Das unwerte Hartz IV-Leben

Soziologieprofessor Gunnar Heinsohn will die Unterschicht finanziell austrocknen, weil die zu viele gesellschaftlich wertlose Kinder in die Welt setzt

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Die Kinder von Hartz IV-Empfängern sind minderwertig, sie sind dümmer und fauler als die Kinder von anderen deutschen Müttern und ihre Ausbildungsfähigkeit steht in Frage. Sie werden in Zukunft den hohen Qualifikationsanforderungen der Gesellschaft nicht mehr genügen. Diese Kinder entstammen einer Unterschicht, die sich durch Sozialhilfe immer mehr vergrößert und hemmungslos vermehrt und den Leistungsträgern auf der Tasche liegt. Das ist eine Gefahr für Deutschland. Während sich die Unterschicht so vermehrt, bekommen die deutschen Frauen der Leistungsträger zu wenig Kinder. Der Staat muss also das weitere Kinderkriegen der Unterschicht verhindern, indem man deren Angehörigen die Lebensgrundlage entzieht. Deutschland braucht diese minderwertigen Kinder nicht, sondern es braucht die sozial wertvollen Kinder der Karrierefrauen.

Dies ist, komprimiert zusammengefasst und im Klartext, die Aussage von Gunnar Heinsohn. Dies ist 65 Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus der Inhalt eines Gastkommentars. Dieser stammt nicht von irgendeinem bösartigen Verwirrten, sondern von einem deutschen Professor für Sozialpädagogik an der Universität Bremen. Dieser Zeitungsartikel erschien nicht in einem rechtsextremen Schmutzblatt, sondern in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Dieser Artikel kann als Volksverhetzung gelten.

Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, zum Hass gegen Teile der Bevölkerung aufstachelt oder zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen sie auffordert oder die Menschenwürde anderer durch angreift, dass er Teile der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

Paragraph 130 des Strafgesetzbuches

Am Anfang des 21. Jahrhunderts sind Arbeiter und Arbeitslose sozial verwundbar wie kaum zuvor. Ihre Organisationen sind geschwächt, ihre Führer korrumpiert, ihr Selbstbewusstsein ist verblasst und die Mächtigen fürchten sie nicht mehr. Die Deiche, so die beiden französischen Soziologen Stéphane Beaud und Michel Pialoux in ihrer Untersuchung über "Die verlorene Zukunft der Arbeiter. Die Peugeot-Werke von Sochaux-Montbéliard", die die Arbeiterbewegung im Laufe der Zeit errichtet hatte, um sich der Ausbeutung zu widersetzen, sind weitgehend unterspült. Die Folge: "der Dünkel, die Arroganz und die verschiedenen Formen der Geringschätzung gegenüber den 'Subalternen', die lange Zeit durch die bloße Existenz einer (institutionalisierten) politischen Arbeiterkultur gezügelt wurden, treten nun offen zu Tage und verbreiten sich in Fällen hemmungslos".

Es ist hemmungslos, was Vertreter einer neuen Rassen- und Klassenhygiene sich trauen, in Deutschland öffentlich von sich zu geben. Hartz IV-Empfänger und ihre Familien spielen inzwischen die Rolle einer Bevölkerungsgruppe, auf die man mittlerweile anscheinend ungestraft verbal einschlagen und ihr die Lebensgrundlage absprechen kann. "Sozialhilfe auf fünf Jahre begrenzen", um so die Unterschicht zu dezimieren, das ist der grandiose Vorschlag des Sozialpädagogik-Professors. Was danach kommt, wovon dann Kinder und Eltern leben sollen, diese Frage bleibt er freilich schuldig. Die Sprache des Professors ist dabei eine neue Sprache der Verurteilung unwerten Lebens, fehlt uns doch "nicht das vierte bildungsferne Kind der Sozialhilfemutter, sondern das erste oder zweite der hoch besteuerten und kinderlosen Karrierefrau", wie es in einem weiteren Artikel von Heinsohn auf „Welt Online“ heißt.

Was passiert, wenn wie in den USA die Sozialhilfe auf fünf Jahre beschränkt wird, schildert der Soziologe Loic Wacquant in seinem Buch "Die Bestrafung der Armen". Während die Zahl der Sozialhilfeempfänger drastisch zurückgegangen ist, weil sie nicht mehr registriert werden, explodierte die Zahl der Gefängnisinsassen (USA: Gefängnisland Nr. 1). Zählte man 1975 rund 380.000 Häftlinge in den USA, waren es 2000 1,9 Millionen und 2008 2,3 Millionen. Das Elend der amerikanischen Wohlfahrt und der Ausbau des Gefängnissystems sind die beiden Seiten derselben politischen Medaille, so Wacquant, Professor an der University of California (Über die Probleme der Massenhaft in den Vereinigten Staaten). Überfüllte Gefängnisse, das ist die Antwort auf die wachsende Zahl der Armen, der sozial Verwundbaren und der Überflüssigen. Wacquant zeigt, wie die Regulierung und Kontrolle der unteren Klassen im Zeitalter der fragmentierten Lohnarbeit und der Verallgemeinerung ungesicherter Arbeitsverhältnisse über ein Strafsystem geleistet wird, das wieder die Zähmung der armen Klasse zur Aufgabe hat.

Während deutsche Frauen außerhalb von Hartz IV im Durchschnitt nur ein Kind haben und leistungsstarke Migrantinnen sich diesem Reproduktionsmuster nähern, vermehrt sich die vom Sozialstaat unterstützte Unterschicht stärker - mit allen Folgeproblemen. So sind in der Hartz-IV-Musterkommune Bremerhaven die Jungen in Sozialhilfe mit einem Anteil von rund 40 Prozent an der männlichen Jugend für mehr als 90 Prozent der Gewaltkriminalität verantwortlich. Solange die Regierung das Recht auf Kinder als Recht auf beliebig viel öffentlich zu finanzierenden Nachwuchs auslegt, werden Frauen der Unterschicht ihre Schwangerschaften als Kapital ansehen. Allein eine Reform hin zu einer Sozialnotversicherung mit einer Begrenzung der Auszahlungen auf fünf Jahre statt lebenslanger Alimentierung würde wirken - nicht anders als in Amerika.

Gunnar Heinsohn in der FAZ

Wenn Vertreter der neuen Klassenhygiene, die wie Heinsohn ganz in der Nähe der nationalsozialistischen Rassenlehre zwischen einer "Hartz IV-Bevölkerung" und dem "leistenden Bevölkerungsteil" unterscheiden, nach einer Dezimierung des "nicht-leistenden" Teils durch Entzug der Lebensmittel rufen, kann man sicher sein, dass diesen verfassungsfeindlichen Äußerungen bald der Ruf nach härteren Strafen und einem Ausbau der Gefängnisse folgen wird.