Stasi für Staatsanwälte

Während der Amtszeit Silvio Berlusconis wurden auch die Justizbehörden vom Geheimdienst überwacht

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Der italienische Militärgeheimdienst SISMI sammelte in den Jahren von 2001 bis 2006 nicht nur Daten über Journalisten und Politiker, sondern auch über kritische Richter und Staatsanwälte.

Auch der Mailänder Staatsanwalt Armando Spataro wurde überwacht. Er ermittelte wegen der Verschleppung des Islamistenpredigers Hassan Mustafa Osama Nasr alias "Abu Omar" nicht nur gegen 22 CIA-Agenten, sondern auch gegen die Geheimdienstmitarbeiter Nicolò Pollari und Pio Pompa, die seine Überwachung durchführten.

Die Affäre "Abu Omar"

Im Sommer 2006 hatte die italienische Justiz im Zuge der Affäre um die von CIA und SISMI gemeinsam durchgeführte Verschleppung des ägyptischen Imam mehrere SISMI-Mitarbeiter verhaften lassen, darunter den ehemaligen stellvertretenden Direktor Marco Mancini und Pio Pompa, den Assistenten des Behördenleiters Nicolò Pollari. Im Zuge dieser Affäre wurde bekannt, dass es ein illegales Überwachungsprogramm unter Beteiligung der "Telecom Italia Mobile" (TIM) gab. Ausspioniert wurden Politiker, der konkurrierende Geheimdienst SISDE und Journalisten wie Carlo Bonini, der Dokumentfälschungen des SISMI aufgedeckt hatte, die beweisen sollten, dass der Irak Uran aus dem Niger kaufen wollte.

Im Zuge der Ermittlungen wurde auch ein geheimes Archiv des SISMI entdeckt, das Pio Pompa angelegt hatte. In den Geheimakten fanden sich unter anderem Listen mit über 200 Namen von Mitgliedern des Vereins Magistrats Européens pour la Démocratie et les Libertés ("Europäische Richter für Demokratie und Freiheitsrechte"), die vom Geheimdienst als "der vergangenen Mehrheit nahe stehend" und als "Träger von destabilisierenden Gedanken" beschrieben werden. Als Anlass für die Aufnahme in das Archiv scheinen Berlusconi-kritische Äußerungen genommen worden zu sein – in der Akte des Italien-Korrespondenten der Libération, Eric Joszef, wurde dies sogar explizit vermerkt. Auch über ein internationales Anti-Berlusconi-Netzwerk, an dem unter anderem Carla Del Ponte, die Chefanklägerin des Jugoslawientribunals, und der spanische Untersuchungsrichter Baltasar Garzón beteiligt gewesen sein sollen, wird in den Dossiers spekuliert.

Der SISMI

Der SISMI wurde Mitte der 1970er Jahre ins Leben gerufen, nachdem der Chef des ehemaligen Zentralgeheimdienstes SID, Vito Miceli, im Zuge der Aufdeckung von Plänen für einen Staatsstreich, der so genannten Tora-Tora-Affäre, verhaftet worden war. Um so etwas künftig zu vermeiden, teilte man den SID in den SISMI (Servizio per le Informazioni e la Sicurezza Militare) und den SISDE (Servizio per le Informazioni e la Sicurezza Democratica). Die Aufgabenteilung zwischen SISMI und SISDE erfolgte dabei nicht streng nach dem Territorialprinzip. So durfte der SISMI Spionageabwehr auch im Inland betreiben und der SISDE Mafia und 'Ndràngheta auch im Ausland bekämpfen. Ein Ende der politischen Geheimdienstaktivitäten gelang, wie sich später an den Enthüllungen um Gladio und P2 zeigte, mit der Aufteilung allerdings nicht.

"Gladio" war ein geheimes Programm von NATO, CIA und MI6, das Terroristen ausbildete, Waffendepots anlegte und Anschläge inszenierte. 1990 deckte der italienische Richter Felice Casson diese Aktivitäten auf. Dabei kam ans Licht, dass der SISMI und andere Geheimdienste durch Desinformation und Beweisfälschung unter anderem den 1980 in Bologna verübten verheerenden Sprengstoffanschlag, der 85 Menschen das Leben kostete, erfolgreich als Terrorakt der politischen Linken darstellen konnten. Erst 1995 wurden die wahren Täter Valerio Fioravanti und Francesca Mambro verurteilt.

Ein Forschungsprojekt an der ETH Zürich kam bezüglich der Gladio-Aktivitäten zu dem Schluss, dass die Anschläge "durch gefälschte Spuren dem politischen Gegner angelastet [wurden], worauf das Volk selber nach mehr Polizei, weniger Freiheitsrechten und mehr Überwachung durch die Nachrichtendienste verlangte".

Auch die Geheimloge P2 war an dieser „Strategie der Spannung“ beteiligt. Sie finanzierte und bewaffnete Kriminelle und plante einem "Marsch durch die Institutionen", der ihre Mitglieder in Führungspositionen von Staat, Militär und Industrie bringen sollte. Dem ehemalige CIA-Agenten Richard Brenneke zufolge flossen vor allem in den 1970er Jahren aus CIA-Kassen erhebliche Summen an die Geheimloge. Auch Silvio Berlusconi wurde unter der Mitgliedsnummer 1816 als P2-Mitglied geführt – vor Gericht konnte ihm allerdings lediglich ein Meineid nachgewiesen werden.1

Berlusconi

Nicolò Pollari, der während der Amtszeit Berlusconis der Chef des SISMI war, sagte im Laufe der "Abu-Omar"-Ermittlungen erst aus, der SISMI habe nichts von der CIA-Aktion gewusst. Er wurde aber durch die Aussage von Marco Mancini und anderen verhafteten SISMI-Mitarbeitern der Lüge überführt. Am 20. November letzten Jahres wurde er durch den Prodi-Vertrauten Bruno Branciforte ausgewechselt, im Dezember folgte eine Anklage. Nun will Pollari eine explizite Aussagegenehmigung von Prodi, um dann - angeblich von der Angst des Verrats von Staatsgeheimnissen befreit - alle Fakten auf den Tisch zu legen.

Berlusconi selbst schwieg erst zu den Vorwürfen, dann gab er sich "verwundert" und wies den Vorwurf von sich, die Datensammlung initiiert oder auch nur von ihr gewusst zu haben. Kontakt habe er nur zu Pollari gehabt, nicht aber zu Pompa. Allerdings soll sich in den Akten ein Fax befinden, dass einen direkten Kontakt von Berlusconi zu Pompa beweist. In den Dossiers zu regierungskritischen Generälen wird Berlusconi zudem als deren "großer Gegner" bezeichnet – eine Wortwahl, die nicht unbedingt darauf hindeutet, dass der ehemalige Ministerpräsident der Sache sehr fern stand.

Unbestritten ist, dass die Geheimdienste dem Ministerpräsidenten, der sie zusammen mit dem Verteidigungsminister über das Koordinierungsorgan CESIS (Comitato Esecutivo per i Servizi di Informazione e Sicurezza) und den Kabinettsausschuss CIIS (Comitato Interministeriale per le Informazioni e la Sicurezza) leitet, zumindest theoretisch über alle Operationen detailliert Rechenschaft ablegen mussten.

Mittlerweile wird die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses diskutiert. Bereits seit letztem Jahr berät das italienische Parlament über den Umbau des SISMI zu einem reinen Auslandsgeheimdienst, der "SIE" heißen soll. Für die Spionageabwehr im Inland soll dann eine Organisation mit dem schönen Namen "SIN" zuständig sein.