Die magische Kugel des Allen Dulles

Dulles-Biograph David Talbot sieht den sinistren CIA-Direktor als Mastermind des Kennedy-Mords

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Wohl nur wenige Menschen haben die Weltpolitik im 20. Jahrhundert so wie Allen Welsh Dulles geprägt - dennoch machen Historiker möglichst einen Bogen um den mächtigen Spionagechef. Während des Zweiten Weltkriegs manipulierte Dulles die Informationslage der USA, machte weiterhin Geschäft mit Nazis und bereitete den Kalten Krieg vor. Im Nahen Osten und in Südamerika erledigte er für die Öl- und Agrarindustrie die Drecksarbeit und legte damit den Grundstein für die dort feindselige Haltung gegen die USA. Als im eigenen Land ein Präsident dem Establishment nicht mehr patriotisch genug war, griff Dulles offenbar ein weiteres Mal in den Lauf der Geschichte ein.

Tabu-Thema Allen Dulles

Als der Autor dieser Zeilen 2007 zu seiner Telepolis-Biographie über Allen Dulles recherchierte, war insbesondere in deutscher Sprache nur wenig zu finden. Auch Tim Weiner fasste in seinem 2008 auch auf deutsch erschienenen Werk CIA - Die ganze Geschichte Dulles nur mit Samthandschuhen an und streifte das Kennedy-Attentat allenfalls am Rande. Als David Talbot in seinem gefeierten Werk Brothers den erbitterten Stellungskrieg zwischen den Kennedys und dem damals ultrarechten Pentagon nachzeichnete, sparte auch Talbot die Kennedy-Morde und die Personalie Allen Dulles weitgehend aus - wohl, um nicht in den Ruch eines Verschwörungstheoretikers zu geraten.

Diese Auslassungen füllt Talbot nun in The Devil‘s Chessboard mit einer Biographie über den Mann, den er aufgrund einer beeindruckenden Indizienkette für das Mastermind hinter dem Kennedy-Mord hält: Allen Dulles. Das umfangreiche Buch besteht jeweils zu einem Drittel aus Dulles‘ Kriegsabenteuern, seiner Rolle bei Aufbau und Leitung der CIA und dem Kennedy-Mord. Von der Fülle der bislang nicht oder kaum bekannten Details soll hier nur ein geringer Teil aufgegriffen werden.

Der Spion, der seine Präsidenten betrog

Allen Welsh Dulles (1893-1969) stammte aus einer angesehenen Ostküstenfamilie. Sowohl sein Großvater als auch sein Onkel fungierten jeweils als US-Außenminister. Seine Karriere als Diplomat in Europa krönte der Princeton-Absolvent bei den Verhandlungen zu den Versailler Verträgen. Danach trat er in die von seinem Bruder John Foster Dulles geführte Industriebank Sullivan&Cromwell ein, über welche die Wallstreet praktisch das gesamte Außenhandelsgeschäft abwickelte. Sullivan&Cromwell warb für Anleihen zur Refinanzierung des Deutschen Reichs und vertrat deutsche Firmen, fungierte etwa als US-Generalrepräsentant für das Chemiekartell IG Farben. Dulles wurde Schatzmeister der Republikanischen Partei. Besonders gut mit den Dulles-Brüdern verstanden sich die Rockefellers (Standard Oil), der Nazi Henry Ford und der Unternehmer Prescott Sheldon Bush.

Alan Dulles. Bild: National Archives and Records Administration

Die tief in das Deutschlandgeschäft verstrickte Bank verwandte sich gegen einen Kriegseintritt der USA, ebenso der auch im Rüstungsgeschäft operierende Börsenspekulant Joseph Kennedy. Nachdem ein Kriegseintritt wegen des Angriffs auf Pearl Harbour politisch nicht mehr abzuwenden war, trat Allen Dulles in den von der Wallstreet aufgebauten unkonventionellen Kriegsgeheimdienst OSS ein, der in den Räumen des Rockefeller-Centers gegründet worden war. Dulles betrieb in der eingeschlossenen Schweiz ein nur mäßig geheimes Spionagebüro, von wo er seine Kontakte in die deutsche Geschäftswelt und Politik nutzte.

Dabei beschaffte er nicht nur Informationen aus Deutschland, sondern machte weiterhin Geschäfte mit deutschen Unternehmern, die nach Kriegseintritt US-Amerikanern verboten waren. Dulles bereicherte sich u.a. an anrüchigen Goldgeschäften und finanzierte damit faktisch den Gegner mit dessen Raubgold. Aus mehreren Quellen erfuhr Dulles vom Holocaust, gab diese Informationen jedoch nie weiter. Die Nachricht vom industriellen Massenmord hätte in den USA durchaus auch die öffentliche Meinung beeinflussen können. So waren in den USA jüdische Flüchtlinge dort ähnlich unwillkommen wie derzeit syrische. Als Dulles 1962 abdanken musste, machte er es seinem Nachfolger zur Auflage, seine damaligen Aktivitäten nicht zu untersuchen.

Kalter Krieg

Wie viele im US-Militär war auch Dulles der Meinung, dass man statt gegen Deutschland besser mit den Deutschen gegen die nun geschwächte Sowjetunion kämpfen sollte. So verhandelte er Jahre vor Kriegsende mit Hitler-kritischen Deutschen aus Wirtschaft und Militär über eine Kapitulation, obwohl ihm dies der Präsident ausdrücklich verboten hatte. Manche sehen Dulles Eigenmächtigkeiten als den eigentlichen Beginn des Kalten Kriegs.

Dulles schleuste denkbar hochbelastete Nazis aus und brachte sie später im US-Geheimdienst unter. Um die Nachkriegsgesellschaft zu kontrollieren, empfahl der Diplomat das Umwerben der Eliten und hofierte diese in deutsch-amerikanischen Netzwerken (Grüne und Linke auf der Atlantik-Brücke). Zu Dulles wichtigsten Kontakten gehörte der ehemalige Nazi-General Reinhard Gehlen, der ein Jahrzehnt einen US-Geheimdienst mit deutschem Personal führte und diesen 1956 zum Bundesnachrichtendienst umfirmierte.

Dulles setzte sich 1947 für die Gründung der CIA ein. Dem von der dilettantischen Cowboytruppe OSS angewiderten Präsidenten Truman spiegelten die Befürworter vor, man installiere lediglich eine Agentur, um die in Washington kursierenden Informationen über das Ausland zentral zu sammeln. Erneut hatte Dulles seinen amtierenden Präsidenten hintergangen, denn Dulles reaktivierte praktisch wieder das OSS. Statt lediglich zu spionieren, manipulierte die CIA 1948 etwa die italienischen Wahlen, um die Kommunisten kurz zu halten.

Die in der Republikanischen Partei einflussreichen Dulles-Brüder gewannen Kriegsheld Eisenhower als Präsidentschaftskandidaten, der nach seiner erfolgreichen Wahl John Foster Dulles zum Außenminister und Allen Dulles zum CIA-Direktor machte. Damit lag die US-Außenpolitik in jeder Hinsicht in den Händen der ultrakonservativen Wallstreet-Banker, die von Kommunismus wenig hielten und die Welt in den Kalten Krieg führten. Ihre Positionen bei Sullivan&Cromwell und damit das Mandat der Wallstreet behielten die Brüder.

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