Im SPIEGEL des BND

Peter Ferdinand Koch: "Enttarnt"

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Für Geheimdienste ist die Presse ein Hauptoperationsgebiet. Die Kontrolle über Informationen und die Beeinflussung der kollektiven Wahrnehmung der Realität gehören zu den effizientesten Instrumenten der Dienste. Gerne ist man daher der schreibenden Zunft behilflich bei der Deutungshoheit von Ereignissen, bei der Gewichtung von Themen oder bisweilen sogar beim Streuen von Desinformation.

Wie eng sich die Schattenmänner im Nachkriegsdeutschland u.a. mit dem bedeutendsten politischen Magazin DER SPIEGEL abgestimmt hatten, kann nun im Buch „Enttarnt“ des früheren SPIEGEL-Journalisten Peter Ferdinand Koch nachgelesen werden. Nicht nur in Nachrichtendiensten, sondern auch in Nachrichtenmagazinen arbeiteten etliche Doppel- und manchmal auch Dreifachagenten, von denen Koch nicht weniger als 47 aufgespürt hat.

„Pullach intern“

Im Frühjahr 1971 druckte DER SPIEGEL die 15teilige kritische Serie Pullach intern, in welcher er einem breiten Publikum die Entstehung und das tatsächliche Wirken des aus der „Organisation Gehlen (Org)“ hervorgegangenen Bundesnachrichtendienstes (BND) präsentierte. Die Enthüllungen trafen den durch Skandale erschütterten Geheimdienst am Tiefpunkt, denn wenige Jahre zuvor war die von ehemaligen NS-Leuten aufgebaute und mit durchgängig konservativ eingestelltem Personal bestückte Geheimorganisation vom SPD-Wahlsieg und der neuen Ostpolitik der Regierung Brandt kalt erwischt worden.

Im Oktober des so schicksalhaften Jahres 1968 war es zu einer Serie mysteriöser Selbstmorde hochrangiger Schattenmänner gekommen, darunter auch Vizepräsident Horst Wendland, der sich am Dienstsitz in Pullach erschoss. Im Herbst/Frühjahr 1968/69 hatten insgesamt 22 Personen im BND-Dunstkreis überraschend abgelebt. Der ursprünglich wie ein Geheimorden geführte „Dienst“, in dem man nur durch persönliches Angebot eines Angehörigen Mitglied werden konnte, musste sich nun mit unbequemeren Dienstherren wie mit dem von der SPD entsandten neuen BND-Vizepräsidenten Dieter Blötz arrangieren.

Auch der Mythos um den sagenumwobenen General Gehlen wurde durch „Pullach intern“ ein Stück weit entzaubert. Vereinzelt verglich man diese SPIEGEL-Veröffentlichung mit der SPIEGEL-Affäre von 1962 über die nur „bedingt abwehrbereite“ Bundeswehr, der ebenfalls u.a. aus der Feder des letztes Jahr verstorbenen Autors Heinz Höhne stammte.

Ein Mitarbeiter Höhnes war der damalige SPIEGEL-Redakteur Peter Ferdinand Koch, Jahrgang 1943. Die Hamburger Journalisten hatten etliches zusammengetragen, dennoch war die Quellenlage in der schillernden Geheimdienstbranche naturgemäß begrenzt, etliche Behauptungen gesprächiger Geheimer, zu deren Qualifikationen nun einmal auch Desinformation und Seemannsgarn gehören, kaum überprüfbar. 40 Jahre später nun stand Geheimdienstkenner Koch der aufgrund des Freedom of Information-Acts freigegebene Teil des CIA-Archivs zur Verfügung.

Allein 29 Millionen Seiten Akten zur NS-Zeit ermöglichten eine Recherche über die Belastung und ggf. Erpressbarkeit etlicher Personen in der deutsch-deutschen Geheimdienstunterwelt. Koch hatte auch Zugriff auf das vernichtet geglaubte „Tagebuch“ eben jenes ungeliebten BND-Vize-Präsidenten der 70er Jahre, Dieter Blötz. Dass der Autor über beste Kontakte im BND-Umfeld verfügte, wurde ihm spätestens durch die 2005 aufgeflogene Journalisten-Affäre vom BND höchstselbst bescheinigt, als der Auslandsgeheimdienst u.a. auch Koch in den 90er Jahren im Inland observierte.

Kochs nun im April 2011 erschienenes Buch Enttarnt befasst sich mit etlichen Personen, die meist schon im Dritten Reich ihre Karrieren begannen, seien es solche in den diversen Geheimdienststrukturen, solche in der Presselandschaft oder auch nur solche als Hochstapler. Viele hochbelastete Gestalten konnten im Adenauer-Deutschland unbehelligt wieder Fuß fassen und aufsteigen. In seinem Material hat Koch etliche Schätze gehoben, von denen manche sogar ein eigenes Buch wert wären. Sein eigenes ist keine durchgehend chronologisch geordnete Geschichte des BND, sondern zeichnet einzelne Biographien und Begebenheiten nach.

Viele Zusammenhänge, die früher als Verschwörungstheorie abgetan worden wären, sind nun nachweisbar. Zu den spektakulärsten Funden gehört die BND-Personalie Karl Josef Silberbauer, der seinerzeit Anne Frank aufgegriffen hatte. Ausführlich stellt Koch die vielschichtige Geschichte des legendären BND-Mannes Volker Foertsch dar, dessen Familie den BND ein Stück weit prägte, und der selbst im Mittelpunkt eines der größten Spionageskandale stand.

