Die Grünen: Parteiferne Anstiftung

In der Ukraine-Krise prägen Teile der parteinahen Heinrich-Böll-Stiftung ein gutes Stück des Außenbildes der Grünen. Dabei treten wieder sehr spezielle transatlantische Haltungen und Verbindungen hervor, die eine lange Geschichte haben

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Merken die Politiker nicht, daß sie uns zuviel Absurditäten zumuten, wenn sie dann auch mit glücklich glitzernden Augen auf Flugplätzen und vor Regierungssitzen Fronten abschreiten, da wehen die Haare, da flattern die Fahnen, Musik erklingt - im Normalfall stupides Gefühlsgetrommel; welch ein großartiges, international abgesprochenes Täuschungsmanöver.

Heinrich Böll

Gehen wir zunächst zurück in das Jahr 2004 und nach Washington. Das dortige Büro der grünennahen Heinrich-Böll-Stiftung hatte im Dezember den ehemaligen Grünen Staatsminister im Auswärtigen Amt Ludger Volmer eingeladen:

Ich bin da, um als außenpolitischer Sprecher meiner Fraktion amerikanischen Interessenten Auskunft zu geben. Schon bei ihrer Begrüßung liefert die Böll-Büroleiterin mich ans Messer. "Er gehörte zu denen, die die Nato abschaffen wollten." Das ist zwar ebenso dumm wie falsch, verfehlt aber nicht seine Wirkung. Der Vertreter des "American Enterprise Institute" fällt über mich her. Laut, ungehobelt, pöbelnd. Ein Parteigänger der Fundamentalistentruppe rund um das Weiße Haus. Das also waren George W. Bushs außenpolitische Berater. Die Böll-Stiftung hat, aus Angst, des Antiamerikanismus geziehen zu werden, ihre Dialogstrategie sehr weit nach rechts ausgeweitet.

Ludger Volmer

Kurz zuvor, im September 2004, hatte der neokonservative Think Tank "Project For The New American Century" (PNAC), einen "Brief der Einhundert über die Demokratie in Russland" veröffentlicht. Vorsitzender des PNAC, das sich seinerzeit im selben Gebäude wie das bereits erwähnte "American Enterprise Institute" befand, war der bekannte Neokonservative William Kristol, Mitbegründer unter anderem der Berater von George W. Bush jr. Richard Perle, Mitglieder unter anderen die neokonservativen Vordenker Francis Fukuyama und Robert Kagan, sowie aus der Bush-Administration Dick Cheney, Donald Rumsfeld und Paul Wolfowitz. Das Besondere dieses Briefes ist nicht die übliche ideologische Überhöhung ("At this critical time in history when the West is pushing for democratic change around the world") des neokonservativen Programms einer "Pax Americana" mit aggressiv-offensiven militärischen Mitteln - mit den heute allseits bekannten desaströsen Folgen (siehe: Irak) -, das Besondere sind seine Unterzeichner und der Zeitpunkt.

Wladimir Putin hatte gerade seine zweite Amtszeit angetreten. In der ersten akzeptierte er unter anderem die Annäherung der baltischen Staaten an die NATO, unterstütze die USA nach 9/11, äußerte sich allerdings auch sehr kritisch gegen den Irakkrieg der "Koalition der Willigen", in den die USA mit Donald Rumsfelds "neuem Europa" (u.a. mit Polen, Ukraine und Georgien unter den zehn größten Truppenstellern) völkerrechtswidrig gezogen war.

Es ist nicht überraschend, dass unter dem Brief, der die "Partnerschaft zwischen Russland und den Demokratien der NATO und der Europäischen Union" infrage stellt, Unterzeichner wie Robert Kagan, Karl-Theodor von und zu Guttenberg, John McCain, Joseph R. Biden, Francis Fukuyama, Friedbert Pflüger oder André Glucksmann und Radek Sikorski stehen. US-Neokonservative oder Konservative der Opposition in Deutschland also, oder im Falle Sikorskis der spätere Verteidigungs- und Außenminister Polens, der nicht nur mit den USA die Installierung eines Raketen-Abwehr-Systems in Polens vorangetrieben hat, worüber das "alte Europa" Frankreich und Deutschland - immerhin Nato-Partner - weder informiert noch konsultiert wurden, sondern der später auch durch die "Enthüllung" auffiel, Putin habe 2009 dem polnischen Präsidenten vorgeschlagen, die Ukraine zwischen Russland und Polen aufzuteilen: "Das war schlicht gelogen, und Sikorski musste gehen"1 (Radoslaw Sikorski - Polens Scharfsprecher auf dem Abstellgleis).

Unter dem Brief stehen allerdings ebenso zwei bekannte Mitglieder von Bündnis 90/Die Grünen: Cem Özdemir (ab 2003 auf einem Auslandsaufenthalt in den USA als "Transatlantic Fellow" des "German Marshall Fund of the United States") und der damalige Bundesvorsitzende Reinhard Bütikofer, heute im Europaparlament und im Fachbeirat "Europa/Transatlantik" der Heinrich-Böll-Stiftung.

