Die Rückkehr der Jediritter

Amerikanische "Routineschläge" auf den Irak

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"Schurkenstaaten" wie der Irak haben es seit der jungen Präsidentschaft George W. Bushs wieder schwer, ihren bösen Weltvermachtungsplänen nachzugehen. Laut Pentagon-Sprecher Generalleutnant Gregory Newbold wurden am 16. Februar fünf irakische Radareinrichtungen in den Vorortbezirken von Bagdad beschossen, um insbesondere irakische Provokationen der sakrosankten Flugverbotszonen in den vergangenen zwei Monaten zu vergelten. Sollte Saddam Hussein nicht nur erzböse, sondern auch kreuzdumm sein? Hat er denn nicht erkannt, dass George W. mit seinem Revival-Kabinett um die American-All-Stars Rumsfeld, Powell, Cheney eine Politikkopie der väterlichen Regierungspolitik präsentiert? So mag er zwar kein Klon seines Vaters sein, seine Politik ist es allemal. Aber nicht nur in Sachen "conditio humana", auch in der Neuauflage der US-Politik geht es um die Ethik des "reproduktiven Klonens".

Bush ist ein friedlicher Krieger: "Our intention is to make sure that the world is as peaceful as possible." Und seitdem es keine Kriegsministerien und Angriffskriege mehr gibt, sind für die Störung dieses Zustands immer fremde Aggressoren verantwortlich. Newbold - also in deutscher Übersetzung: der "neue Kühne" - rechtfertigte die Luftschläge in einer Pressekonferenz in Washington als "reinen Akt der Selbstverteidigung".

Die Selbstverteidigung der mächtigsten Militärmacht der Erde zielt also darauf, dass die Irakis den Radius des Radars ausgedehnt hätten, der weit in die Flugverbotszonen hineinreiche und somit eine Bedrohung der alliierten Flugzeuge darstelle. Zu allem Überfluss hätten die Iraker auch ihre Militärtechnologie verbessert. Schon der Cyberwar bereitet den amerikanischen Peacelords erhebliche Kopfschmerzen, weil nach klassischen Militärkategorien unbedeutende Gegner mit asymmetrischen Cyberangriffen drohen, die billig zu bewerkstelligen sind. Zuletzt will Amerika es aber hinnehmen, dass die amerikanische Weltfriedensordnung gar durch ebenbürtige Gegner gefährdet werden könne. Getreu dem Leitmotiv des amerikanischen Strategiepapiers Joint Vision 2020 für die amerikanischen Streitkräfte folgend: "preeminent in any form of conflict".

George W. Bush, der im Irak als der Sohn einer Viper diffamiert wird und hinnehmen muss, dass das Bild seines Vaters als Aufdruck für irakische Fußabtreter verwendet wird, begründete indes die Anwartschaft auf das Unwort des Jahres 2001: Für ihn sind die Luftangriffe auf Bagdad eine "Routineoperation". Indes stellt sich die Frage, ob die Routine nun zuvörderst in der Abstrafung des Erzbösen oder in der Fortsetzung des Medienkriegs mit eben diesen Mitteln liegt. Vom jetzigen Außenminister Colin Powell stammt der legendäre Ausspruch, dass die Golfkriegsschlacht nicht nur auf dem Schlachtfeld, sondern auch in den Medien gewonnen wurde. Und nie wurde klar, welcher Sieg denn für Amerika entscheidender gewesen sein mag.

Amerika hat es ihm nie vergessen, die "Jungs da draußen" und damit die US-globale Heilsordnung wieder rehabilitiert zu haben. Der mediale Golfsieg, der das Vietnam-Trauma verdrängte, scheint sich tief in die strategischen Köpfe der neuen alten Weltpolizisten eingebrannt zu haben. Die Planungsleiter des Golfbodenkriegs hießen seinerzeit die "Jedi-Ritter", um ja nie Zweifel aufkommen zu lassen, dass sich auch die komplexeste Weltunordnung im Ernstfall immer wieder auf den Vorschein der Endzeitschlacht Armageddon, also auf den Widerstreit von Gut gegen Böse, reduziert. Und dass die "Jedi-Ritter", unbesiegt in der Luft, aber auch im irakischen Felde, nun zurückgekehrt sind, darüber kann seit letztem Freitag kein Zweifel mehr bestehen.

George W. Bush drohte zudem mit der Fortsetzung der "Routine" mit den üblichen Mitteln, sollte Saddam auch noch so dumm sein, verbotene Massenvernichtungswaffen zu produzieren. Damit auch nicht der Eindruck auftreten möge, es handele sich um eine singuläre Aktion, beeilte sich Bush auch sofort, den Angriff als Teil einer Strategie zu bezeichnen. Freilich gelten auch für derlei "Routinevernichtungen" die im Kosovo konstituierten Regeln des euroamerikanischen Humanbellizismus (Humanbellizismus oder die neue Moralstrategie des humanen Krieges). Zivilisten waren laut offizieller Stellungnahme beim Einsatz der 24 britischen und amerikanischen Kampfjets nie in Gefahr. Präzisionsmunition ist eben Moral im "full metal jacket".

Für Zweifler und Zauderer gabs dann noch die präsidiale Erkenntnis mit auf den Weg: "I want to assure those who don't understand U.S. policy that this is a routine mission." Wer hier nichts versteht, hat also zumindest die Luftschläge als Routine zu verstehen. Der Irak hat es jedenfalls wieder völlig falsch verstanden, es war gar von einem "barbarischen Angriff der Amerikaner und der Zionisten" die Rede. Doch diesmal wollte der amerikanisch-britische Waffengang auch großen Teilen der Weltöffentlichkeit nicht einleuchten. Nicht nur erwartungsgemäß Russland und China, selbst Frankreich und die Türkei vermochten in der "Routine" keine zu erkennen. Kanzler Schröders Nichtreaktion auf die Bombenflüge wurde von den Christdemokraten als fehlende Solidarität mit den amerikanischen Freunden angemahnt. Teile der Grünen und der SPD dagegen kritisierten die Aktion, weil es Saddams Position stärke und den begonnenen Entspannungsprozess in der Region wieder rückgängig mache.

