Proxy-Krieg in Syrien?

Während Russland die syrische Armee unterstützt, schaffen die USA eine neue Allianz in Nordsyrien und schließen sich in Homs und Hama von den USA unterstützte gemäßigte und islamistische Gruppen zusammen

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In Syrien haben sich durch die russische Intervention zugunsten des Assad-Regimes die Machtkalküle verändert. Die syrische Armee scheint durch die russischen Angriffe wieder vorrücken zu können. Auf der anderen Seite hat sich eine neue Koalition gefunden, die "Syrischen Demokratischen Streitkräfte", die allerdings weniger gegen Assad als gegen den IS antreten. Sie bestehen aus der YPG und einigen arabischen Gruppen wie Burkan al-Furat und arabischen und christlichen Stämmen.

Die Kurden in Syrien werden allmählich zu einer entscheidenden Größe. Schon während des Hussein-Regimes haben die USA sie besonders geschützt und eine Kurdenenklave im Nordirak entstehen lassen, die sich vom Restirak abgekoppelt hat und nach der lange praktizierten Autonomie auf einen selbständigen Staat zustrebt. Zurückdrehen lässt sich das wohl nicht mehr.

YPG-Kämpfer sollen Fahrzeuge des IS bei Kobane und von al-Nusra in Aleppo zerstört und "Terroristen" getötet haben. Bild: YPG

In Syrien hat die mit der PKK verbundene YPG an der türkischen Grenze ein größeres Gebiet gesichert, unterbrochen wird es von einer Region, die die Türkei gerne zu einer Flugverbotszone ernennen würde, um so ein durchgehend kurdisch kontrolliertes Gebiet zu verhindern. Die Kurden hatten mit dem Assad-Regime ebenso eine Art Stillhalteabkommen, wie es Assad längere Zeit mit dem Islamischen Staat gepflogen hat. Die USA haben, wohl zusammen mit der Türkei und einigen Golfstaaten Oppositionsgruppen unterstützt, die sowohl gegen den IS als auch gegen Assad gekämpft haben. Die USA und andere Nato-Staaten sahen auch in den Kurden einen Bündnispartner im Kampf gegen den IS, in dem aber das Assad-Regime ausgespart wurde, obgleich dieses für weit mehr Opfer in der Zivilbevölkerung verantwortlich ist als der IS.

Während manche in Europa für Verhandlungen mit Russland und Assad plädieren, um realpolitisch eine Übergangslösung zu ermöglichen, will Moskau mit seinen Luftangriffen die Macht von Assad stärken, um ihn zumindest erst einmal zu einer unverzichtbaren Größe für eine politische Größe zu machen. Da die russischen Flugzeuge Stellungen aller Oppositionsgruppen an den Rändern der von der syrischen Armee kontrollierten Gebiete angreifen, darunter auch solchen, die von den USA oder anderen Ländern der US-Koalition unterstützt werden, scheint in Syrien nun ein Proxy-Krieg zwischen diesen und den von Russland unterstützten Kräften auszubrechen.

Wie gestern bekannt wurde, warfen US-Flugzeuge erstmals nach Kobane wieder 50 Tonnen an Munition (Patronen und Handgranaten, wie es heißt) über Nordsyrien ab, um dort die gegen den Islamischen Staat kämpfenden kurdischen, christlichen und sunnitischen Gruppen aufzurüsten. Zudem haben sich angeblich syrische Oppositionsgruppen, die von den USA bzw. der CIA unterstützt werden, angesichts der russischen Angriffe verstärkt mit dem syrischen al-Qaida-Ableger al-Nusra in der Provinz Homs zusammengeschlossen. Solche Kooperationen gab es immer wieder einmal, die Fronten sind nicht abgesteckt, die kämpfenden Gruppen verhalten sich oft weniger ideologisch - wie dies vor allem der IS macht -, sondern pragmatisch.

Jetzt sollen mehr als 40 Gruppen ein Bündnis eingegangen sein. Mahmoud Allouz, ein Sprecher der Freien Syrischen Armee in Homs, die u.a. mit den islamistischen Gruppen Ahrar al-Sham und der al-Nusra-Front ein Bündnis eingegangen ist, wird von der WSJ zitiert, dass man sich für die kommende Schlacht wappnen will. Das syrische Regime ziehe, unterstützt durch die russischen Luftangriffe, Streitkräfte in der Region zusammen. Auch in der Provinz Hama sollen sich kleinere, von den USA unterstützte Gruppen der Fatih-Armee anschließen, einer Koalition, zu der auch Ahrar al-Sham und al-Nusra gehören. Die CIA hatte diese Gruppen über Saudi-Arabien mit TOW-Antipanzerraketen ausgestattet.

