Gespielte Differenzen auf NATO-Gipfel

Die USA und die EU sind sich über die Osterweiterung des transatlantischen Militärbündnisses prinzipiell einig

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Die NATO rückt näher an Russlands Grenzen. Das ist schon vor dem dreitägigen Treffen des transatlantischen Bündnisses klar, das gestern Abend in der rumänischen Hauptstadt Bukarest begonnen hat. Vor allem US-Präsident George W. Bush drängt auf eine rasche Aufnahme der ehemaligen UdSSR-Staaten Ukraine und Georgien. Er hält daran fest, obgleich Moskau für diesen Fall entschiedene Konsequenzen angedroht hat.

Präsident Bush mit dem rumänischen Präsidenten Taian Basescu vor dem Beginn der Nato-Tagung. Bild: Weißes Haus

Es scheint, als wolle Bush kurz vor seinem Abtritt noch Fakten schaffen. Die NATO-Mitgliedschaft müsse allen europäischen Demokratien offen stehen, sagte Bush bei einer Konferenz des German Marshall Fund, sofern sie "danach streben und bereit sind, die gemeinsame Verantwortung zu übernehmen". Von dem Gipfel in Bukarest müsse daher ein deutliches Signal ausgehen, "dass die NATO das Streben Georgiens und der Ukraine, NATO-Mitglieder zu werden, begrüßt".

Besonders Deutschland und Frankreich wenden sich als führende Regionalmächte gegen diesen Vorstoß aus Washington. Berlin und Paris befürchten einen Schaden für die engen wirtschaftlichen Bindungen zu Russland ebenso wie eine langfristige politische Destabilisierung in Osteuropa. Es ist fraglich, ob in Bukarest eine Einigung erzielt wird. Das muss sie aber auch nicht: Auf dem Gipfel zum 60. Jahrestag der NATO im kommenden Jahr wird aus Washington ohnehin eine neue US-Führung anreisen.

Europas Opposition beschränkt sich auf ein "Noch Nicht"

Vor diesem Hintergrund erscheint das geplante Dreier-Gespräch zwischen Bush, der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihrem französischen Amtskollegen Nicolas Sarkozy weit weniger aufregend, als von manchen Medien dargestellt. Ohnehin sind sich die drei einflussreichen NATO-Mitglieder im Grundsatz einig. Schon bei der Ankunft in Bukarest bekräftigte Merkel ihre Überzeugung, dass es "noch zu früh" sei für einen Beitritt Georgiens und der Ukraine. Es sei zugleich aber "unstrittig, dass beide Länder eine Perspektive für den Beitritt haben", fügte die CDU-Politikerin an. Ein solches "Noch Nicht" war in Berlin in den vergangenen Tagen öfter zu hören. Es relativiert zugleich den viel beschriebenen Konflikt zwischen Washington und den kerneuropäischen NATO-Mächten.

So erklärte auch der deutsche SPD-Außenminister Frank-Walter Steinmeier in der Leipziger Volkszeitung, Georgien sei "noch nicht auf einem sicheren stabilen Weg". Er spielte damit auf die Unabhängigkeitsbestrebungen in Abchasien und Süd-Ossetien an, zwei Regionen, die auf eine Loslösung von Tbilissi drängen. Unlängst hatte Russland die beiden "Staaten" anerkannt. Käme es nach einem NATO-Beitritt Georgiens zu einem kriegerischen Konflikt mit Beteiligung der russischen Schutzmacht, wäre die globale Eskalation programmiert. In Bezug auf die Ukraine wird in Europa vor allem der große Widerstand in der Bevölkerung mit Sorge wahrgenommen. Nur ein Drittel der Menschen in dem riesigen Staat würde eine Mitgliedschaft unterstützen. In den vergangenen Tagen war es schon gegen die Verhandlungen über einen Beitritt zu Massenprotesten in der Ukraine gekommen.

Auch der CDU-Außenpolitiker Andreas Schockenhoff zeigte sich deswegen davon überzeugt, dass eine Aufnahme der beiden Kaukasusstaaten "noch etwas Zeit" bedürfe. Auch er ließ an der Perspektive zugleich aber keinen Zweifel:

Um es klar zu sagen: Diese Länder haben eine NATO-Perspektive, aber wir sind der Meinung, dass diese Zeit noch nicht gekommen ist, jetzt die Tür zu öffnen.

Andreas Schockenhoff

Einigkeit herrscht hingegen bei dem Thema Afghanistan. Die NATO-Besatzungsmacht in dem zentralasiatischen Staat soll auf jeden Fall ausgebaut werden. Der amtierende NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer kündigte bereits vor dem Treffen einen Truppenausbau an. "Afghanistan bleibt auf der Agenda", sagte der Niederländer. Er mahnte an, dass auf dem Bukarester Gipfel der Grundstein für ein breiteres und besser koordiniertes Besatzungsregime in Afghanistan gelegt wird.

Vor dem Hintergrund solcher expansionistischer Pläne war vor dem Gipfel bereits ein Papier von fünf ehemaligen NATO-Generalstaabschefs aufgetaucht (Die NATO im Kampf um die Welt). Darin wurde eine offensive Strategie des Militärbündnisses gefordert, die auch nukleare Erstschläge einschließt.

Mitglied einer Spezialeinheit der Polizei, die gegen die Anti-Nato-Aktivisten vorgegangen ist

Repression gegen NATO-Gegner

Dass NATO-Militärpolitik zu Demokratie zu gut passt, wie George W. Bush auf einem Friedensmarsch, zeigte sich vor dem Bukarester Gipfel. Ein provisorisch eingerichtetes Büro von NATO-Gegnern wurde am frühen Mittwochnachmittag nach Angaben der Aktivisten von rund 200 rumänischen Polizisten gestürmt (Videos). Gründe für die Aktion seien nicht genannt worden, heißt es in einer Pressemitteilung der Romania Repression Info Group, in der zudem von 46 Festnahmen berichtet wird. Unter den Inhaftierten hätten sich Aktivistinnen und Aktivisten aus Portugal, Polen, Deutschland und anderen EU-Staaten befunden. Letzten Berichten zufolge wird mindestens ein Opfer der Razzia schwer verletzt behandelt.

Ich habe gesehen, wie Festgenommene blutige Nasen und Münder hatten. Einer wurde mit dem Kopf gegen die Wand geschlagen und die Treppe herunter geschleift.

Augenzeuge der "Romania Repression Info Group"

Auch sei es vor dem NATO-Treffen seitens rumänischer Behörden zu Einschränkungen der Pressefreiheit gekommen. Während im Rahmen der Festnahmen am Eröffnungstag des Gipfels auch ein freier Journalist aus Deutschland und mehrere Berichterstatter des Onlineportals Indymedia inhaftiert worden sein sollen, war die NATO-kritische Website contra-doxa.com bis zu Gipfelbeginn nicht zu erreichen.

Nach einem Bericht des Berliner Tagesspiegel waren zuvor schon mehrere NATO-Gegner an der Grenze zu Rumänien abgewiesen worden. Unter ihnen habe sich auch eine Stipendiatin der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung befunden. Der 33-jährigen Berliner Wissenschaftlerin Alexandra Geisler und anderen Aktivisten wurde bereits Ende März am Grenzübergang Calafat die Einreise verweigert. Die Weisung stammte von der rumänischen Grenzpolizei und von dem nationalen Geheimdienst SRI. Geisler, die an der Berliner Humboldt-Universität promoviert und zu Frauenhandel in Rumänien geforscht hat, steht nun auf einer Liste von "Gefährdern".