Frankreich: Hunderttausend gegen neues Arbeitsgesetz auf der Straße

Gewerkschaften, Schüler- und Studenten demonstrieren eine tief sitzende Enttäuschung über die linke Regierung

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Die französischen Sozialdemokraten an der Regierung stehen schon lange im Verdacht, dass sie dem früheren SPD-Kanzler Schröder nacheifern und einen allzu arbeitgeberfreundlichen Kurs einschlagen.

Mit dem Entwurf zum neuen Arbeitsgesetz gibt die sozialistische Partei für viele nun endgültig zu erkennen, dass sie einer neoliberalen Ausrichtung folgt. Das Gesetz sei absurd, so die Meinungswebseite AgoraVox, ein Projekt des "partizipativen Journalismus", ein "Angriff der Oligarchie".

Bei den ersten Demonstrationen am 9. März gegen das El-Khomri-Gesetz, benannt nach der Arbeitsministerin, folgten Hunderttausende dem Aufruf von Gewerkschaften. Gestern waren es zwischen 69.000 (Innenministerium) und 150.000 (Studentengewerkschaft Unef).

Die Zahlenangaben bei Demonstrationen und Protesten variieren wie immer je nach Perspektive. Die höchsten Zahlen nennt die World Socialiste Website, nämlich zwischen "250.000 bis 450.000 Arbeiter und Jugendliche" für den 9. März, wohingegen bürgerliche Medien von etwa 100.000 berichten.

Schaut man sich das Protestaufgebot etwas genauer an, so relativiert sich der Eindruck, den die hohen Zahlen zunächst erwecken: Die hunderttausend demonstrierende Schüler und Studenten gestern verteilten sich auf mehrere Orte in ganz Frankreich, Paris, Lyon, Bordeaux, Toulouse, Rennes, wo dann jeweils nur ein paar Tausende gezählt wurden.

Mehr "Flexibilität" zugunsten der Unternehmen

Für die Gewerkschaften ist es diesmal besonders wichtig, dass sie einen möglichst großen Protest mobilisieren können, denn die Arbeitsrechtreform der Regierung zielt gegen den Einfluss der Gewerkschaften in Unternehmen. Es ist eine Machtprobe. Der Entwurf des neuen Arbeitsgesetzes, benannt nach der zuständigen Ministerin El Khomri, sieht u.a. vor, dass innerbetriebliche Abstimmungen gesetzliche Vorgaben zur Arbeitszeit und mit Gewerkschaften ausgehandelte Vorgaben überstimmen können.

Dreh- und Angelpunkt für die Regierung ist mehr "Flexibilität" zugunsten der Unternehmen. Sie sollen bei Bedarf die wöchentliche Arbeitszeit auf 48 Stunden, die tägliche auf 12 Stunden erhöhen können, ohne dabei mit den gesetzlichen Bestimmungen zur 35-Stunden-Woche zu kollidieren.

Statt gesetzliche Hindernisse in einer großen nationalen Debatte zu klären, hoffte die Regierung darauf, dass ihr Weg, solche Diskussionen in die Unternehmen zu verlegen, auf weniger Widerstand trifft. So wird pro forma die 35-Stunden-Woche beibehalten, in Wirklichkeit aber arbeiten Angestellte nach in Unternehmen vereinbarten Zeiten. Die Diskussionen bleiben in den Betrieben.

Für die Angestellten kann dies dazu führen, dass sie aufgrund ihrer Sorge um den Arbeitsplatz, eher nachgeben, als wenn sie sich auf eine gesetzlich überall verbindliche Vereinbarung stützen können. Mit der Gesetzesreform hängt ihre Unterstützung bei der Frage nach der Arbeitszeiten sehr viel mehr als zuvor davon ab, wie gut Gewerkschaften in den Betrieben vertreten sind.

Keine Sicherheit durch befristete Arbeitsverträge

Zu den flexiblen Regelungen der Arbeitszeiten kommen noch einige andere Reformen hinzu, die Kündigungen betreffen, die Erleichterung von betriebsbedingten Kündigungen, neue Regelungen zu den Abschlagszahlungen und zu Bereitschaftsdiensten und - was die Schüler-und Studenten besonders aufregt - Veränderung bei den Vorgaben zu befristeten Arbeitsverträgen. In Summe werden sämtliche Regelungen im Sinne der Arbeitgeber verändert, wie schon bei anderen vorgängigen Reformgesetzen und -vorhaben der PS-Regierung (vgl.Link auf 43587).

Im Mittelpunkt stehen verlässlich die Unterminierung des Kündigungsschutzes, wie das auch die EU-Kommission von Frankreich forderte (Frankreich: Druck auf Löhne und Kündigungsschutz). Beliebtes Instrument flexibler Unternehmenspolitik sind die befristeten Arbeitsverträge, die nicht selten nur wenige Wochen laufen. Die Regierung kommt den Arbeitgebern hier sehr entgegen. Hollande will sein Versprechen halten, dass die Arbeitslosigkeit in seiner Amtszeit zurückgeht.

Für die Schüler- und Studenten geht es bei den Protesten um die Unsicherheit, die mit der Aussicht auf vor allem befristete Arbeitsverträge verbunden ist. Der große "Verdruss" reicht aber über die Reform des Arbeitsrechts hinaus. Das sei nur der letzte Tropfen, werden sie wiedergegeben. Die Enttäuschung über die linke Regierung sitzt Stimmungsberichten zufolge tief. Der Cursor wandere unter dieser Regierung immer weiter nach rechts, wird beklagt, der andauernde Ausnahmezustand sei ein Beleg dafür.