Im Gleichschritt zum Frieden

Die neue Friedensbewegung als Geburtshelferin eines neuen europäischen Imperialismus

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Alle wollen Frieden. Von den Trotzkisten bis zu den Rechtsradikalen, von den Klampfenhanseln bis zum deutschen Kanzler und zum französischen Staatspräsidenten. Selbst der Papst, der doch sonst jeder wohlgezielten Bombe sein "Pax Vobsicum!" hinterdreinpfeift, ist dabei.

Steht ein goldenes Zeitalter bevor, in dem die Welt am europäischen Geist der Friedfertigkeit genesen kann? Wohl kaum.

In einem Anliegen sind sich all die Friedensfreunde von der NPD bis zu den linken Antiimperialisten, von ganz oben bis ganz unten einig: Dem US-Imperialismus muss die Stirn geboten werden. Die USA, und sie allein, haben die gegenwärtigen Spannungen in der Weltpolitik zu verantworten, und der (symbolische) Kampf für den Weltfrieden beginnt mit dem Kampf gegen die Symbole für den Krieg: satirisch verfremdete Bush-Puppen und US-Flaggen, Unterschriftenaktionen, Straßentheater, die sattsam bekannten Massendemonstrationen voller Gefühl und ohne Inhalt, das ganze symbolische Arsenal der Hilflosigkeit wird gegen den sehr real existierenden US-Imperialismus in Stellung gebracht. Ein einig Volk von Antiimperialisten protestiert gegen die USA, den "alten Feind der Völker" (Che Guevara) und kennt schon fast keine Parteien mehr, sondern nur noch Deutsche, resp. Europäer. Zu welch hirnverbrannten Reduktionen und Regressionen das führen kann, wurde jüngst erst beim Davoser Tanz ums goldene Kalb vorgeführt (vgl.Ein Sheriffstern mit sechs Zacken)

Auch der Kulturkampf schreitet voran. Eine Band wie DAF ist mittlerweile bei einer urdeutschen Vorliebe für die Tradition der "Heldenlieder" angekommen und lehnt die "irgendwie fremde Liedstrukturen" des "anglo-amerikanischen Pop-Imperialismus" in Bausch und Bogen ab.

Aber die Gemeinsamkeit zwischen den strange bedfellows, die sich hier um einen ganz speziellen Frieden bemühen, reicht tiefer als die bloße Symbolik. Sie besteht vor allem in einem ahnungslosen bis sehr bewussten Wegschauen von der Tatsache, dass sich im Windschatten einer Kritik an der imperialistischen Politik der US-Regierung ein neuer europäischer Imperialismus zum Kampf um den Platz an der Sonne in Stellung bringt. Unbemerkt und undiskutiert von der Öffentlichkeit hat sich der Wunsch Europas (vor allem Deutschlands und Frankreichs) auf die Tagesordnung gesetzt, in die Liga der ganz Großen aufzusteigen. Das dokumentiert sich an der Haltung des deutschen Bundeskanzlers, wenn er sagt, "es gehe im Kern darum, ob eine multipolare Welt erhalten bleibe oder nur noch eine Macht die Geschicke lenke", was nichts anderes heißt, als dass er die Zeit für gekommen hält, den USA zu zeigen, was eine Harke ist. Es dokumentiert sich aber auch in dem so passend benannten Mirage-Plan zur EU-dirigierten "sanfte Entwaffnung" des Irak, der unter anderem deswegen so heißt, weil Frankreich die gleichnamigen Spionageflugzeuge einsatzbereit zur Hand hätte, wie auch Deutschland eine Flotte von Überwachungsdrohnen auf dem neuesten technischen Stand.

Und es dokumentiert sich in den Reden eines Oskar Lafontaine, wenn er es, wie neulich in Saarbrücken vor 3000 Friedensfreunden gleichzeitig fertig bringt, UN-Inspektoren für die USA zu fordern und retrospektiv den europäischen Beitrag zur Zerstörung Jugoslawiens zu rechtfertigen.

Wir können auch ohne die Amerikaner, soll all das bedeuten, und wir würden auch gerne ohne sie, denn unsere eigenen strategischen Interessen, wie sie sich schon bei der kriegerischen Neuordnung des Balkans durchsetzten, sind uns gerade Legitimation genug. Dass das alles noch ein wenig täppisch daherkommt und nicht mit der wohlgeübten Geschmeidigkeit der US-Außenpolitik, wird auf Dauer kein Hindernis sein. Zunächst einmal geht es darum, flügge zu werden, einen ernsthaften diplomatischen Konflikt mit den USA durchzustehen, und durch geschickte Allianzen mit anderen Partnern, wie zum Beispiel Russland, weltpolitisches Gewicht zu gewinnen. Alles weitere kommt später.

