Wikiolo/CC BY-SA 4.0

Seit Beginn der Flüchtlingskrise ranken sich Stereotype über Flüchtlinge. Was ist an ihnen eigentlich dran?

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Als sich das Kölner Amtsgericht vergangene Woche an die Presse wandte, hätte das eigentlich bundesweit Aufmerksamkeit erregen müssen. Schließlich hatten die Richter ein vorläufiges Fazit der Kölner Silvesternacht vorbereitet und damit zu jenem Ereignis, das wahrscheinlich wie kein anderes die öffentliche Meinung in der sogenannten Flüchtlingskrise prägte.

Von rund 2.000 überwiegend arabisch stämmigen Sexualstraftäter hatten Medien damals berichtet und das das Ende der Willkommenskultur beschworen. Die Bundesregierung verschärfte in der Folge das Asylrecht, vereinfachte Abschiebungen und schloss Rücknahmeabkommen mit nordafrikanischen Ländern. Ein wachsender Teil der Öffentlichkeit folgte dem Klischee vom triebgesteuerten Araber, der besser zu Hause geblieben wäre.

79 Prozent der Deutschen befürchten Anstieg der Kriminalität durch Flüchtlinge

Wenige Monate später folgte die mediale Fortsetzung: Nahezu täglich drangen Meldungen über vergewaltigende Flüchtlinge in deutschen Schwimmbädern auf Facebook-Timelines. Oder war es andersherum? Vom ansteigenden Drogenhandel bis zu Massenschlägereien in Flüchtlingsunterkünften, von Bautzen bis zur Theresienwiese hält sich bis heute das Klischee, dass Flüchtlinge stärker zur Kriminalität neigen als ihre deutsche Mitbürger.

"Im Schlepptau der ungeregelten Zuwanderung von über einer Million Asylantragsteller 2015 nimmt auch die Kriminalität in nie gekanntem Ausmaße zu" - Dieser Aussage stimmten im Januar 95 Prozent der AfD-Mitglieder in einer internen Umfrage zu. Aber nicht nur Anhänger der Rechtspopulisten sind von diesem Zusammenhang überzeugt: Eine repräsentative Allensbach-Umfrage ergab, dass 79 Prozent der Deutschen annehmen, dass durch den Zuzug von Flüchtlingen die Kriminalität in Deutschland zunehmen werde.

Die Anzahl von Flüchtlingen begangener Straftaten ist im ersten Halbjahr 2016 gesunken

Bleibt die Frage, ob das stimmt. Neigen Flüchtlinge wirklich signifikant häufiger zur Kriminalität als Deutsche? Beim Blick auf die Kriminalitätsstatistik des vergangenen Jahres fällt zunächst auf, dass nichts auffällt: Mit sechs Millionen Straftaten bewegt sich die Kriminalität in etwa auf dem Niveau der Vorjahre.

Auch die Zahl der Tatverdächtigen hat sich mit rund zwei Millionen nicht merklich verändert. Dass Flüchtlinge nicht zumindest in bestimmten Bereichen öfter straffällig werden, bedeutet das allerdings nicht. Und vielleicht ist der Grund, warum sich Straftaten von Flüchtlingen in der Gesamtstatistik nicht bemerkbar machen, einfach nur der, dass ihre Zahl zur Gesamtbevölkerung immer noch relativ gering ist.

Für die ersten sechs Monate dieses Jahres hat das BKA im Juli dieses Jahres eine Sonderauswertung mit Fokus auf Straftaten durch Zuwanderer herausgegeben. Mit einem überraschenden Ergebnis: Die Anzahl der von Flüchtlingen begangenen Straftaten ist im ersten Halbjahr 2016 um 18 Prozent gesunken. Eine Sprecherin des BKA stellte anlässlich der Veröffentlichung des Berichts fest: "Zuwanderer sind nicht krimineller als Deutsche."

Medien kritisierten allerdings im Anschluss zurecht, dass die Statistik einen solchen Vergleich nicht zulasse, da die Kriminalität von Deutschen in dem Bericht gar nicht untersucht werde.

Reporter konnten Klischee vom badenden Sexualstrafmigranten nicht bestätigen

Aber die Aussage der Sprecherin ist nicht der einzige Hinweis darauf, dass am Klischee vom kriminellen Flüchtling weniger dran ist, als viele denken. Der WDR ist einem der am meisten verbreiteten Stereotypen über Flüchtlinge nachgegangen: dem vom badenden Sexualstrafmigranten. Die Reporter fragten in den Bädern und Polizeiwachen von 30 Städten nach der Anzahl von Sexualdelikten, die Flüchtlinge begangen hatten. Das Ergebnis der Recherche: In einigen Städten gab es mehr, in anderen weniger Übergriffe als im Vorjahr.

Einen signifikanten Unterschied konnten die Reporter nicht ausmachen. Erkennbar erhöht habe sich lediglich die Sensibilität der Badegäste, die begangene Sexualdelikte häufiger zur Anzeige brächten. Und angezeigt wurden in den meisten Fällen nicht Flüchtlinge, sondern Deutsche.

Die Ergebnisse decken sich mit den Untersuchungen von Christian Walburg. Der Wissenschaftler der Uni-Münster hat 2014 dutzende Polizeistatistiken, Studien und Umfragen ausgewertet, um dem Klischee der Ausländerkriminalität auf den Grund zu gehen. Ein Ergebnis: Die Zahl der von Ausländer begangenen Sexualstraftaten haben sich seit 2008 in Deutschland erhöht. Aber ihr Anstieg ist geringer als es die Zunahme der Zahl von Ausländern erwarten lässt. Das heißt: Statistisch ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Ausländer in Deutschland eine Sexualstraftat begeht, heute geringer als vor acht Jahren.

Ob Flüchtlinge öfter oder seltener kriminell werden, hängt unter anderem von ihrer Bleibeperspektive ab

Walburg hat auch alle anderen relevanten Straftaten wie Ladendiebstahl, Sachbeschädigung oder Körperverletzung ausgewertet. Sein Fazit: Weder die ethnische Zugehörigkeit, noch die Religion hat etwas mit der persönlichen Neigung zu Kriminalität zu tun. Allerdings würden Jugendliche mit Migrationshintergrund tatsächlich öfter angezeigt, verhaftet und verurteilt - jedoch nicht, weil sie häufiger kriminell werden, sondern weil sie als Ausländer wahrgenommen werden. Wovon die eigene Neigung zur Kriminalität tatsächlich abhänge: Bildung und soziale Herkunft.

Im Auftrag des Mediendienstes Integration hat Walburg dieses Jahr speziell Straftaten von Flüchtlingen untersucht. Sein Ergebnis diesmal: Flüchtlinge begehen dann mehr Straftaten, wenn sie nur über eine "geringe Bleibeperspektive" verfügen. Jene mit "günstiger Bleibeperspektive, Zugang zu Integrationskursen, zu Bildungsangeboten und Aussicht auf Zugang zum Arbeitsmarkt" begingen weniger Straftaten als der deutsche Durchschnitt.

Bleiben noch die eingangs erwähnten vermeintlich 2.000 Sexualstrafmigranten von Köln. Aus dem Zwischenfazit, das die Kölner Richter veröffentlichten geht hervor, dass von den 159 anfangs von der Polizei identifizierten Tatverdächtigen anschließend lediglich gegen 22 im Zusammenhang mit Sexualdelikten Anklage erhoben wurde. Die Zahl der bisher vom Kölner Amtsgericht verurteilten Flüchtlinge: 2.