Multilaterales Abkommen über Investitionen

CETA und TTIP sind keineswegs vom Himmel gefallen

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Für transnationale Konzerne ist es ein gravierendes Problem, dass sie sich in jedem Land auf spezifische Besonderheiten einstellen müssen, die auf historischen Entwicklungen oder auch landestypischen Traditionen beruhen. Sie suchen daher nach Möglichkeiten, diese Zersplitterung ihrer Absatzmärkte so weit es geht zu verhindern. Die Entwicklung der EU mit ihrem beachtlichen Binnenmarkt gehört somit zu den besonders geförderten Einrichtungen zur Vereinheitlichung der Märkte - und jede Erweiterung der EU hatte auch das Ziel der Markterweiterung.

Eine Erweiterung des europäischen Binnenmarktes war, nachdem er im Westen am Atlantik angekommen war, nur noch Richtung Osten denkbar, wo man jedoch (durch die faktisch weitgehende Verknüpfung der Binnenmarkterweiterung mit der Erweiterung der NATO) an den Grenzen Russlands stieß. Das größte Flächenland Europas und Asiens ließ sich jedoch in keine der beiden Organisationen integrieren. Und das (geografisch gesehen) periphere nordwestasiatische Anhängsel Europa hatte wenig Interesse, sich den flächen- bzw. einwohnermäßig größeren Partnern einer eurasischen Union unterzuordnen. Zu sehr hatte man in den vergangen Jahrzehnten versucht, die glänzenden Zeiten der Vereinigten Staaten von Amerika mit den vereinigten Staaten von Europa nachzuahmen. Dass die USA schon lange nicht mehr jedem Bürger die Gelegenheit bieten, sich vom Tellerwäscher zu Millionär zu entwickeln, war bei den europäischen Bewunderern im Laufe der Jahre aus dem Blickfeld geraten.

Dennoch sucht man in der inzwischen schon chronisch krisenbehafteten EU zur Erweiterung der Absatzmärkte den Schulterschluss mit Nordamerika - und zwar in der Form der beiden Freihandelsabkommen CETA und TTIP. Was derzeit für Furore sorgt, hat eine ziemlich unrühmlich gescheiterte Vorgeschichte, die Ende der 1990er-Jahre praktisch in letzter Minute auf Eis gelegt wurde. Unter dem Kürzel MAI hatte das geplante Multilaterale Abkommen über Investitionen nach ersten Indiskretionen aus Kanada im Jahre 1997 zu massiven Protesten geführt und wurde im Dezember 1998 wegen des Widerstands des damaligen französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac aufgegeben.

Das MAI, das in den Jahren 1995 - 1998 im Rahmen der OECD hinter verschlossenen Türen verhandelt wurde, war als Abkommen zwischen internationalen Konzernen, den OECD-Staaten und der EU geplant. Obwohl von der OECD angeschoben, sollte MAI auch Nicht-OECD-Mitgliedern offenstehen und deutlich über den Investitionsschutz hinausgehen, den die Welthandelsorganisation (WTO) im Rahmen ihrer Verträge garantiert hatte. Man wollte damals auch Entwicklungsländer in die Verträge einbinden, was bei TTIP weitgehend ausgeschlossen wurde. Selbst die BRICS-Staaten sollen jetzt außen vor bleiben.

Als 1997 erste Details von MAI an die Öffentlichkeit drangen, waren sowohl die Streitschlichtungsverfahren als auch die zwingende kontinuierliche Liberalisierung und Deregulierung des Handels Kernpunkte der Kritik. Beide Elemente finden sich auch den aktuell diskutierten Freihandelsabkommen.