RückSPIEGEL

Ein besonderes Augenmerk legt Koch auf seinen früheren Arbeitgeber DER SPIEGEL, dessen Geschichte mit dem aus alten Kameraden gebildeten BND enger verknüpft ist, als gemeinhin bekannt. Jenes mal als „links“, mal als „liberal“ eingestuften Blatt, das 1947 unter der Ägide der britischen Besatzungsmacht entstand, war in seinen ersten Jahrzehnten von NS-belastetem Personal geprägt. Als der Historiker Lutz Hachmeister 1996 hierzu veröffentlichen wollte, hatte er größte Mühe, diese ungeliebte Story überhaupt unterzubringen. Das häufig als „Sturmgeschütz der Demokratie“ bezeichnete Nachrichtenmagazin, das heute für kritischen Journalismus steht, ist bei der Aufarbeitung der eigenen Geschichte noch immer erstaunlich zurückhaltend.

SSPIEGEL

In den 50er Jahren fungierten beim SPIEGEL der ehemalige SS-Hauptsturmführer Horst Mahnke und der frühere SS-Obersturmführer Georg Wolff als leitende Redakteure. Mahnke hatte im Krieg Verhaftungslisten über britische Zielpersonen wie Juden, Freimaurer und Politiker erstellt, die im Falle der Invasionen zu internieren seien. Mahnke und Wolff ließen sich auch nach dem Krieg von ihrem SS-Kameraden Franz Alfred Six füttern, einem auf das Ausland spezialisierten Akademiker, der bereits 1930 der NSDAP beigetreten war, von deutscher Weltherrschaft träumte und mit seinen antisemitischen Verschwörungstheorien Anteil an der später im industriellen Maßstab erfolgten Vernichtung hatte.

Im Sicherheitsdienst der SS (SD) hatte Six 1940 mit Mahnke die Säuberung Londons geplant, der jedoch u.a. der Krieg im Osten zuvorkam. Einem Dokument zufolge soll der in Nürnberg freigesprochene Six etliche Exekutionen etwa an jüdischen Akademikern zu verantworten haben. Ein weiteres Geheimnis konnte der wendige Six mit ins Grab nehmen: Wie Koch nun herausfand, hatte Six als langjähriger Doppelagent die Geheimnisse der Org und des BND an das KGB geliefert.

Der von ehemaligen SS-Intellektuellen mitgelenkte SPIEGEL rehabilitierte ausgerechnet den ersten GeStaPo-Chef Rudolf Diels, den man 1949 seine eigene Geschichte umschreiben ließ. Ein anderer Zuträger, SS-Hauptsturmführer Bernhard Wehner, war mit der Untersuchung des Attentats vom 20. Juli befasst, wobei er seinen eigenen Chef als Mitverschwörer zu entlarven hatte. Selbst Goebbels Pressereferent Wilfried von Oven, vormals Freiwilliger in der Legion Condor, wurde von Augstein in Argentinien als Auslandskorrespondent verpflichtet.

Von Oven machte sich später als Redner auf Neonazi-Veranstaltungen einen Namen und wusste von jüdischen Verschwörungen in Bonn zu berichten. Der ehemalige Pressechef des NS-Außenministeriums, Paul Karl Schmidt, publizierte im SPIEGEL als „Paul Carell“, wo er zum Reichstagsbrand die fragwürdige Alleintäterthese ausrief, was u.a. auch Diels entlastete. „Carell“ verklärte insbesondere den Ostfeldzug in höchst gefragten Büchern.

Die „Org“

Der Krieg im Osten war im Zweiten Weltkrieg die Domäne des Generals Reinhard Gehlen gewesen, der den Wehrmachtsgeheimdienst „Fremde Heere Ost (FHO)“ geleitet hatte. Sein Wissen über den Feind im Osten und seine Kontakte hatte Gehlen nach Kriegsende den US-Geheimdiensten angeboten, unter deren Patronat er seine „Organisation Gehlen (Org)“ aufbaute, die langfristig die Wehrmacht zum Kampf gegen die Sowjets reorganisieren sollte.

Aus einem 2002 gefundenem Dokument folgt, dass Gehlen 1956 für den Fall eines SPD-Wahlsiegs sogar zum Staatsstreich zugunsten der USA bereit war. Ein Großteil seiner Informationen stammte aus systematischer Befragung von Kriegsheimkehrern, während der Aufbau eines aktiven Agentennetzes im Osten überwiegend scheiterte, nicht selten wegen Doppelagenten in den eigenen Reihen.

Ein funktionierendes Netz an verlässlichen V-Leuten unterhielt Gehlen jedoch im Inland. Es reichte insbesondere in etliche Redaktionen Westdeutschlands, die er beobachtete und notfalls auf Linie bringen wollte. Ein Großteil der anrüchigen Medienverbindungen des BND, mit denen General Gehlen die öffentliche Meinung im Nachkriegsdeutschland steuern und insbesondere gegen den Osten einschwören wollte, war bereits 1998 an die Öffentlichkeit geraten.

Sogar Unterhaltungsmedien waren bisweilen BND-Tarnfirmen zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung, etwa der Gloria-Filmverleih, der Stalingrad, Heimatschnulze und Erotik zu bieten hatte, was Koch nun erstmals aufdeckte. Dort ließ man ausgerechnet Veit Harlan den Schmähfilm Verrat an Deutschland über den kommunistischen Spion Richard Sorge drehen.

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