UK: Brexit-Befürworter fast so stark wie -Gegner

Politik Merkels befördert britisches Unbehagen an der EU

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Bis 2017 will der britische Premierminister David Cameron sein Wahlversprechen einlösen und sein Volk darüber abstimmen lassen, ob das Vereinigte Königreich in der EU bleibt oder austritt. Unmittelbar nach der Unterhauswahl am 7. Mai lag der Anteil der Brexit-Befürworter in einer Umfrage der Daily Mail bei nur 33 Prozent - gegenüber 51 Prozent, die für einen Verbleib in der EU stimmen wollten. 16 Prozent zeigten sich unentschieden. Ipsos ermittelte im Juni sogar 66 Prozent EU-Befürworter, 22 Prozent Gegner und 12 Prozent Unentschiedene.

Die Umfragen aus dem September vermitteln ein ganz anderes Stimmungsbild: Das von der Mail on Sunday beauftragte Survation-Institut ermittelte unter 968 Befragten mit 40,2 zu 39,7 Prozent nur mehr einen hauchdünnen Vorsprung der EU-Befürworter. Hätte man - wie in anderen Umfragen - gerundet, wäre sogar ein Gleichstand herausgekommen. ICM kam kurz danach auf 43 Prozent EU-Anhänger, 40 Prozent EU-Gegner und 17 Prozent Unentschiedene.

Das gewandelte Stimmungsbild dürfte auch mit einem veränderten Deutschlandbild zusammenhängen: Die Politik Angela Merkels kommt - ebenso wie in vielen anderen EU-Ländern - auch in Großbritannien nicht gut an - und zwar sowohl in der Politik (wo Premierminister David Cameron und Innenministerin Theresa May kritisieren, dass die Massenaufnahme von Asylbewerbern vor allem Schlepper und Glücksritter begünstigt und dass man Syrern lieber in den Flüchtlingslagern in der Türkei, dem Libanon und Jordanien helfen sollte, wo sich nicht jeder einen Schlepper leisten kann und wo alle gleichmäßig davon profitieren) als auch in den Medien.

Der Spectator titelte unlängst "Merkel's tragic mistake" und zeigte dazu auf dem Cover eine Karikatur der deutschen Bundeskanzlerin als singende und harfespielende Loreley, vor deren Rheinfelsen ein Schiff versinkt und ertrinkende Menschen zurücklässt. In Texten im Heft wird unter anderem ausgeführt, warum die scheinbar großzügigen Verlautbarungen der Kanzlerin das Leben von Menschen gefährden, die sich nun auf dem Weg nach Europa machen.

Auch beim öffentlich-rechtlichen Sender BBC berichtet man anders als ARD und ZDF: Das fängt bei der Wortwahl an, wo das neutralere "Migrants" öfter verwendet wird als das emotional aufgeladene "Refugees" ("Flüchtlinge"). Darüber hinaus zeigt der Sender mit der langen Objektivitätstradition auch Szenen junger Männer, die an der ungarischen Grenze Steine und Flaschen auf Polizisten werfen und diese mit Tritten attackieren.

Die bipolare Nation

Kommentatoren wie Melanie Phillips von der Times kritisieren vor allem, wie selbstverständlich die deutsche Regierung ohne Zustimmung oder Rücksprache mit anderen EU-Mitgliedsländern EU-Regelungen wie die Dublin-Abkommen für außer Kraft gesetzt erklärt. Diese von deutschen Medien weitgehend als selbstverständlich hingenommene und wenig hinterfragte Hau-Ruck-Politik interpretieren sie als undemokratisch und als Zeichen einer deutschen Hegemoniestellung, bei der sich Parallelen zur Vergangenheit aufdrängen.

Dieses Unbehagen findet sich zunehmend auch in Medien anderer Länder: Der Ha'aretz-Autor Benny Ziffer, wünschte sich vor Kurzem etwas weniger Mitgefühl und etwas mehr Logik in der deutschen Politik. Warum ihm das derzeitige Mischverhältnis Angst macht, erklärte er auch mit der Geschichte seiner eigenen Vorfahren:

Sein Großvater musste Anfang des 20. Jahrhunderts aus Istanbul nach Österreich flüchten, wo er "mit offenen Armen aufgenommen wurde". Aber so herzlich dieses Willkommen war, so bipolar extrem schlugen die Emotionen und die von ihnen geleitete Politik später um - und die Familie musste wieder zurück nach Istanbul flüchten. Deshalb hofft er, dass die Syrer, die jetzt nach Deutschland kommen, nicht auch einmal Opfer dieser Gefühlsbetontheit werden.

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