Prof. Dr. Plagiat

Ein neuer Skandal um die wissenschaftliche Autorenschaft in pharma-finanzierten Veröffentlichungen

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Im Zuge von Schadensersatzklagen in den USA sind nun Materialien an die Öffentlichkeit geraten, welche die Unabhängigkeit biomedizinischer Forschung untergraben. Die Dokumente sprechen dafür, dass manche Wissenschaftler für von den Pharmaunternehmen angefertigte Artikel ihren Namen hergaben, ohne einen wesentlichen Forschungsbeitrag geleistet zu haben. Neben den damit für den Lebenslauf gewonnenen Auszeichnungen strichen manche dieser Gastautoren sogar zusätzlich Honorare ein. Durch die Veröffentlichung von Fachartikeln, die im Wesentlichen auf den Interessen der Pharmakonzerne beruhen, können im Ernstfall Menschenleben gefährdet werden. Redakteure der Open-Access-Zeitschrift PLoS Medicine fordern daher, mit strengeren Auflagen für die Veröffentlichung wissenschaftlicher Arbeiten gegen diese Entwicklung vorzugehen, um die Integrität der Forschungsliteratur zu wahren.

Die Veröffentlichung des geistigen Werks eines Anderen unter eigenem Namen gilt in akademischen Kreisen als großer Verstoß gegen die wissenschaftliche Redlichkeit. Wird einem Akademiker beispielsweise in seiner Doktorarbeit ein Plagiat nachgewiesen, kann dies auch Jahrzehnte später noch zum Einzug der Urkunde und damit zum Verlust des akademischen Grads führen. Das Ansehen vor den Kollegen wäre damit zunichte, die akademische Reputation unwiderruflich beschädigt.

Universitäten versuchen, durch Unterricht im wissenschaftlichen Arbeiten sowie den Einsatz spezieller Software zum Aufspüren von Textkopien gegen Plagiate vorzugehen. In der September-Ausgabe der Open-Access-Zeitschrift PLoS Medicine berichten die Redakteure jetzt von einem Skandal, der im Zuge eines Gerichtsverfahrens gegen den international tätigen Pharmakonzern Wyeth ans Tageslicht gekommen ist.

Ghostwriting: Ein gut gehütetes Geheimnis

In dem Prozess geht es um das Medikament Prempro, das im Rahmen einer Hormonersatztherapie bei Frauen in den Wechseljahren Anwendung fand. Der Nutzen dieser Therapie ist unter Wissenschaftlern jedoch umstritten. Vor allem wegen möglicher Nebenwirkungen sind Hormonersatzpräparate in die Kritik geraten, was sich negativ auf deren Umsatz auswirkte. Wie beispielsweise die New York Times berichtet, hatte eine 2002 veröffentlichte Studie, welche die Einnahme bestimmter Hormone mit einem erhöhten Risiko für Brustkrebs, Herzerkrankungen und Schlaganfällen in Zusammenhang brachte, eine dramatische Auswirkung auf die Verkaufszahlen entsprechender Präparate. So sei die Anzahl der Verschreibungen der von Wyeth vertriebenen Medikamente Premarin und Prempro in den USA von über 60 Millionen im Jahr 2001 auf etwas mehr als 10 Millionen im Jahr 2008 zurückgegangen.

Vor dem Bezirksgericht in Little Rock, Arkansas, führen nun betroffene Frauen gegen den Pharmariesen eine Klage auf Schadensersatz. Dabei sind 1.500 Dokumente daraufhin untersucht worden, ob Wyeth spezialisierte Autoren dafür angeheuert hat, beeinflusste wissenschaftliche Artikel anzufertigen und diese anschließend unter dem Namen anerkannter Forscher zu veröffentlichen. Einem Gesuch, diese Dokumente im Interesse der Allgemeinheit zu veröffentlichen, ist der zuständige Richter inzwischen nachgekommen. PLoS Medicine hat diese nun in einem eigens dafür eingerichteten Wyeth Ghostwriting Archive online gestellt, damit andere die Praktiken des Pharmakonzerns einsehen können.

Den Redakteuren zufolge belegen diese Dokumente, dass Wyeth spezialisierte Unternehmen wie DesignWrite, nach eigener Darstellung der „Marktführer in medizinischer Kommunikation“, damit beauftragte, Artikel nach eigenen Wünschen anzufertigen. Erst anschließend seien akademische Autoren gesucht worden, unter deren Namen die Studien veröffentlicht werden konnten. Die Namen der eigentlichen Verfasser würden in den Veröffentlichungen nicht mehr vorkommen. In PLoS Medicine wird zudem moniert, dass die Redakteure wissenschaftlicher Zeitschriften sowie die Universitäten vor dem Problem die Augen verschlossen oder es zumindest nicht nachdrücklich genug in Angriff genommen haben. Das habe zum Aufbau einer profitablen Industrie des Ghostwriting durch Pharmakonzerne, Unternehmen für medizinische Kommunikation und Bildungseinrichtungen geführt.

