Tagesschau: Unseriöse Berichterstattung und Dünkel

ARD-aktuell verschweigt al-Qaida in Aleppo. Für Chefredakteur Gniffke ist Telepolis zunächst "keine seriöse Quelle", er korrigiert dies aber später

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Kann es sein, dass die Tagesschau in einer Komfortzone arbeitet, sozusagen im Himmel des Journalismus, unbelästigt von Einwänden und Fakten, die ihr Bild von der Welt Widersprüchen aussetzen?

Es gibt Anzeichen dafür. Vom Himmel her erreichte uns gestern eine Stellungnahme des Chefredakteurs von ARD-aktuell, Kai Gniffke, in der er Kritiker einer Tagesschau-Sendung "erneut" darauf hinweist, dass der "Online-Dienst 'Telepolis' für uns keine relevante seriöse Quelle darstellt".

UPDATE: Kai Gniffke hat zwischenzeitlich auf eine heute morgen verschickte Telepolis-Frage nach den Gründen, weshalb Telepolis keine relevante, seriöse Quelle darstelle, geantwortet. Auszug aus seiner Antwort:

"Die Formulierung, 'dass der Online-Dienst "Telepolis" für uns keine relevante, seriöse Quelle darstellt', ist tatsächlich missverständlich. Telepolis ist durchaus eine ernstzunehmende Quelle. In unserer Stellungnahme wollten wir deutlich machen, dass dieser Online-Dienst nur insoweit keine relevante und seriöse Quelle darstellt, als dass Telepolis als alleinige Quelle für uns eine Berichterstattung rechtfertigt, insbesondere nicht in so unübersichtlichen und schwer nachprüfbaren Regionen wie z.B. Syrien. Diese notwendige Erläuterung ist leider aufgrund der großen Auslastung aufgrund zahlreicher Eingaben unterblieben. Dieses Missverständnis möchten wir bitten zu entschuldigen und möchten ausdrücklich feststellen, dass wir Telepolis weder als unseriös noch als irrelevant einschätzen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Kai Gniffke

Da wir auch Seriosität, wie vieles andere Ehrwürdige, nicht unbedingt auf einen hohen Sockel stellen und dort in Ruhe lassen, sind wir solche Einwürfe gewöhnt. Artikel in Telepolis bieten ein großes Spektrum an Meinungen und Auffassungen, darunter finden sich immer auch solche, die überborden, was von anderen als Grenze der Ernsthaftigkeit empfunden wird.

Im konkreten Tagesschau-Fall liegt die Sache aber anders: Es geht nicht um Kommentare, sondern um den Umgang mit Informationen und Quellen. Hier ist Seriosität tatsächlich wichtig. Und hier bietet die mit großem Geld unterstützte und mit einem guten Team besetzte ARD ein kärgliches Bild, dessen Schwächen der Chefredakteur mit Überheblichkeit zu überspielen versucht. "Erneut", könnte man hinzufügen.

Vorwurf der Manipulation

Kai Gniffke antwortete auf eine Kritik von Volker Bräutigam und Friedhelm Klinkhammer an einem Beitrag der Tageschau, der am 22.10. 2016 zur besten Sendezeit, wies es früher hieß, um 20 Uhr ausgestrahlt wurde. Der Beitrag ist ab Minute 00:05:26 zu sehen.

Man braucht feine Ohren und eine gewisse Wachsamkeit, um hier sofort zu erfassen, was Bräutigam und Klinkhammer zu einem wütenden Schreiben veranlasst hat. Die beiden haben sie. Sie sind geschult. Beide arbeiteten früher für den NDR, Klinkhammer war zehn Jahre lang Redakteur der Tagesschau.

Vielen Zuschauer dürfte der in den Abendnachrichten geäußerte, folgende Passus harmlos erscheinen, das übliche Nachrichtenbrot.

In Aleppo hat die von Russland und der syrischen Regierung ausgerufene Feuerpause den dritten Tag in Folge gehalten. Der oppositionsnahen Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte in London wurden keine Luftangriffe auf den von Rebellen kontrollierten Ostteil der nordsyrischen Stadt gemeldet. Nach UN-Angaben verließen aber nur wenige Zivilisten und Rebellen das Kampfgebiet über die humanitären Korridore wegen fehlender Sicherheitsgarantien. Die Feuerpause sollte am Abend enden.

Tagesschau, 22.10.16

Bräutigam und Klinkhammer halten den Passus für manipulativ - wegen fehlender und relevanter Informationen. Dem Zuschauer werde dadurch ein falsches Gesamtbild, im Grunde eine Schräglage der Situation in Aleppo vermittelt, lautet die Stoßrichtung ihrer scharf kritischen Empörung.

Im Einzelnen werfen sie der Tageschau vor, dass sie die Herrschaft der al-Qaida-Gruppe al-Nusra in Aleppo nicht zur Sprache bringt und stattdessen vom verschleiernden Begriff "Rebellen" Gebrauch macht. Im Weiteren kritisieren sie die ärmliche Quelle, die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte in London (SOHR), auf die der Beitrag des reichen Senders zurückgreift.

Zudem - und das ist faktisch eine Aussparung von relevantem Geschehen im Tagesschaubericht - machen sie darauf aufmerksam, dass die von al-Nusra angeführten Milizen damals Fluchtwege der Zivilisten unter Feuer genommen hatten. Der Tagesschau-Bericht verlor dazu kein Wort. Stattdessen übernahm er eine Formel der UN, nämlich fehlende Sicherheitsgarantien, die Rebellen und Zivilisten davon abhielten, das Kampfgebiet zu verlassen.

Die "sprachlichen Feinheiten" des Beitrags stoßen den beiden Kritikern übel auf. Sie sprechen von "infamer Manipulation" und davon, dass die Verstöße des öffentlich-rechtlichen Senders gegen den Programmauftrag offensichtlich seien.