"Die SZ folgt dem technokratischen Herangehen der politischen Akteure"

Margarete Jäger und Regina Wamper über die Kommentare der SZ zu Griechenland

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Über einen Zeitraum von sechs Monaten haben die Wissenschaftlerinnen Margarete Jäger und Regina Wamper die Kommentare der Süddeutschen Zeitung (SZ) zu Griechenland untersucht und dabei festgestellt: Die darin vertretenen Meinungen orientieren sich stark an den vorherrschenden Sichtweisen, wie sie von tonangebenden Persönlichkeiten aus dem Lager der Politik in Deutschland vertreten werden.

Die Analysen von Margarete Jäger, Leiterin des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung (DISS) und der Germanistin und Politikwissenschaftlerin Regina Wamper (ebenfalls vom DISS) haben außerdem ergeben, dass sich die SZ-Kommentatoren einer bestimmten "Hintergrundfolie" bedienen, wenn sie sich mit Griechenland befassen. Die Kommentare sind von neoliberaler Ideologie geprägt, dem Begriff Reformen kommt eine ganz eigene Bedeutung zu. Im Telepolis-Interview stellen sie die Ergebnisse ihrer Analyse detailliert vor und mahnen die Medien an, die Positionen der Herrschenden kritischer zu hinterfragen.

Sie haben die Kommentare, die von Januar bis Juni in der Süddeutschen Zeitung zu Griechenland erschienen sind, analysiert. Was haben Sie herausgefunden?

Margarete Jäger: Im Großen und Ganzen haben wir durch die Analyse feststellen müssen, dass in der Süddeutschen Zeitung eine grundsätzliche Zustimmung zu der strikten Sparpolitik, die von Griechenland und seiner Bevölkerung durch Europa und hier insbesondere durch die deutsche Bundesregierung gefordert wird, formuliert wird. Insofern folgt die Süddeutsche Zeitung dem technokratischen Herangehen der politischen Akteure, mit denen sie die Krise bewältigen wollen.

Zwar werden hin und wieder auch die damit verbundenen sozialen Verwerfungen angesprochen. Diese werden jedoch als bedauerliche, aber notwendige Konsequenz einer insgesamt als vernünftig angesehenen Politik bewertet. Die Krise wird als eine "griechische Krise" bewertet, die allerdings für den gesamten Euro-Raum gefährlich ist, weil etwa durch einen Grexit die restlichen Euro-Länder in einen Krisenstrudel hineingezogen werden können.

Die Perspektive, die auf die neue griechische Regierung eingenommen wird, ist stark von patriarchalischen Zügen durchsetzt. Die Sprecherpositionen gleichen denen eines Vaters, der seinem unerfahrenen und teilweise ungehorsamen Kind sagt, was zu tun und zu lassen ist.

In Ihrer Analyse ist davon die Rede, dass in den SZ-Kommentare stark mit "Auf- und Abwertungen" gearbeitet wird. Wer wird auf- bzw. abgewertet und: Wie sieht diese Auf- und Abwertung aus?

Regina Wamper: Bei der Problembeschreibung der Krise von der SZ ist uns aufgefallen, dass verschiedene Dichotomien bedient werden, mit denen die von Ihnen erwähnten Auf- und Abwertungen stattfinden.

Zum Beispiel wird Griechenland den anderen Euro-Staaten entgegengestellt und damit nahegelegt, dass dieses Land nicht selbst Teil der Euro-Staaten sei. Auch werden die konservativ und sozialdemokratisch geführten Regierungen der Euro-Länder der linken griechischen Regierung gegenübergestellt. Das ist umso erstaunlicher, weil die politischen und ökonomischen Positionen, die von Tsipras formuliert wurden, selbst als sozialdemokratische Urgesteine verstanden werden können.

In diesem Zusammenhang wird dann eine weitere Dichotomie aufgerufen: Der Syriza-Regierung wird unterstellt, dass sie ihre Politik vor allem auf die Gefühlslage der griechischen Bevölkerung aufbaue - mitunter wird ihr auch Populismus vorgeworfen -, während ihre Euro-Partner ein rationales Handeln und Vorgehen praktizierten.