Zehn Jahre später. Anfang Oktober 2014, wiederum in Washington D.C. Der Konflikt zwischen dem Westen und Russland ist in der und um die Ukraine offen ausgebrochen. Europa vollführt seit Monaten einen Tanz auf der Rasierklinge eines drohenden großen Krieges. Das "Center for European Policy Analysis" lädt zu einem strategischen Forum ein, gesponsert u.a. von der US-Energie und -Rüstungsindustrie. Das Thema lautet: "Den Atlantizismus in Zentraleuropa beleben: Gefahren und Möglichkeiten". Keynote-Speakerin ist unter anderem Victoria Nuland, Ehefrau von Robert Kagan, und im US-Außenministerium für Europa und Eurasien zuständig. Die Rolle Nulands während des Umsturzes in Kiew dürfte inzwischen hinlänglich bekannt sein.2 Unter den exklusiv eingeladen Teilnehmern des Forums befinden sich keine aus Deutschland, mit zwei Ausnahmen: Marieluise Beck, Osteuropasprecherin der grünen Bundestagsfraktion und Ehefrau des Co-Vorsitzenden der Heinrich-Böll-Stiftung Ralf Fücks, sowie deren gemeinsame Tochter Charlotte Beck, inzwischen im Washingtoner Büro der Stiftung Programmdirektorin für den Bereich Außen- und Sicherheitspolitik.

Zurück in Rumsfelds "altem Europa" in Berlin. Heute veranstaltet die Heinrich-Böll-Stiftung dort eine Konferenz mit dem Titel "Ukraine, Russland und die EU - Europa ein Jahr nach der Annexion der Krim". Teilnehmer sind neben Marieluise Beck und Ralf Fücks auch Timothy Snyder, dessen Buch "Bloodlands" eine Art verspätete Geburt der Ukrainischen Nation aus einem Opfermythos heraus konstruiert, ein Buch, das unter seriösen Historikern wie Manfred Hildermeier jedoch hoch umstritten ist3, sowie der ebenfalls zum Washingtoner Forum vom Oktober 2014 geladene Direktor des Warschauer "Institute of Public Affairs" Jacek Kucharczyk und der ehemalige französische Außenminister (von 2007 bis 2010 in der Regierung Sarkozy) und Europäische Ratspräsident Bernard Kouchner, der bereits 2004 ebenfalls den Russland-Brief des PNAC unterzeichnet hatte. Ebenfalls geladen war Ludger Volmer, der sich jedoch genötigt sah, die Einladung auszuschlagen, da die Themenbeschreibung das Ergebnis der Konferenz bereits vorwegnehme: "Diese Konferenz ist Teil des Problems, nicht der Lösung", so Volmer.4 Angesichts dieser Netzwerkbildung mit US-Falken und Neokonservativen auf transatlantischem Eskalationskurs mit Russland stellen sich vor allem zwei Fragen. Zum Ersten: Was hat es eigentlich zu bedeuten, dass hierbei auf beiden Seiten des Atlantiks häufig maoistische oder trotzkistische Hintergründe auftauchen? Der PNAC-Vorsitzende William Kristol ist der Sohn des ehemaligen Trotzkisten Irving Kristol. Marieluise Beck bezeichnete sich 1983 "als Sympathisantin der Trotzkisten."5

Reinhard Bütikofer kommt ebenso aus einer maoistischen "K-Gruppe", dem Kommunistischen Bund Westdeutschlands (KBW), von dessen Chef Joscha Schmierer ist Ralf Fücks die rechte Hand gewesen, wie etwa der Mitzeichner des PNAC-Briefes André Glucksmann oder etwa auch Manuel Barroso, der als EU-Präsident wahrscheinlich einen der entscheidendsten "Fehler" in die gegenwärtige Eskalation hinein beging, als er "im Februar 2013 erklärte, ein Land könne nicht Mitglied einer Zollunion sein und zugleich einer weitreichenden Freihandelszone mit der EU angehören, die Ukraine müsse sich entscheiden."6 Elisabeth Weber aus dem bereits erwähnten "Fachbeirat Europa/Transatlantik" der Heinrich-Böll-Stiftung war sogar ein Jahrzehnt im ZK einer solchen Maoistischen Organisation.

Setzen sich hier - unter den Vorzeichen eines ideologischen Seitenwechsels - erneut Vorstellungen durch, dass die Macht stets "aus den Gewehrläufen" komme und dabei "Moskaus Sozialimperialismus" der Feind Nr. 1 sei, statt dass hier eine ehrliche Aufarbeitung der eigenen ideologischen Vergangenheit stattgefunden hat?