Die neuen Koalitionen erleichtern es Russland, gegen alle Oppositionsgruppen vorzugehen, weil es praktisch keine gemäßigten Oppositionsgruppen mehr in Syrien gebe. Und die Koalitionen erschweren es den USA, die russischen Luftangriffe zu kritisieren, während eine Wiederholung des Afghanistan-Szenarios droht, wo die USA auch Islamisten gegen die sowjetischen Truppen aufbaute. Werden weiterhin die mit den Islamisten verbündeten "gemäßigten" Kräfte mit Waffen oder anderweitig unterstützt, wird der Kampf gegen den islamistischen Terrorismus fragwürdiger denn je. Schon länger ist auch die rechtliche Grundlage der US-Regierung für den Krieg in Syrien in Frage gestellt, denn Präsident Obama beruft sich dabei auf die Kriegsermächtigungen gegen al-Qaida und gegen Hussein. Im Kampf gegen den Islamischen Staat wurde der al-Qaida-Ableger al-Nusra, auch weil er mit anderen Oppositionsgruppen zusammenarbeitet und als "weniger schlimm" als der IS gilt, bereits von Angriffen ausgenommen. Dafür wurde zur Legitimation eine ominöse Gruppe namens Khorasan angegriffen, die angeblich al-Qaida angehören soll. Manche der von den USA ausgebildeten Kämpfer liefen mit ihren Waffen beim Übertritt von der Türkei nach Syrien auch gleich zu al-Nusra über.

Wenn sich nun die Oppositionsgruppen mit den islamistischen und al-Qaida-Verbänden im Kampf gegen den IS und Assad zusammenschließen, wird die Frage entstehen, ob die USA das Risiko eingeht, weiter Waffen zu liefern. Das würde eben bedeuten, direkt in einen Proxy-Krieg an der Seite von Islamisten einzusteigen, was den Konflikt mit Russland und seinen Verbündeten noch weiter eskalieren lassen würde. Noch scheint der Nachschub zu fließen, berichtet die New York Times, die einen Rebellen in der Provinz Hama zitiert, der sagte, sie würden alles schnell bekommen, was sie anforderten. Sie müssten nur die Zahlen angeben. Noch allerdings erhalten sie offenbar noch keine Luftabwehrwaffen. Die werden aber wieder von den Oppositionsgruppen dringend angefordert, um sich gegen die Angriffe der syrischen und jetzt auch der russischen Flugzeuge verteidigen zu können.

YPG- und YPJ-Einheiten sollen, so eine Meldung vom 12.10., bei Afrin drei al-Nusra-Führer gefangengenommen haben. Bild: YPG

Vermutlich werden nun von den USA die "Syrischen Demokratischen Streitkräfte" verstärkt unterstützt, um die Risiken zu mindern, die mit den neuen Koalitionen zwischen Gemäßigten und Islamisten drohen. Der Verband sieht sehr nach einem Konstrukt aus, das vor allem dazu dienen dürfte, die Unterstützung der kurdischen Milizen der YPG etwas zu verschleiern, um Konflikte mit der Türkei und den Golfstaaten sowie der sunnitischen Bevölkerung in Syrien und im Irak zu dämpfen. Die Allianz kündigte bereits an, auf Raqqa, die syrische Hauptstadt des IS, vorrücken zu wollen. Aber die Allianz könnte auch schnell wieder auseinanderbrechen. Amnesty wirft in einem Bericht, der pünktlich zu der von den USA kräftig geförderten Entstehung der Allianz erschienen ist, den kurdischen YPG-Kämpfern vor, schwere Menschenrechtsverletzungen begangen zu haben (Amnesty International wirft Kurden Vertreibung von Arabern vor). Und die YPG kämpft zumindest in der Provinz Aleppo auch gegen al-Nusra und Ahrar al-Sham, was dazu führen könnte, dass die von den USA geschaffene Allianz nun auch gegen die von den USA unterstützten "gemäßigten" Gruppen kämpft, die sich mit den Islamisten zusammengetan haben.