Wyeth ist kein Einzelfall

Für diese Annahme sprechen weitere Fälle, die unter ähnlichen Umständen an die Öffentlichkeit geraten sind. So haben im April letzten Jahres eine Reihe medizinischer Forscher angesehener Universitäten ihre Erfahrungen im Prozess um den Wirkstoff Rofecoxib des Pharmariesen Merck im Journal of the American Medical Association (JAMA) veröffentlicht. Die Mediziner waren als Sachverständige hinzugezogen worden, um die Risiken des Medikaments zu beurteilen. Rofecoxib ist ein entzündungshemmendes Mittel, das 1999 unter anderem zur Behandlung von Arthrose und akuten Schmerzen zugelassen, 2004 aber aufgrund von Gesundheitsrisiken vom Markt genommen wurde. Auch hier geht es um immense Summen: Der Konzern habe mit dem unter dem Handelsnamen Vioxx vertriebenen Medikament jährlich bis zu $2,5 Milliarden eingenommen, berichtet die New York Times.

Im Zuge zweier im US-Bundesstaat New Jersey laufender Gerichtsverfahren um Schadensersatz hatten die Kläger nun Zugriff auf mehrere Millionen Dokumente des Pharmakonzerns, die in einer Datenbank archiviert wurden. Mit speziellen Suchalgorithmen haben die Sachverständigen daraus schließlich 250 auswählen können, die Informationen über die Autorenschaft der wissenschaftlichen Berichte über die Wirkung des Medikaments enthielten. Darin fanden sie Hinweise darauf, dass wissenschaftliche Mitarbeiter von Merck klinische Studien entwarfen, durchführten, auswerteten, schrieben und erst dann für die Veröffentlichung Akademiker hinzuzogen. Obwohl anschließend nur noch minimale Änderungen vorgenommen worden wären, hätten diese bei den publizierten Artikeln die Spitzenpositionen erhalten. Dieses Muster habe man bei 16 von 20 untersuchten Artikeln feststellen können.

Auch Merck pflegte Kontakte zu spezialisierten Unternehmen, die Manuskripte zur Veröffentlichung vorbereiteten. Das belegt Schriftverkehr zwischen dem Pharmakonzern und Scientific Therapeutics Information, nach eigener Darstellung ein Kooperationspartner der pharmazeutischen Industrie und medizinischer Verbände, der seine Dienste zur „Entwicklung wissenschaftlicher Literatur“ schon seit 1985 anbietet. Ein anderes Dokument belegt, wie das Unternehmen Health Science Communication Merck für das Anfertigen eines zwanzigseitigen Artikels $23.841 berechnet. Dort ist präzise festgelegt, wie viele Abbildungen und Tabellen enthalten sein sollen, wie viele Überarbeitungsschritte man durchführen wird und dass die Dienstleistung das Schreiben des Manuskripts bis hin zum Einreichen bei einer Zeitschrift umfasst.

Die sachverständigen Wissenschaftler verweisen außerdem auf Hinweise darauf, dass manchen Akademikern Honorare zwischen $750 und $2.500 angeboten wurden, um als Autoren für die von Merck in Auftrag gegebenen und von anderen Unternehmen angefertigten Manuskripte aufzutreten. Es gebe kaum Hinweise darauf, dass diese Akademiker neben minimalen Überarbeitungen wesentlich zu den Publikationen beigetragen hätten – damit dürften sie nach den Kriterien des International Committee of Medical Journal Editors überhaupt nicht als Autoren auftreten. Darüber hinaus hat die Untersuchung ergeben, dass die veröffentlichten Artikel oft keine Angaben über finanzielle Unterstützung durch den Pharmakonzern machten. Normalerweise müssen solche Interessenkonflikte angegeben werden.

Eine Gruppe um Peter Gøtzsche vom Nordic Cochrane Center in Kopenhagen nutzte keine Gerichtsverfahren, sondern die Unterlagen einer Ethikkommission über Studien aus den Jahren 1994 und 1995, um die Frage des Ghostwritings in Artikeln zu untersuchen, die durch industrielle Unternehmen eingeleitet worden waren. Ihre Untersuchung, die 2007 in PLoS Medicine veröffentlicht wurde, schätzt die Rate auf 75% bis 91%, je nachdem, wie streng die angelegten Kriterien sind. Für ihre Arbeit verglichen sie die ursprünglich in den Ethikanträgen angegebenen Namen mit denjenigen, die letztlich in den veröffentlichten Artikeln vorkamen.