Wie kommt es, dass die Imperialismusexperten der neuesten Friedensbewegung diesen vor ihren Augen sich entfaltenden heimischen Imperialismus übersehen? Da ist einmal eine ganz normale menschliche Trägheit. Gegen den US-Imperialismus zu sein, war irgendwie schon immer richtig, und was sich in der Rolle des Hauptfeinds so wacker bewährt hat, wird jetzt nicht einfach von der Besetzungsliste gestrichen. Dazu kommt eine Naivität vieler junger Friedensbewegter, die sich einfach nicht vorstellen können, dass ihr Protest auf der Straße so billig von ihren eigenen Regierungen vereinnahmt werden kann - aber ist das wirklich verwunderlich, wenn ein Konstantin Wecker nicht begreift, dass sein Gesinge im Irak ohne Abstriche einen Aktivposten für das Überleben des Hussein-Regimes darstellt?

Und, was nicht unterschätzt werden sollte: Für einen guten Teil der neuen Friedensbewegten ist das neue alte Streben Europas nach Superiorität schlicht und ergreifend ok.

Gegen die Wahrnehmung dieser Tendenzen und ihrer höchst realen politischen Konsequenzen wird oft nach dem Motto argumentiert, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. Europa sei viel zu schwach und zu uneins, um es in dieser Weise auf globale Machtspiele ankommen zu lassen. Man habe die Mittel und den Wunsch dazu gar nicht. Ja, sogar der uralte Topos von der grundsätzlichen kulturellen Überlegenheit Europas feiert seine Wiederkehr, wenn behautet wird, dass Europa aus seiner leidvollen Geschichte viel zu gründlich gelernt habe, um sich noch einmal mit dem Thema geostrategischer Dominanz abzugeben. Die Existenz einer gemeinsamen europäischen Währung, die auf den Finanzmärkten mit dem Dollar ernsthaft zu konkurrieren beginnt, scheint nicht zu zählen.

Dass mit Frankreich schon dem Kern der neuen Supermacht ein Land angehört, das über Atomwaffen verfügt und selbst über einen nuklear getriebenen Flugzeugträger (ein möglicherweise konventionell angetriebenes Schwesterschiff befindet sich in Planung ), gilt ebenso nicht. Die Planungen für das zivil wie militärisch nutzbare Satellitennavigationssystem Galileo und die Existenz bzw. Planung von schnellen Eingreiftruppen mit tendenziell weltweitem Aktionsradius

(neben und zusätzlich zu nationalen Ausputzern à la Légion Étrangère und KSK) - anscheinend alles kein Argument. Die innenpolitische Schaffung einer Festung Europa mit all ihren hässlichen Begleiterscheinungen, von einem Grenzregime, das es mit der US-Südgrenze durchaus aufnehmen kann, bis zur deportation class, scheint zu den selektiven Antiimperialisten noch nicht durchgedrungen zu sein.

Besonders bezeichnend ist, wie in diesem Zusammenhang mit dem Ölargument umgegangen wird. In der reduziert ökonomistischen Sicht der neuen Antiimperialisten ist ja das Öl bekanntermaßen der einzige Grund für die USA, den Irak mit Krieg zu bedrohen ("Kein Blut für Öl"). Für Europa und seine alternativen "Friedenspläne" zum Irak soll gerade dieses Motiv nicht gelten - so als habe das hochkulturelle, sparsame und grundsätzlich friedliche Europa keinerlei Interesse an den Rohstoffen außerhalb seiner Grenzen. Europäische Autos fahren mit Wasser, Total-Fina-Elf existiert nicht, und sowieso sind Europäer gegen Gier nach dem Vorbild amerikanischer Großkonzerne gefeit.

Völlig undenkbar ist für die Leugner des neuen europäischen Machtstrebens, dass sich in diesem Machstreben ein ganz neuer Typ von Imperialismus konkretisiert, der mit dem amerikanischen zwar konkurrieren will, sich aber deutlich von ihm unterscheidet. Bei der Ausgangslage ist es wahrscheinlich, dass der europäische Imperialismus der näheren Zukunft ein "virtueller" sein wird, der eines Netzwerks aus verschiedenen Machtkernen, die in Detailfragen durchaus differieren können, ihre zentralen gemeinsamen Interessen aber mit aller Gewalt - und gemeinsam - auf weltpolitischer Bühne zu wahren wissen.

Wer an Frieden interessiert ist, wird der Bush-Administration nicht auf den Leim gehen, der jede Lüge recht ist, um ihren lange anberaumten Krieg zu verkaufen. Er wird aber auch im Bewusstsein behalten, dass es keinen Sinn macht, den einen Imperialismus durch einen anderen zu ersetzen oder zu ergänzen und er wird sich an der klassischen Maxime orientieren, dass "der Hauptfeind immer im eigenen Land steht" - auch in einig Euroland.