Margarete Jäger: Wir haben noch weitere Auf- und Abwertungen herausgefiltert. Die Euro-Partner-Länder, allen voran die deutsche Bundesregierung in Gestalt von Angela Merkel und Wolfgang Schäuble werden in den Kommentaren positiv beschrieben, wobei durchaus in einigen Kommentaren auch Kritik an ihnen geübt wird. Doch wird die Führungsrolle, die Deutschland bei der Bewältigung der Krise eingenommen hat als notwendig angesehen.

In einem Kommentar, der am 21.3.2015 unter der Überschrift "Führung aus der Not" erschien, schreibt Daniel Brössler: "Die Kanzlerin hat die Verhandlungen nicht an sich gerissen, sondern sich der Verantwortung ergeben." Und weiter heißt es dann: "Die Frage, warum es die deutsche Kanzlerin sein muss, lässt sich daher mit der Gegenfrage beantworten: Wenn nicht sie, wer dann?"

Gehen wir Ihre Analyse der Reihe nach durch: Bereits bei der Beschreibung des Problems gibt die SZ eine bestimmte Richtung vor. Wie sieht diese aus?

Margarete Jäger: Wie gesagt, die SZ schließt sich in ihren Bewertungen der in Europa und Deutschland dominanten Auffassung an, nach der eine Austeritätspolitik alternativlos sei. Das bedeutet nicht, dass keine Kritik an den politischen Akteuren geäußert wird. Doch es ist eher eine Kritik im Detail. Man solle es halt mit dem Sparen auch nicht übertreiben. Oder es wird auch darauf hingewiesen, dass die früheren griechischen Regierungen von den europäischen Institutionen nicht gründlich genug kontrolliert worden seien, weshalb ihnen für die derzeitige Situation auch eine Mitverantwortung zugeschrieben werden müsse. Im Fokus der Kritik steht jedoch die derzeitige griechische Regierung, deren Wahl aus dieser Perspektive nicht als ein "normales" Wahlereignis wahrgenommen wird, sondern als ein Resultat von Fehlern der Vergangenheit.

Regina Wamper: Außerdem vollzieht sich die Diskreditierung der Syriza-Regierung teilweise über extremismustheoretische Argumente, wenn die "bedrückende[n] Schnittmengen zwischen links und rechts" angesprochen werden - wie dies z.B. in einem Kommentar von Constanze von Bullion geschieht. Ironisierend konstatiert sie: "Der selbsternannte Robin Hood der Schuldenkrise, regiert jetzt mit der nationalistischen Anel." (30.1.2015) Eine ähnliche Argumentation vertritt Claus Hulverscheidt am 28.1.2015, wenn er von der "zwielichtigen Koalition aus Links- und Rechtspopulisten" schreibt.

Eine weitere Diskursstrategie verortet Syriza in den Bereich der linken Ideologie, womit gleichfalls eine Abwertung verbunden ist. Die Rede ist dann etwa von "ideologischen Banner- und Bedenkenträgern"; Syriza wird als eine Partei beschrieben, die "sich erst vor sehr kurzer Zeit von der politischen Sekte zur Volkspartei gemausert" habe. (30.4.2015)

Solche Bewertungen schließen nicht aus, dass die Wahl von Syriza auch als Chance für einen Neuanfang wahrgenommen wird. Allerdings schleicht sich dann ein doch sehr patriarchaler Ton in die Kommentierung ein. So wird die Regierung von Tsipras als eine "Truppe" bezeichnet, die von "Regierungsdingen nur wenig Ahnung" habe. Vor allem der damalige Finanzminister Varoufakis wird als "unverschämt" und "unerfahren" disqualifiziert. Er sei kein erfahrener Politiker, doch "offenbar so an sich selbst orientiert, als wäre er einer". (16.3.2015)

Margarete Jäger: Anzumerken ist allerdings, dass trotz solcher persönlichen und politischen Diskreditierungen in der SZ die "Ressentiments des Boulevards" (16.3.2015) kritisiert werden und sie sich tatsächlich an der Debatte um Varoufakis Mittelfinger nicht beteiligt.