Allgemeine Untersuchungen zur Verbreitung dieser Praktiken sind rar. Schließlich lässt es sich nicht ohne Weiteres nachweisen, dass ein Ghostwriter hinter der Arbeit steckt und die genannten Autoren kaum einen Beitrag geleistet haben. Redakteure von JAMA haben 1998 zusammen mit Wissenschaftlern die Ergebnisse einer Befragung veröffentlicht, derzufolge 19% der untersuchten medizinischen Arbeiten Gastautoren aufwiesen, 11% Ghostwriter und 2% beides. Nature berichtete kürzlich von einer Konferenz in Vancouver, auf der es um das wissenschaftliche Publikationswesen ging. Eine dort vorgestellte Studie mit 600 Autoren habe ergeben, dass bei knapp 8% der Artikel Ghostwriter im Spiel waren. Diese Zahlen sind aber nur bedingt aussagekräftig, da sie auf den freiwilligen Angaben der Autoren beruhen. Unangenehme Aussage zu vermeiden, war bei den Befragungen also kein Problem.

Verzerrung von Forschungsergebnissen

Diese Einzelfälle werfen ein Licht darauf, mit welchen Praktiken Pharmakonzerne die wissenschaftliche Literatur beeinflussen. Jedoch beschränken sich die Versuche nicht darauf, die eigenen Arbeiten unter dem Namen anerkannter Wissenschaftler zu publizieren. So berichtete diesen April The Australian, bei Merck habe man eine Liste von Ärzten geführt, die sich kritisch über das Arthrose-Medikament geäußert hätten. Diese habe man „neutralisieren“ oder „diskreditieren“ wollen. Ganz konkret wird ein Merck-Mitarbeiter mit der folgenden Aussage zitiert: „We may need to seek them out and destroy them where they live.“

Auf wissenschaftlichere Quellen kann sich Benjamin Djulbegovic von der University of South Florida berufen. Er untersucht, inwiefern sich die 2005 von JAMA eingeführten, verschärften Richtlinien für die Publikation industriell geförderter Studien auf die Veröffentlichungen auswirken. Seitdem fordert die medizinische Zeitschrift, dass solche Artikel von unabhängigen Statistikern auf ihre Korrektheit überprüft werden. Der Anteil der Studien mit industrieller Förderung sei seitdem von 60% auf 47% gesunken. Als eine mögliche Interpretation dieser Daten nennt der Forscher, dass Unternehmen, die etwas zu verbergen hätten, nun JAMA meiden würden. Es könne aber auch sein, dass man schlicht die mit den zusätzlichen Analysen verbundenen Kosten vermeiden wolle.

Bei Ghostwritern und Gastautoren handelt es sich aber nur um eine Möglichkeit, wie die wissenschaftliche Landschaft verzerrt werden kann. Gerade mit Blick auf pharmazeutisch-medizinische Forschung ist immer wieder von einer Benachteiligung negativer Ergebnisse die Rede. Wenn ein negatives Ergebnis, dass beispielsweise ein Medikament nicht besser ist als sein Vorgänger oder bei einer bestimmten Erkrankung nicht hilft, erst gar nicht veröffentlicht wird, dann ist die vorhandene Literatur positiv verzerrt. Zwar gibt es inzwischen zumindest in den USA Versuche, dem entgegenzuwirken. So müssen klinische Studien seit 2007 bei ClinicalTrials.gov registriert werden. Damit lässt sich zumindest prinzipiell überprüfen, wie viele der negativen Befunde nicht an die wissenschaftliche Öffentlichkeit vordringen.

Sylvain Mathieu von der Universitätsklinik in Paris und seine Kollegen berichten in einer kürzlich in JAMA veröffentlichten Studie jedoch davon, dass 54% der von ihnen untersuchten Arbeiten nicht richtig registriert wurden. Für 28% der Artikel habe die Registrierung völlig gefehlt, bei dem Rest sei sie nach dem Abschluss oder mit unklarer Zielvorgabe erfolgt. Selbst von den 46% der korrekt eingetragenen Arbeiten weise etwa jede Dritte leichte Abweichungen zwischen den eingetragenen und veröffentlichten Ergebnissen auf. Aber auch die besten Versuche zur Erfassung der Studien nutzen nicht viel, wenn negative Ergebnisse nach wie vor nicht veröffentlicht und damit der wissenschaftlichen Gemeinschaft zugänglich gemacht werden. Ohne ein Umdenken der entsprechenden Zeitschriften werden Negativbefunde nämlich nach wie vor meistens nicht publiziert.