Und sind nicht, zum Zweiten, die persönlich-familiären Bindungen und Rollenverteilungen dabei auffallend präsent? Das Theoretiker-Praktiker-Ehepaar Robert Kagan/Victoria Nuland ließe sich so betrachtet auf dieser Seite Atlantiks in dem Ehepaar Fücks/Beck abbilden. Der eigene Nachwuchs wird dabei "herangeführt". Hunter Biden etwa, Sohn des heutigen US-Vizepräsidenten und Mitunterzeichners des PNAC-Briefes von 2004, arbeitet heute bei der Burisma Holding, einem privaten Gasproduzenten in der Ukraine.7 Anne Applebaum, die Ehefrau des bereits erwähnten Radek Sikorski, plädiert in ihren Kolumnen für die Washington Post regelmäßig für einen härteren Kurs und stellt sich jüngst auch gegen die "zu friedliche" Krisenpolitik Angela Merkels.8

"Nebenaußenpolitik" der Böll-Stiftung

Den parteinahen Stiftungen in Deutschland stehen für ihre Aufgaben erhebliche Mittel zu Verfügung. So beliefen sich die Einnahmen der Heinrich-Böll-Stiftung etwa im Jahr 2013 nach eigenen Angaben auf 51,5 Millionen Euro, fast alles aus staatlichen Zuwendungen. Zum Vergleich: die Partei Bündnis 90/Die Grünen hatte im Jahr 2012 Einnahmen von 38,4 Millionen Euro.

Dass die Stiftungen mit ihrem Geld als "diplomatische Hilfstruppen" anzusehen sind, die dabei eine "Nebenaußenpolitik" betreiben, hat die Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) bereits in einer Studie von 1998 festgestellt.9 Dabei leistet die Heinrich-Böll-Stiftung mit ihrer Zentrale, ihren Auslandsbüros und Länderstiftungen überwiegend eine wertvolle und auch gute Arbeit. Doch wird nicht gerade diese Arbeit mit den hier beschriebenen Netzwerken und eben von Teilen der Führung der Stiftung von innen heraus eher konterkariert?

Dabei ist die Kritik aus grünen Kreisen, dass Ralf Fücks mit der Stiftung, seit seiner Abwahl als Bundesvorsitzender 1990 und dann in seiner Vorstandsfunktion bei der Stiftung ab 1996, Parteipolitik betreibt und den Kurs der Grünen nach rechts zu beeinflussen sucht, nicht neu, ebenso wie die Wahrnehmung, "dass in der Stiftung lediglich ein einseitiger Diskurs der Fücks'schen Interventionsposition geführt wird", so der heutige grüne Verkehrsminister von Baden-Württemberg Winfried Hermann bereits 2010 in der Süddeutschen Zeitung.

Unterschätzt wurde bis heute wohl hingegen die weitreichende Dimension und Wirkungskraft dieser Nebenpolitik in internationalen Zusammenhängen, in der deutschen Öffentlichkeit und in die grüne Partei hinein. Unterschätzt wurde bis heute auch der neokonservative Kontext. Gute transatlantische Beziehungen sind das eine, diese sind wichtig und sollten selbstbewusst verfolgt werden, das Gleiche gilt in Bezug auf die Staaten Mittelosteuropas und für die Solidarität mit der von ihren Oligarchen ausgeplünderten und im Einflusszonengezerre der Großmächte geschundenen Ukraine.

Etwas anderes ist es jedoch für die Stiftung wie für die ihr nahe stehende Partei, derart in die Nähe der oben beschriebenen Zusammenhänge und Politiken getrieben und damit plötzlich eher auf der eskalierenden statt auf der deeskalierenden Seite eines hochgefährlichen Prozesses verortet zu werden, bis in die ideologische und historische Genese der gegenwärtigen Entwicklung hinein. Darin lediglich nur eine "Dialogstrategie" zu sehen, wie Ludger Volmer ironisch-süffisant meinte, ist zu wenig: Es ist Politik, an den Grünen und ihren Grundsätzen und Beschlüssen vorbei und dabei nicht selten in deren Namen.10

Zu wem sich die Heinrich-Böll-Stiftung in ihrer gegenwärtigen "Nebenaußenpolitik" und mit der entsprechenden Außenwirkung in dieser Hinsicht nahe erklärt, ist ihre Sache. Es ist aber eben auch in letzter Konsequenz autonome Sache der Grünen, zu wem diese sich dann selbst nahe erklären. Angesichts der sich dramatisch zuspitzenden Krisen in der Welt jedenfalls, bräuchten die Grünen nun nichts dringlicher als eine "parteinahe Stiftung für den Frieden" und weniger parteiferne Anstiftungen zu Konfrontation und Eskalation im politisch-ideologischen Umfeld der Neokonservativen sowie ökonomischer wie privater Interessenverflechtungen - und dies ausgerechnet auch noch im Namen Heinrich Bölls.

Robert Zion ist Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen, der deutschen Friedensgesellschaft sowie des Bundes für Soziale Verteidigung. Er ist zudem zur Zeit Mitglied der religionspolitischen Kommission seiner Partei. Der Spiegel nannte ihn kürzlich einen "Partei-Vordenker".