"Es wehte homerische Luft"

Die Deutsche Wochenschau

Krieg als Bildungsreise

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Die Rettungspakete, die Griechen, die Nazis und wir - Teil 2

Teil 1: "Aus den Wolken kommt das Glück": Die Rettungspakete, die Griechen, die Nazis und wir

Wer Marschlieder mag, kommt bei der Berichterstattung der Deutschen Wochenschau über den Balkanfeldzug voll auf seine Kosten. "Wir stürmen dem Siege entgegen und säubern Europas Haus", singt der Chor beim Panzerfahren durch die Thermopylen, "und schlagen mit hämmernden Schlägen die Briten zum Lande hinaus." Dafür muss noch Kreta erobert werden. Die Formationsführer planen das "Unternehmen Merkur" mit gewohnter Sorgfalt, junge Männer in Badehosen ölen die Gewehre und beladen Flugzeuge, und dann: "Start frei!" Als die Flugzeuge abheben, erklingen die ersten Takte des Walkürenritts. Zur Musik von Richard Wagner fliegen wir über das Ägäische Meer, erkennen Kreta unter uns, sehen Bombern beim Bombardieren und Fallschirmjägern beim Fallschirmspringen zu. Wer denkt, dass Francis Ford Coppola den Luftangriff mit Walkürenritt erfunden hat (Apocalypse Now), der irrt. Ein Flugzeug fliegt rasch noch einmal über Athen und die Akropolis, die englischen Kriegsgefangenen schauen traurig aus, und "Ritterkreuzträger General der Flieger Student begrüßt die siegreichen Fallschirmjäger". Kreta wird "in vielen Einzelaktionen vom Feind gesäubert".

Massaker nur nach stichwortartiger Begründung

Auf der Insel gab es viele Widerstandskämpfer, die von Teilen der Zivilbevölkerung unterstützt wurden. Die Deutschen hatten hohe Verluste. General Kurt Student wollte Rache und erließ am 31. Mai 1941 einen Befehl, in dem vier mögliche Vergeltungsmaßnahmen aufgelistet sind: Erschießungen, Kontributionen, Niederbrennen von Ortschaften, Ausrottung der männlichen Bevölkerung ganzer Gebiete. Niederbrennen und Ausrottung nur nach "stichwortartiger Begründung" und mit Genehmigung des Generals. Weil ein ordentliches Gerichtsverfahren "für Bestien und Mörder nicht in Frage" komme, sei dies "Sache der Truppe". Und weiter: "Hierbei lege ich besonderen Wert darauf, dass die Sühnung selbst - nach Möglichkeit - durch diejenige Truppe erfolgt, die unter den bestialischen Greueltaten gelitten hat."

"Es ist einwandfrei festgestellt", steht am Anfang des Befehls, "dass sich die Bevölkerung von Kreta (auch Frauen und Jugendliche) im weitesten Umfange am direkten Kampfe beteiligt hat." Damit waren Männer, Frauen und Kinder zum Abschuss freigegeben. Wenn bei "Sühnemaßnahmen" kein direkter Täter zu finden war, wurden "Schuldige" aus der Zivilbevölkerung herangezogen. Wer schuldig war und wer nicht, entschieden die Eroberer je nach Bedarf. Der Student-Befehl setzte eine Spirale aus Gewalt und Gegengewalt in Gang. Mit zunehmender Partisanentätigkeit machte er Schule in ganz Griechenland, wo die deutschen Besatzer mit einer Grausamkeit gegen die Zivilbevölkerung vorgingen wie sonst nur an der Ostfront gegen das "slawische Untermenschentum". Kurt Student wurde 1945 von einem britischen Militärgericht zu fünf Jahren Haft verurteilt. 1947 scheiterte Griechenland mit dem Versuch, ihn ausliefern zu lassen. 1948 war er wieder ein freier Mann. 1998 gelangte das Verteidigungsministerium zu der Erkenntnis, dass der General nicht "traditionsfähig" sei. In der Franz-Josef-Strauß-Kaserne im bayerischen Altenstadt, wo der Bund Deutscher Fallschirmjäger alljährlich seinen Kreta-Gedenktag abhält, erhielten daraufhin die "Generaloberst-Student-Straße" und der "Generaloberst-Student-Saal" neue Namen.

