Dürfen Bilder von der Enthauptung des US-Journalisten gezeigt werden?

Für deutsche Medien scheint das Wort unschuldiger als das Bild zu sein

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Der Islamische Staat hat die Enthauptung des seit 2012 in Syrien gefangenen US-Journalisten James Wright Foley wie ihre anderen Grausamkeiten gefilmt und als Video über das Internet verbreitet. Die für die Kamera und damit für die Öffentlichkeit inszenierte Enthauptung diente primär als Kampfansage an die US-Regierung, nachdem diese die islamistische Terrorgruppe mit der Luftwaffe angreift. In einem weiteren Video macht IS klar, dass man sich nun Auge in Auge mit dem großen Gegner sieht und so als globaler Akteur, ja, als Weltmacht wahrgenommen werden will. Das überzeugt vor allem die Anhänger und mögliche Rekruten, aber die für die Videobilder inszenierte Enthauptung hat ihre Wirkung nicht verfehlt und hat globale Aufmerksamkeit gefunden.

Ist die Veröffentlichung des Bildes moralisch bereits verwerflich, während die Rede über die Köpfung des US-Journalisten moralisch einwandfrei ist?

Exakt für die Erzeugung einer globalen Aufmerksamkeit wurde der Journalist auch getötet, zumal die Enthauptung des Amerikaners wohl von einem Briten ausgeführt wurde. Die Schock- und Erregungswellen, die nun weltweit entstanden sind, machen aber auch deutlich, dass das Leben eines Amerikaners, also eines Menschen aus dem Westen, offenbar sehr viel wichtiger ist als das von Menschen in Syrien oder im Irak, wo der Islamische Staat schon lange äußerst brutal und auch für die Kameras Menschen hingeschlachtet, geköpft oder gekreuzigt hat. Erst wenn ein Massenmord ansteht, wacht die westliche Wertegemeinschaft auf, wahrscheinlich auch erst wirklich dann, wenn eine Macht entsteht, die die geopolitisch gewünschte Ordnung durcheinander bringt und die eigene Sicherheit gefährdet. Das ist beim Islamischen Staat schon deshalb der Fall, weil er viele Menschen aus den europäischen Ländern anzieht, die die im Nahen Osten praktizierte Barbarei reimportieren könnten.

Die deutschen Medien sehen sich nun angesichts des Enthauptungsvideos vor einem Dilemma. Das Video dient der Propaganda, ganz klar, wer es verbreitet, wird zum Helfer. Aber offensichtlich glauben deutsche Medien, dass sie dann, wenn sie das Video nicht zeigen und nicht verlinken, auch nicht mitschuldig werden, auch wenn sie über die Enthauptung und das Video berichten. Das ist Scheinheiligkeit. Die Tagesschau, die Auskunft bei anderen Medien eingeholt hat, sticht besonders hervor. Man zeigt gewissenhaft keine Bewegtbilder, sondern nur ein Standbild. Gewählt würde damit "die distanzierteste Form" dokumentarischer Berichterstattung. Gleichwohl werden und wurden andere Bilder, die vom Islamischen Staat verbreitet wurden, gezeigt. Und man berichtet auch ohne das Zeigen des Videos über dieses und die Köpfung, als ob dies nicht den Interessen der Islamisten entsprechen würde. Die Leser und Zuschauer können natürlich im Internet nach dem Video suchen, selbst wenn Twitter und YouTube versuchen, die Verbreitung zu unterbinden, während man lange nichts gegen die Propaganda des Islamischen Staats mit mindestens so grausamen Bildern unternommen hat. Heribert Prantl von der Süddeutschen sieht offenbar den wichtigsten Unterschied zwischen Wort und Bild:

"Das Kalkül der Terroristen, mit Schockbildern Furcht, Schrecken und Horror zu verbreiten, darf nicht aufgehen", erklärte "SZ"-Politikchef Heribert Prantl. "Man darf sich nicht zum nützlichen Idioten von terroristischen Verbrechern machen." Die Redaktion sei sich einig, die Bilder nicht zu zeigen. "Es ist ausreichend, die Verbrechen schriftlich darzulegen", sagte Prantl.

tagesschau

Die Deutsche Presseagentur windet sich:

"Der unmittelbare Blick auf die Todesangst eines Menschen gehört nicht in das Angebot der dpa", sagt Chefredakteur Sven Gösmann. "Entsprechende Bilder zu verbreiten, würde die Würde und Persönlichkeitsrechte des Betroffenen verletzen. Wir haben uns deshalb im Fall der mutmaßlichen Enthauptung von James Foley bewusst entschieden, im dpa-Bildfunk nur ein Foto mit verpixeltem Gesicht anzubieten sowie nirgendwo bei dpa auf das Internetvideo zu verlinken. Dass wir das Bild unseren Kunden überhaupt zur Nutzung angeboten haben, halten wir allerdings für journalistisch geboten, denn es ist ein wichtiges zeitgeschichtliches Dokument."

tagesschau

Klar sollte sein, dass man auch dann, wenn man keine Bilder oder keine Bewegtbilder verbreitet und keinen Link auf das Video setzt, die Propaganda dennoch unterstützt. Mag sein, dass die Bilder verstörender sind, aber die von den Anarchisten entwickelte Propaganda der Tat durch Anschläge lebte auch bereits davon, dass die Taten berichtet wurden, es war noch keine Propaganda des Bildes. Offenbar gehen die Medienverantwortlichen davon aus, dass sie weniger schuldig werden, wenn sie nur schriftlich oder verbal die von den Islamisten produzierte Nachricht verbreiten. Viel wirksamer wäre freilich, wenn sie es gar nicht täten. So erzeugen sie brav Aufmerksamkeit für die Islamisten, verstärken deren Bedeutung und führen dazu, dass Interessierte auf eigene Faust nach dem Video suchen. Möglicherweise wird durch das Nichtzeigen auch eine Abschreckungswirkung verhindert, die durch das Töten von Wehrlosen entstehen könnte.

Nur auf Bilder bzw. Bewegtbilder zu verzichten, scheint doch eher zu einfach zu sein, um Absolution erlangen zu können. Medien etwa in Italien oder in den USA verbreiten das Video oder einen Link zu ihm. Fragwürdig ist auch, ob die Ermordung des Journalisten im Bild dessen Würde verletzt. Ganz im Gegenteil könnte dessen Gelassenheit, dem Tod entgegenzusehen, dem Schlächter und damit dem Islamischen Staat schaden, die zeigen wollen, dass nur sie standfest für die richtige Sache einstehen. Dazu kommt, dass es fragwürdig ist, die Realität auszublenden, auch wenn sie inszeniert wurde. Sie ist trotzdem Fakt. Es wird auch sonst gerne die grausame Wirklichkeit etwa des Krieges ausgeblendet. Das dient nicht unbedingt der Moral, sondern auch Interessen, den Krieg fortzusetzen oder zu verharmlosen. Die Macht der Bilder mag stärker sein, Menschen zu beeinflussen, man sollte die Macht der Worte aber nicht unterschätzen.