Die Flugverbotszonen über dem Irak sind alles andere als unumstritten. Völkerrechtlich spricht viel dafür, dass sie nicht ausreichend legitimiert sind. Die USA, Großbritannien und Frankreich stützten sich seinerzeit für diese Entscheidung, die nicht vom Weltsicherheitsrat getroffen wurde, auf die UN-Resolution 688 von 1991, die den Irak auffordert, die Unterdrückung der irakischen Kurden einzustellen. Die kontinuierliche Erweitung der Flugverbotszonen bis kurz vor Bagdad wurde vor allem mit dem Schutz der dort lebenden schiitische Minderheit begründet.

Selbstverständlich predigt der offizielle Irak nun wieder den "heiligen Krieg" gegen die USA als Land-, Luft- und Seekrieg. Und genau so selbstverständlich gehört es zu der von beiden Seiten praktizierten Medienkriegslogik, die längst auch zur Routine geworden ist, dass das staatliche irakische Fernsehen mit zwei Toten sowie zahlreiche Verletzten aus Bagdader Krankenhäusern aufwartete.

Löst man sich von den vordergründigen Frontlinien wird gerade in dieser Propagandaautomatik die moralische Komplizenschaft der Widersacher Saddam Hussein und George W. Bush in ihrem wechselseitigen Hass eindrucksvoll belegt. Amerikas Verhältnis zum Vater des Heiligen Kriegs folgte schon immer einer Double-bind-Beziehung. Saddam Hussein ist das politische Stehaufmännchen von Amerikas Gnaden in der Region, ethnischer "Krisenmanager" mit Feuer und Schwert, Bollwerk gegen den anderen antiamerikanischen "Bösewicht" Iran - und zugleich der immer kampfeslustige Erzfeind der Vereinigten Staaten. Was Amerikas waffenstarrende Armee gegen Saddam auch je unternahm, gefährdete es - paradox genug - nie seine zahlreichen Wiederauferstehungen aus den diversen Führerbunkern.

Aber die Bomben, die wir nun wieder zu lieben lernen sollen, verursachen nicht nur "Kollateralschäden" sondern sie sind vornehmlich politische Symbole einer medienversierten Regierung, die das fatale Erbgut antritt, dass eine schneidige Außenpolitik die beste Innenpolitik ist. Experten zufolge fürchtet die US-Regierung angeblich, dass die Sanktionsbereitschaft gegen den Irak zusehends schwinde, wie es sich bereits in der Aufweichung des Luftverkehrsembargos im vergangenen Herbst gezeigt habe. Mit dem Luftangriff wolle Bush auch die Pendeldiplomatie der UNO schwächen. Aber gerade Amerika beherrscht diese Pendelpolitik in Vollendung, so etwa als mit dem Ende des Golfkriegs "Stormin" Norman Schwarzkopf zurückgepfiffen wurde, um nicht den allfälligen Showdown mit einem Triumphzug durch die Straßen Bagdads und einem exthronisierten Diktator zu beenden.

Es ist der eigenen Weltbeglückungsmission wenig bekömmlich, ohne Feinde zu leben, weil die Gefahr bestünde, eigene Aggressivität und eigenen Partikularismus jenseits fremder Bedrohungen wahrnehmen zu müssen. Die USA waren nach dem Ende des Kalten Kriegs und der Auflösung des Warschauer Pakts zeitweise ernstlich gefährdet, ihren großen Gegner zu verlieren und nur noch als Drogendezernat Südamerikas Kokainbarone aufzumischen. Auch ein endgültiger Sieg über Saddam Hussein begründete erneut dieses Risiko, ohne echte Widersacher von nahezu globalem Format leben zu müssen.

Saddam darf also nicht sterben, und da Saddam das nicht nur weiß, sondern sich auch so berechenbar mediendramaturgisch inszeniert, wird also die "Routine" vorerst weitergehen: "Selbstverteidigung" und "Dschihad" dürfen als die modernen, medienbellizistischen Formen einer feindseligen Kollaboration gelten, die in einem globalen Klima von Allmachtsfantasien und Paranoia vorzüglich gedeihen. Die Verletzungen von Flugverbotszonen sind demnach nichts weiter als Borderline-Störungen auf internationaler Ebene, für die indes noch keine kollektive Psychotherapie erfunden wurde.

Wie paradox die Verhältnisse sind, belegt jedenfalls der Umstand, dass Bush nur drei Tage nach den Routine-Angriffen das "National Memorial Center" in Oklahoma City einweihte, das den 168 Bombenopfern gewidmet ist, die am 19.04.1995 Ziel eines terroristischen Anschlags auf das Murrah-Gebäude wurden. Dieses Museum fängt die Panik jenes schwarzen Tages als multimedial reinszeniertes Spektakel - einschließlich der Aufzeichnung der todbringenden Bombenexplosion - ein. Der Präsident erhofft sich von diesem Museum, dass es neben dem Andenken an die Toten den Überlebenden Trost und Hilfe spende. Vielleicht hätte das für ihn ein Anlass sein können, darüber zu reflektieren, dass es keine Routinebomben gibt, so hypermoralisch präzise sie auch je sein sollten.