Die Deutsche Wochenschau

Zurück nach Kreta. Die Wochenschau fliegt mit dem Flugzeug hin, mal mit den Stukas in Formation und mal mit dem Transportflugzeug, oder sie begleitet Soldaten auf dem Schiff. Die Artillerie schießt aus allen Rohren, deutsche Truppen rücken vor und Gebirgsjäger kämpfen nieder, der Chor singt dazu Sachen wie das "Fallschirmjägerlied" ("Wir wissen nur eines, wenn Deutschland in Not,/Zu kämpfen, zu siegen, zu sterben den Tod."), Ritterkreuzträger General der Flieger Student bespricht mit seinen Fallschirmjägern die Lage, die Stukas bomben und zerstören feindliches Kriegsmaterial, die Suda-Bucht ist hart umkämpft, und "Chania brennt!" wird als tolle Siegesmeldung präsentiert.

Die Deutsche Wochenschau

Beim Einmarsch in die völlig zerstörte Hafenstadt könnte man kurz darüber nachdenken, was aus den Bewohnern geworden ist, aber dann besucht General der Flieger Student, ein echter Kümmerer, auch schon verwundete deutsche Soldaten im Feldlazarett. Wie lange solche Bilder nachwirken, kann man daran sehen, wie schwer es der Bundeswehr und den Veteranen fällt, sich von den braunen Propagandastars zu verabschieden. In Chania wird ein guter Platz für die Fahne gefunden, weil da noch ein Kirchturm steht: "Nach zwölf Tagen Kampf ist Kreta fest in deutscher Hand. Eine der kühnsten Operationen unserer Wehrmacht ist siegreich beendet. Das Hakenkreuz weht über Kreta!" Juden lebten in Chania auch. Ritterkreuzträger General der Fallschirmtruppe Bruno Bräuer, der als Kommandant der "Festung Kreta" das von seinem Vorgänger Student errichtete Schreckensregiment fortsetzte, ließ sie im Mai 1944 zusammentreiben und auf einen Frachter bringen, der im Ägäischen Meer versenkt wurde.

Heroen ohne Badehose

Im Juni 1941 war ganz Griechenland von den Deutschen und ihren Verbündeten besetzt. Im Herbst 1942 erschien ein Buch, "von Soldaten für Soldaten geschrieben", das den Besatzern einen Eindruck davon vermitteln sollte, wohin sie "der Befehl des Führers gestellt" hatte und das sie zur Erinnerung mit nach Hause nehmen konnten, als Souvenir. Wenn man das Geleitwort von General der Flieger Mayer liest, dem Befehlshaber im "Luftgau Südost", weiß man schon sehr viel darüber, wie es den Griechen unter den Deutschen erging:

Es entspricht dem Geist des deutschen Soldaten, die Länder, in die das Schicksal des Krieges ihn führt, mit wachen Augen zu erleben und Stätten alter Kultur mit Ehrfurcht zu betrachten. So wie während des Feldzuges 1941 in Griechenland und Kreta kein einziges klassisches Kulturdenkmal durch unsere Waffen beschädigt worden ist, so bringen wir, wohin wir auch kommen, echter Kultur stets die Achtung entgegen, die ihr gebührt.

Auf klassische Kulturdenkmäler wurde Rücksicht genommen und auf die Griechen nicht, denn die hatten mit "echter Kultur" nichts zu tun. Die wahren Hellenen waren die Deutschen. Weil man sich trotz der Aufmärsche am Königsplatz in München, der "Acropolis Germaniae", nicht darauf verlassen konnte, dass das jeder Soldat verstanden hatte, wies Erhart Kästner, Autor von Griechenland: Ein Buch aus dem Kriege und vormals Sekretär von Gerhart Hauptmann, gleich im ersten Kapitel darauf hin, und dann immer wieder. Auf der "Fahrt nach Griechenland" mit dem Zug, bei einer Ausweichstelle, gibt es eine dieser aus der Wochenschau vertrauten Begegnungen von Deutschen im Ausland:

