Wehrsportgruppe Hoffmann und Gladio

Die Grünen fordern von der Bundesregierung Auskünfte zum Oktoberfest-Attentat

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Am 26. September 1980 explodierte auf dem Münchner Oktoberfest eine Bombe, durch die 13 Menschen ums Leben kamen und Hunderte teilweise schwer verletzt wurden. Obwohl unter anderem Zeugenaussagen auf mehrere Täter hindeuteten, wurden die Ermittlungen damals mit dem Ergebnis abgeschlossen, dass der Geologiestudent Gundolf Köhler den Anschlag, bei dem er selbst ums Leben kam, im Alleingang verübte.

Die Recherchen des Historikers Daniele Ganser und des Journalisten Tobias von Heymann1 warfen in den letzten Jahren zahlreiche neue Fragen zu diesem Ereignis auf, von denen die Bundestagsfraktion der Grünen nun einige der Regierung vorlegte. Gleichzeitig will der Münchener Rechtsanwalt Werner Dietrich, der ein direktes und mehrere indirekte Opfer des Attentats vertritt, bei der Bundesanwaltschaft erreichen, dass die Ermittlungen mit "neuen kriminaltechnischen Erkenntnismöglichkeiten" wiederaufgenommen werden.

Letzteres dürfte sich allerdings insofern als schwierig erweisen, als nach Angaben des bayerischen Justizministeriums "keinerlei Asservate mehr vorhanden" sind, an denen Materialherkunfts- oder DNA-Tests vorgenommen werden könnten. Alle Gegenstände seien nämlich "entweder vernichtet oder zurückgegeben" worden. Bemerkenswert ist diese Auskunft nicht nur deshalb, weil man damals beträchtliche 1.500 Beweisstücke sicherstellte, sondern auch, weil eigentlich gerade die Asservaten aus einem so spektakulären Fall die Kriterien für Archivwürdigkeit erfüllen müssten. Man wird sehen, ob die Anfrage einer Bundestagsfraktion hier andere Antworten zu Tage bringt, als sie das bayerische Justizministerium der Presse gibt.

Neben Beweisstücken könnten allerdings auch die etwa 1.800 Zeugenaussagen und rund 100 Gutachten zur Gewinnung neuer Erkenntnisse genutzt werden, weshalb die Grünen auch wissen wollen, was aus diesem Material wurde.

Zwei Schwerpunkte der Anfrage sind die Wehrsportgruppe Hoffmann und die Gladio-Strukturen. So möchte die Partei beispielsweise wissen, wer die vom der Generalbundesanwaltschaft nach dem Attentat vernommenen Mitglieder der von Karl-Heinz Hoffmann gegründeten Organisation waren, was bei den Durchsuchungen und Verhören heraus kam und woher der damalige bayerische Innenminister Gerold Tandler seine Einschätzung hatte, dass "alle Ermittlungen" dafür sprächen, "dass die Angehörigen der Wehrsportgruppe Hoffmann schuld sind an diesem Massenmord auf der Wies'n". Die Einschätzung, dass der Anschlag "durch rechts-extremistische Kreise inszeniert" war, sollen damals auch zwei Bonner Staatssekretäre geteilt haben, deren Identität die Bundestagsfraktion klären lassen will.

Aufklärung erhofft man sich außerdem über mögliche Verbindungen Hoffmanns zu den Olympia-Attentätern von 1972 sowie zur Herkunft des Geldes dieser Gruppe und zu den in- und ausländischen Kontakten mit anderen Organisationen - besonders zu solchen im südlichen Afrika, im Nahen Osten und in Italien. Auch zu den 20 Rechtsextremisten, die dort nach dem Attentat angeblich als Verdächtige festgenommen wurden, und zu einem Bekenneranruf der "Rechten von Bologna" will man Genaueres wissen. Weiterhin von Interesse sind für die Grünen die Rolle des mutmaßlichen BND-Agenten Udo Albrecht, der Doppelmord an Shlomo Levin und Frida Poeschke sowie der Foltermord an Kai-Uwe Bergmann.

Die Fragen zu Gladio und den Stay-Behind-Strukturen stützen sich zu einem großen Teil auf die bei der Birthler-Behörde gelagerten Akten der DDR-Staatssicherheit, die Wolfgang Schäuble vernichten lassen wollte. Dort finden sich unter anderem Berichte darüber, dass unter Anleitung und mit Hilfe westlicher Geheimdienste "im Zeitraum 1966 bis in die 70er Jahre hinein in Norwegen, Dänemark, Schweden und Finnland Waffenlager angelegt, Pläne für die Sprengung von Verkehrsknotenpunkten und Großbetrieben sowie Putschpläne ausgearbeitet und so genannte Antikommunistische Aktionsgruppen gebildet" wurden. Hinsichtlich dieser Spezialkräfte für den "subversiven Kampf" wollen die Grünen wissen, ob die Bundesregierung ausschließen kann, dass Organisationen wie die Deutschen Aktionsgruppen, die Aktionsfront Nationaler Sozialisten, der Heimatschutzverein Eifel, die Braunschweiger Gruppe oder die Wehrsportgruppe Hoffmann an solchen Strukturen beteiligt waren.

Ebenfalls in den MfS-Akten finden sich Hinweise darauf, dass eine italienische Terrorgruppe namens Kampf gegen den Kommunismus in einem "geheimen NATO-Stützpunkt auf Sardinien und in einem Lager in Bayern ausgebildet" und mit Waffen aus Westdeutschland ausgestattet wurde. Unter anderem deshalb enthält das offizielle Auskunftsersuchen auch Fragen dazu, inwieweit der Bundesnachrichtendienst, der im sardinischen Sassiri eine Residentur unterhält, in solche Aktivitäten verwickelt war.