Lösungsvorschläge

Damit sind vor allem die Fachzeitschriften dazu aufgerufen, verbindliche Standards für die Veröffentlichung vorzugeben, um unerwünschte Praktiken wie Ghostwriting, Gastautorenschaft und die positive Verzerrung der Ergebnisse zu vermeiden. Die Redakteure von PLoS Medicine fordern beispielsweise rigorosere Angaben über die Autorenschaft. Für alle, die an einem Artikel mitgearbeitet hätten, solle eine klare Aussage über den individuellen Beitrag getroffen werden. Die Zeitschriften sollten darauf verweisen, dass Ghostwriting einen ernsthaften Bruch mit der Ethik wissenschaftlicher Studien bedeute und bestraft werde. Würde sich im Nachhinein ein Verstoß gegen diese Vorgaben ergeben, müssten die betroffenen Arbeiten zurückgezogen, die Institutionen der Akademiker informiert und die Schuldigen von zukünftigen Veröffentlichungen in den jeweiligen Zeitschriften ausgeschlossen werden.

Das Problem sei deshalb besonders ernstzunehmend, da vor allem im medizinischen Bereich durch eine Verzerrung der wissenschaftlichen Ergebnisse großer Schaden entstehen könne. Insbesondere vor dem Hintergrund der zunehmenden Schwierigkeiten bei der Entwicklung neuer Medikamente würden durch die enge Verzahnung zwischen der pharmazeutischen Industrie, der wissenschaftlichen Gemeinschaft und der Fachzeitschriften Ideale wie Wahrheit und die Freiheit von verzerrenden Einflüssen aus den Augen verloren.

Kommentar

Es dürfte kein Zufall sein, dass mit PLoS Medicine gerade ein Open-Access-Journal vehement gegen die Verzerrung von Forschungsergebnissen vorgeht. Die Initiative der Public Library of Science, wofür PLoS steht, ist von früheren Redakteuren etablierter Fachzeitschriften mitgetragen worden, die mit der vorherrschenden Publikationskultur in den Wissenschaften unzufrieden waren. Natürlich hat auch PLoS ein Interesse an öffentlicher Aufmerksamkeit, im Gegensatz zu vielen anderen Zeitschriften arbeiten ihre Redakteure aber kostendeckend und nicht profitorientiert. Hier ist man eher dazu bereit, die hehren Ideale der Wissenschaftlichkeit hochzuhalten.

Die Tatsache, dass es überhaupt so viele Dienstleister gibt, die für Geld und zumindest in einem Fall schon seit 1985 wissenschaftliche Studien anfertigen, belegt eine gewisse Verbreitung dieser Praxis. Die Pharmakonzerne profitieren im Wettstreit um Marktanteile, wenn positive Berichte über ihre neuen Medikamente veröffentlicht werden. Die Wissenschaftler profitieren im Wettstreit um Stellen und Forschungsgelder, wenn sie als verantwortliche Autoren genannt werden. Schließlich profitieren auch die Zeitschriften im Wettbewerb um Popularität und Einfluss, wenn in ihnen relevante Funde berichtet werden. Es verlieren aber die Patienten, die aufgrund verzerrter Ergebnisse Medikamente verschrieben bekommen, die mit größeren Risiken einhergehen; und wenn diese Praktiken im Zuge von Gerichtsverfahren an die Öffentlichkeit gelangen, verwandelt sich der erzielte Profit schnell in einen Verlust.

Dabei dürften die Pharmafirmen die Kosten für Schadensersatz schon einkalkulieren. Die Zeitschriftenverlage können die Schuld von sich weisen. Vor allem dürfte mit diesen Enthüllungen aber die Reputation der Wissenschaftler beschädigt werden, die für solche Praktiken ihren Namen hergeben. Außerdem stellt sich die Frage, wie man seine Studenten glaubwürdig am Abschreiben hindern möchte, wenn sich an anderer Stelle schon eine professionelle Industrie zum Anfertigen von Plagiaten organisiert hat. Insgesamt erleidet aber die gesamte wissenschaftliche Gemeinschaft vor allem im biomedizinischen Bereich einen Schaden, wenn sich beeinflusste und neutrale Forschung nicht mehr voneinander unterscheiden lässt. Damit wird die Grundidee der Wissenschaft unterwandert, einen Fundus an verlässlichem Wissen bereitzustellen. Die Verantwortung liegt dabei letztlich beim Wissenschaftler, seinen Namen dafür herzugeben oder auf die weitere Publikation im Lebenslauf zu verzichten.