Es waren Männer von Kreta, die von dort kamen und nun einem neuen Ziel und einem neuen Kampf entgegengingen. Auf den offenen flachen Eisenbahnwagen […] saßen, standen und lagen gleichmütig die Helden des Kampfes, prachtvolle Gestalten. […] Da waren sie, die "blonden Achaier" Homers, die Helden der Ilias. Wie jene stammten sie aus dem Norden, wie jene waren sie groß, hell, jung, ein Geschlecht, strahlend in der Pracht seiner Glieder. Alle waren sie da, der junge Antenor, der massige Ajax, der geschmeidige Diomedes, selbst der strahlende, blondlockige Achill. Wie anders denn sollten jene ausgesehen haben als diese hier, die gelassen ihr Heldentum trugen und ruhig und kameradschaftlich, als wäre es weiter nichts gewesen, von den Kämpfen auf Kreta erzählten, die wohl viel heldenhafter, viel kühner und viel bitterer waren als alle Kämpfe um Troja. […] Um jeden von ihnen schwebte der Flügelschlag des Schicksals. Es wehte homerische Luft.

Und die Griechen, was umweht die? Höchstens der muffige Geruch von Faulheit und Unfähigkeit. Der Zug, der Kästner von Saloniki nach Athen bringt, ist schlecht geölt, die Abteilfenster sind zerbrochen, in den Polstersitzen der Ersten Klasse wohnen Wanzen, und dass er überhaupt noch fährt ist der Tatsache zu danken, dass die Maschine ein deutsches Modell von 1907 ist. Unterwegs wird dauernd angehalten, weil die Griechen keinen Fahrplan machen können. Einen dieser Aufenthalte nützen die Soldaten zu einem Bad im Meer, ohne "die Badehose, das Abzeichen christlich-neuzeitlicher Körperscham, zu tragen":

Unversehens ergab sich ein völlig klassisches Bild. Sprühend im Licht dieses Morgens und im Glanz ihrer jungen Nacktheit tummelte sich die Schar dieser Eroberer am fremden Meer, und es schien so, als sei ein verloren geglaubtes, unsterbliches Geschlecht wiedergekehrt und habe mit Selbstverständlichkeit Besitz genommen von diesem Ufer, oder als seien sie immer dagewesen und der Götterberg habe nie auf andere niedergeblickt als auf sie.

Passagen wie diese drehen den Prolog von Leni Riefenstahls Olympia-Film um. Die Nazis inszenierten die Olympiade von 1936 in Berlin als gigantisches Propagandaspektakel, als ein "The Olympics Are Coming Home" für Faschisten. Der Prolog des Films führt uns zu den Überresten eines antiken Tempels, und weil auch Riefenstahl mit den real existierenden Griechen nichts anfangen konnte, erwachen Statuen zum Leben, um olympische Sportarten vorzuführen (nackte Männer) oder eine Mischung aus Gymnastik und Tempeltanz (nackte Frauen). Die Träger des olympischen Feuers laufen durch Trümmer des antiken Griechenland, und weil der Weg zugleich nach Deutschland und in die Gegenwart führt, stehen staunende Griechen am Straßenrand wie später, in den Wochenschauen von 1941, beim Einmarsch der deutschen Truppen in Athen. Die Flamme erreicht Berlin pünktlich zur Eröffnungsfeier, bei der die Mannschaft Griechenlands, die Riefenstahl schlecht weglassen konnte, mit "deutschem Gruß" unter der Führerloge vorbeimarschiert.

Olympia

In Wunschkonzert trifft Ilse Werner Carl Raddatz bei der Olympiade in Berlin, verliebt sich und muss dann als deutsche Frau viel Geduld aufbringen, weil ihr Liebster, ein Offizier der Luftwaffe, bald mit dem Bombardieren anderer Länder beschäftigt ist. Bei Erhart Kästner sind die Heroen, die bei Riefenstahl ausziehen, das Feuer in die Reichshauptstadt zu bringen, zurück in Griechenland, als Reinkarnationen der Hellenen (Carl Raddatz ist nicht dabei, weil der gerade den Film Heimkehr drehen musste). Da der Repräsentant des faschistischen Heilsversprechens ein strahlender Held ist und kein Finsterling, ist das Licht ganz wichtig ("Sprühend im Licht dieses Morgens …"). Albert Speer schuf für den Reichsparteitag in Nürnberg einen pseudo-sakralen Raum aus Lichteffekten. Die Inhaltsangabe im Programmheft zum Olympia-Film endet so: "Die olympische Flamme verlöscht, da reißt sich die Kamera am Scheinwerferdom empor, der sich über dem Stadion wölbt. Das Dach des Lichtdoms grüßt als Feuerbotschaft - es ist dasselbe Licht, das einst über Akropolis aufging."

Wunschkonzert

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