Die Streitschlichtungsmodelle waren damals noch ein wenig stärker von staatlichen Aktivitäten geprägt, auch wenn diese im Falle der State-State-Verfahren lediglich als Werkzeug für einen heimischen Investor gegen das Zielland der Investition agieren sollten. Das in den 1990er Jahren ebenfalls schon diskutierte Investor-State-Verfahren war offensichtlich ein Vorläufer der aktuell vorgesehenen Schiedsgerichtsverfahren. Der Investor durfte in diesem Model direkt gegen das Zielland seiner Investitionen klagen, wenn er der Ansicht war, dass dieses eine der Verpflichtungen aus MAI nicht erfüllt habe. Und er war schon in den alten Entwürfen nicht an staatliche Gerichte gebunden, sondern sollte auch die Internationale Handelskammer (ICC) zur Streitschlichtung anrufen können. Diese Schlichtung sollte in jedem Falle so vor sich gehen, dass die betroffene Bevölkerung und ihre gewählten Repräsentanten außen vor blieben.

Da wie bei den aktuell diskutierten Freihandelsabkommen auch bei MAI der Schwerpunkt auf einer Liberalisierung und Deregulierung der Märkte lag, ähneln sich auch andere Vertragsklauseln: Schon damals gab es eine "Standstill"-Vereinbarung, die sicherstellen sollte, dass sich alle Unterzeichner des Abkommens verpflichten, keine Gesetze zu verabschieden, die das Ziel von Liberalisierung und Deregulierung im Handel beeinträchtigen könnten. Mit der "Rollback"-Klausel sollten sich die Unterzeichner zudem verpflichten, hinderliche Gesetze zurückzunehmen, die vor der Unterschrift unter die MAI-Verträge entstanden waren. Damit sollte sichergestellt werden, dass die Liberalisierung und Deregulierung der Märkte irreversibel fortgeschrieben werden.

Im Herbst 1998 glaubte man von Seiten der Multinationalen Konzerne noch den Widerstand der betroffenen Bevölkerung dadurch beseitigen zu können, dass man die Legitimität der am Widerstand beteiligten NGOs in Frage stellte. Nachdem das Abkommen dann am Widerstand Frankreichs gescheitert war, hatten die NGOs zwar eine Schlacht gewonnen - den Bestrebungen zur Einebnung der für den internationalen Handel relevanten Gesetzeslage tat dies jedoch keinen Abbruch. MAI ist zwar gescheitert, die dem Abkommen zugrunde liegenden Ideen werden seither aber noch energischer als zuvor verfolgt.

Gesetzliche Rahmenbedingungen, wie sie beispielsweise China kennt (wenn das Land für eine Fertigung im Lande einen bestimmten "local content" sowie die Beschäftigung einheimischer Arbeiter vorschreibt und den Investor zum Technologietransfer verpflichtet) sollen nach den Vorstellungen der Großinvestoren nicht mehr erlaubt sein. Dass man Gewinne ohne Abgaben aus dem Land der Investition abziehen darf und die Staaten für jede Beeinträchtigung dieser Gewinne schadensersatzpflichtig sein sollen, das versteht sich aus dieser Blickrichtung ebenso von selbst, wie der weitgehende Ausschluss nationalstaatlicher Gesetze und Rechtswege.

Im Gegensatz zu bislang üblichen Verfahren sollen die Nationalstaaten bei den Schiedsgerichtsverfahren offensichtlich kein Recht zur Akteneinsicht bekommen und müssen sich dem Schiedsspruch widerspruchslos unterwerfen. War im Falle von MAI eine Vertrags-Bindungsfrist von zwanzig Jahren vorgesehen, scheint man sich diesmal deutlich umfassender absichern zu wollen, indem man einen einseitigen Austritt aus dem Vertrag grundsätzlich ausschließt. Und damit es bei den aktuellen Freihandelsabkommen nicht wie 1998 auf den letzten Metern zum Scheitern des Abkommens kommen kann, hat man (wie schon beim Freihandelsabkommen der EU mit Südkorea festgelegt, dass zentrale Teile des Abkommens auch ohne Ratifizierung vorläufig in Kraft treten können, wodurch die Souveränität der Bürger in den betroffenen Staaten ziemlich rigide ausgeschaltet wird.

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